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Tätigkeitsbericht der West-Berliner Schutzpolizei für den Monat April 1962

Tätigkeitsbericht der West-Berliner Schutzpolizei für den Monat April 1962

S 1 – 1/62
Berlin, den 8. Mai 1962
App. 2922

Vertraulich!
Verschlossen!

An den
Herrn Polizeipräsidenten in Berlin


Betr.: Tätigkeitsbericht des S für den Monat A p r i l 1962

I. Sicherheits- und Ordnungsdienst der Schutzpolizei

1. Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse an Sektor- und Zonengrenze

a) Der Interzonenverkehr verlief unbehindert.

Lediglich am 16.4.1962 kam es infolge schleppender Abfertigung und am 19.4.1962 auf Grund des starken Osterreiseverkehrs am Kontrollpunkt Dreilinden zu größeren Kfz-Stauungen und Wartezeiten bis zu 2 Stunden.

Ab 30.4.1962, 00.00 Uhr, werden von den sowjetzonalen Behörden an allen Autobahnkontrollpunkten neue Zollbegleitscheine und Stempel verwendet, die statt der bis dahin üblichen Abkürzung "AZKW" den Aufdruck "Zollverwaltung der DDR" tragen. Das gleiche trifft für die Grenzübergänge an der Sektorgrenze zu.

b) Im Sektorgrenzverkehr traten am 2.4.1962 zeitweilig Behinderungen ein, da für die im Rahmen des Interzonenhandels zwischen West-Berlin und dem SBS verkehrenden Kraftfahrzeuge die Berechtigungsscheine, deren Gültigkeit bis zum 30.4.1962 datiert waren, plötzlich für ungültig erklärt wurden. Von den Fahrern mußten neue Berechtigungsscheine beschafft werden.

Desgleichen wurden die Dauerberechtigungsscheine der Serie A für im SBS beschäftigte West-Berliner ab 1.4.1962 für ungültig erklärt. Zum Teil wurden an die "Grenzgänger" Tagespassierscheine, zum Teil Dauergenehmigungen für 4 Wochen ausgegeben.

Am gleichen Tage verweigerten die SBS-Grenzorgane West-Berliner Stadtrundfahrt-Bussen die Einfahrt in den SBS.

Ab 20.4.1962 müssen auf Weisung der Grepo die Grundstücksbesitzer in den Exklaven Fichtenwiese und Erlengrund (Spandau-Papenberge) das Gelände täglich bis 19.00 Uhr verlassen.

c) An der Sektor- und Zonengrenze wurden die östlichen Grenzsperren durch Errichtung neuer Stacheldrahtzäune bzw. Erneuerung bereits vorhandener Drahtzäune, Aufstellen von Bretterzäunen, Erhöhung der Grenzmauer, Einlassen von Eisenträgersperren, Legen von Stolperdrähten sowie Durchführung von Erdarbeiten und Anlegen von "spurensicheren" Sandstreifen weiter verstärkt. An der ehemaligen Heidekrautbahn (S-Bhf. Wilhelmsruh) wurden die technischen Einrichtungen der Bahn abgebaut sowie Gebäude abgerissen.

Am 6.4.1962 errichtete die Trapo auf dem Bahngelände am S-Bhf. Gesundbrunnen auf West-Berliner Gebiet ein Postenhaus, das am nächsten Tage auf Veranlassung der französischen Schutzmacht wieder abgerissen werden mußte.

Die Zahl der an der Sektor- und Zonengrenze befindlichen Beobachtungstürme beträgt z.Zt. 109.

d) Durch Angehörige der Grepo kam es in der Berichtszeit in mehreren Fällen zu Provokationen an der Grenze. In 8 Fällen warfen sie gegen Schutzpolizei- und Zollbeamte sowie gegen Besuchergruppen 23 Tränengaswurfkörper (TW) auf West-Berliner Gebiet. Die gleiche Anzahl von TW wurde daraufhin von Schutzpolizeibeamten in den SBS zurückgeworfen. In einigen anderen Fällen wurden von Grepo Steine und andere Gegenstände auf West-Berliner Gebiet geworfen.

