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Festlegungen zum Gebrauch der Schusswaffe der DDR-Grenztruppen in der Dienstvorschrift 018/0/008, 1974 (Auszug)

Festlegungen zum Gebrauch der Schusswaffe der DDR-Grenztruppen in der Dienstvorschrift 018/0/008, 1974 (Auszug)

GRENZTRUPPEN
DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK

Vertrauliche Verschlußsache!
VVS-Nr.: A 69 964



Ausfertigung



DV 018/0/008



Einsatz der Grenztruppen
zur Sicherung der Staatsgrenze
Grenzkompanie
1974



X. Gebrauch der Schußwaffe

210. (1) Der Gebrauch der Schußwaffe ist die äußerste Maßnahme der Gewaltanwendung gegenüber Personen. Schußwaffen dürfen nur angewendet werden, wenn die körperliche Einwirkung ohne oder mit Hilfsmitteln erfolglos blieb oder offensichtlich keinen Erfolg verspricht.

(2) Von der Schußwaffe darf nur auf Befehl des Vorgesetzten oder auf eigenen Entschluß der zum Grenzdienst eingesetzten Kräfte Gebrauch gemacht werden,
  1. um die unmittelbar bevorstehende Ausführung oder Fortsetzung einer Handlung zu verhindern, die sich den Umständen nach darstellt als ein
    • Verbrechen gegen die Souveränität der Deutschen Demokratischen Republik, den Frieden, die Menschlichkeit und die Menschenrechte,
    • Verbrechen gegen die Deutsche Demokratische Republik, gegen die allgemeine Sicherheit oder gegen die staatliche Ordnung,
    • Verbrechen gegen die Persönlichkeit,
    • anderes Verbrechen, das insbesondere unter Anwendung von Schußwaffen oder Sprengmitteln begangen werden soll oder ausgeführt wird;
  2. zur Verhinderung der Flucht oder Wiederergreifung von Personen,
    • die eines Verbrechens dringend verdächtigt sind oder wegen eines Verbrechens festgenommen wurden,
    • die andere Straftaten verdächtig sind oder deswegen festgenommen oder zu einer Strafe mit Freiheitsentzug verurteilt wurden, wenn Anhaltpunkte dafür vorliegen, daß von Schußwaffen oder Sprengmitteln Gebrauch gemacht oder in andere Weise die Flucht mittels Gewalt oder tätlichen Angriffs gegen die mit der Durchführung der Festnahme, Bewachung oder Beaufsichtigung Beauftragten durchgeführt oder daß die Flucht gemeinschaftlich begangen wird;
  3. gegen Personen, die wegen einer Straftat Festgenommene oder zu einer Strafe mit Freiheitsentzug Verurteilte mit Gewalt zu befreien versuchen oder dabei behilflich sind;

  4. wenn andere Mittel nicht mehr ausreichen, um einen unmittelbar drohenden oder gegenwärtigen Angriff auf Anlagen der bewaffneten Organe oder andere staatliche, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Einrichtungen, auf sich selbst oder andere Personen erfolgreich zu verhindern oder abzuwenden (gemäß §§ 17 bis 19 des StGB);

  5. zur Brechung bewaffneten Widerstandes;

  6. zur Festnahme von Personen, wenn
    • bewaffnete Personen dem Aufruf oder der Aufforderung des Grenzpostens nicht Folge leisten und offensichtlich versuchen, die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik zu durchbrechen und alle anderen Mittel und Möglichkeiten zur Festnahme oder Verhinderung der Flucht erschöpft sind,
    • Personen mit Transportmitteln vorschriftsmäßig gegebene Stoppzeichen unbeachtet ließen und Sperren durchbrochen, beiseite geräumt oder umfahren haben und eindeutig versuchen, die Staatsgrenze zu durchbrechen.
211. Der Gebrauch der Schußwaffe ist gegenüber Angehörigen der Grenztruppen und der NVA als äußerste Zwangsmaßnahme zulässig, wenn bei offenem Ungehorsam oder Widerstand von Unterstellten zur Wiederherstellung der militärischen Disziplin und Ordnung alle Maßnahmen erfolglos blieben und eine Festnahme nicht durchführbar ist.

212. der Gebrauch der Schußwaffe ist grundsätzlich mit "Halt! Grenzposten! Hände Hoch!" anzukündigen. Wird der Aufforderung nicht Folge geleistet, ist ein Warnschuß abzugeben. Bleibt auch diese Warnung erfolglos, ist gezieltes Feuer zu führen.

213. Die Schußwaffe ist ohne Aufruf und ohne Abgabe eines Warnschusses gezielt anzuwenden, wenn
  1. es zur Abwehr eines plötzlichen tätlichen Angriffes sowie zur Brechung bewaffneten Widerstandes erforderlich ist,

  2. ein gegenwärtiger Angriff auf Anlagen der bewaffneten Organe und andere staatliche, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Einrichtungen, auf sich selbst oder andere Personen nicht anders verhindert oder abgewendet werden kann.
214. Beim Gebrauch der Schußwaffe ist das Leben der Personen nach Möglichkeit zu schonen. Verletzten ist unter Beachtung der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen Erste Hilfe zu erweisen, sofern es die Durchsetzung dringender und keinen Aufschub duldender Aufgaben zuläßt.

215. Die Schußwaffe ist nicht anzuwenden, wenn
  1. das Leben und die Gesundheit Unbeteiligter gefährdet werden kann (stark belebte Straßen, besetzte Gaststätten, öffentliche Verkehrsmittel u. a.),

  2. die Personen sich dem äußeren Eindruck nach im Kindesalter befinden (bis 14 Jahre),

  3. die Umstände, die die Anwendung der Schußwaffe rechtfertigen, nicht mehr vorliegen,

  4. es sich bei den festzunehmenden um Angehörige der in der BRD oder in WESTBERLIN stationierten Besatzungstruppen handelt,

  5. es sich um Angehörige diplomatischer Vertretungen handelt,

  6. Flugzeuge fremder Nationalität die Lufthoheit der Deutschen Demokratischen Republik verletzen,

  7. ein Signal gegeben werden soll (außer dem Signal "Eilt zu Hilfe!").
216.(1) Der Gebrauch der Schußwaffe ist in jedem Fall unverzüglich dem Vorgesetzten zu melden und, wenn dabei Personen verletzt oder getötet wurden, als besonderes Vorkommnis zu behandeln.

(2) Tödlich verletzte Personen sind außerhalb der vom Gegner einsehbaren Geländeabschnitte unterzubringen. Der Tatort ist zu markieren und zu sichern. In anderen Fällen ist die Lage des Toten nicht zu verändern. Die weiteren Handlungen sind entsprechend der Entscheidung des Militärstaatsanwaltes durchzuführen.

217. Wird die Schußwaffe gegen Grenzverletzer angewandt, darf das Territorium des angrenzenden Staates oder WESTBERLINs nicht beschossen werden.

218. Bei Einsätzen zur Verteidigung der Deutschen Demokratischen Republik befiehlt der Minister für Nationale Verteidigung den Gebrauch der Schußwaffe.

Quelle: Berliner Mauer-Archiv Hagen Koch.
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