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Bericht eines DDR-Flüchtlings, 27. Mai 1961

Bericht eines DDR-Flüchtlings, 27. Mai 1961

Mein Promotionsverfahren wurde wegen des Fehlens jeglicher Zugeständnisse in der Dissertation lange hinausgezögert.

Die Beurteilung der wissenschaftlichen Arbeit wurde nicht ausschließlich nach fachlicher Wertung vorgenommen.

Im Vordergrund standen gesellschaftliche Beweggründe, da die Mehrzahl der Mitglieder des Rates der Philosophischen Fakultät der Universität nicht in der Lage war, die Dissertation von der fachlichen Seite zu beurteilen. In demütigender Form wurde so der Wert der wissenschaftlichen Arbeit herabgewürdigt.

Die zunehmende Durchsetzung der Philosophischen Fakultät mit Parteifunktionären macht die reine wissenschaftliche Arbeit ohne Zugeständnisse zur marxistischen Weltanschauung unmöglich. Nach der Assistentenordnung von 1957 muß jeder Assistent „eine sich in der gesellschaftlichen Arbeit sowie im gesamten Verhalten ausdrückende Verbundenheit mit unserem Arbeiter- und Bauern-Staat" zeigen. Außerdem sind alle jüngeren Wissenschaftler verpflichtet, sich mit dem Marxismus-Leninismus zu beschäftigen. Darüber hinaus wird erwartet, die „Verteidigungsbereitschaft" in den entsprechenden Organisationen (Kampfgruppen usw.) zu beweisen. Die Ausrichtung jeglicher Forschungsarbeit auf Erfordernisse des „sozialistischen Aufbaus" und ihre sogen. dialektisch-materialistisch Fundierung haben mich davon überzeugt, daß unter diesen Umständen eine sachliche wissenschaftliche Arbeit nicht möglich ist.

Berlin, den 27. Mai 1961

gez. Unterschrift

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