In einem Fall täuschten 2 Grepo in der Bernauer Str. eine Fluchtabsicht vor und quittierten die vorbereitenden Maßnahmen der West-Berliner Feuerwehr und Polizei mit höhnischem Gelächter. In der Berichtszeit kam es zu folgenden besonders erwähnenswerten Zwischenfällen:

Am 21.4.1962 warfen Grepo an der Ruppiner/Bernauer Str. zwei Tränengaswurfkörper gegen eine auf West-Berliner Gebiet befindliche Besuchergruppe. Als ein West-Berliner Polizeibeamter einen Tränengaswurfkörper in den SBS zurückwarf, gab ein Grepo aus seiner MP 2 gezielte Feuerstöße (ca. 8 – 10 Schuß) auf den Beamten ab. Von diesem sowie einem anderen dort eingesetzten Beamten wurden daraufhin 8 Schuß auf den Grepo abgegeben, der sich danach zurückzog.

Am 3.4.1962 versuchte ein Grepo am Kontrollpunkt Dreilinden West-Berliner Gebiet zu erreichen. Ein zweiter Grepo hetzte seinen Diensthund auf den Flüchtenden und gab auf ihn 2 Schüsse aus seiner Maschinenpistole ab. Der Flüchtende wurde getroffen und blieb schwer verletzt ca. 15 m von der Grenze entfernt liegen, von wo er durch ein Grepo-Kommando in Stärke von 15 Mann mittels Lkw in Richtung Babelsberg abtransportiert wurde.

Am 9.4.1962 durchbrach ein mit Zement beladener Lkw aus dem SBS in der Boyenstr. (Sektorgrenze Wedding) die Mauer, blieb jedoch zum größten Teil auf sowjetsektoralem Gebiet stecken. Die beiden männlichen Insassen entkamen zu Fuß unverletzt nach West-Berlin, obwohl Grepo – als sich die Flüchtlinge bereits 100 m auf West-Berliner Gebiet befanden – 3 Schüsse auf sie abgegeben hatten.

Am 10.4.1962 sprang ein 9-jähriger Schüler aus dem SBS vom Dach des Hauses Bernauer Str. 44 in ein Sprungtuch der Feuerwehr und wurde mit Rückenprellung in das Lazarus-Krankenhaus eingeliefert. Vermutlicher Fluchtgrund: beabsichtigte Heimeinweisung. Der Sprung eines zweiten Kindes gleichen Alters wurde durch Grepo verhindert.

Am 18.4.1962 durchbrach am Grenzübergang Heinrich-Heine-Str. ein mit Kies beladener Lkw aus dem SBS die Schlagbäume und prallte auf West-Berliner Gebiet gegen eine Hauswand. Auf dem Lkw befanden sich 3 männliche Personen. Während des Fluchtvorganges waren von Grepo ca. 20 MP-Schüsse auf das Fahrzeug abgegeben worden, von denen der 24-jährige Fahrer tödlich getroffen und der 29-jährige Beifahrer verletzt wurden. Der dritte Flüchtling erlitt Prellungen.

Am gleichen Tag versuchten südlich Kohlhasenbrück zwei Angehörige der NVA in Uniform West-Berliner Gebiet zu erreichen. Sie wurden von einer Grepo-Streife entdeckt und in einen Schußwechsel verwickelt. Einer der Flüchtenden sowie ein Grepo wurden dabei vermutlich verletzt. Der zweite Flüchtling erreichte West-Berliner Gebiet.

Am 21.4.1962 stellten Schutzpolizeibeamte fest, daß sich in einem Postenhaus an der im SBS gelegenen Eisenbahnbrücke zwischen Bornholmer und Grüntaler Str. ein toter Trapo befand, der später von 3 Trapo abtransportiert wurde. Vermutlich handelte es sich um einen Unglücksfall oder um eine Selbsttötung.

Am 29.4.1962 flüchteten in Schönholz, Nähe Klenkestr., 2 männliche Personen aus dem SBS in Richtung West-Berlin. Die Flüchtenden wurden von Grepo beschossen, einer von ihnen getroffen und vermutlich schwer verletzt. Dem zweiten Flüchtling gelang es, unverletzt West-Berliner Gebiet zu erreichen.

[...]

Quelle: Polizeihistorische Sammlung des Polizeipräsidenten in Berlin
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