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Niederschrift eines Gespräches des Genossen N. S. Chruschtschow mit dem Genossen Walter Ulbricht, 1. August 1961

Niederschrift eines Gespräches des Genossen N. S. Chruschtschow mit dem Genossen Walter Ulbricht, 1. August 1961

Abschrift

N. S. Chruschtschow:

Ich habe Ihre Rede gelesen und habe keine Einwände. Die Rede gefällt mir, darin sind die richtigen Fragen gestellt.

Vielleicht doch eine kleine Anmerkung, weniger eine Anmerkung als eine Meinung zu einer einzelnen Formulierung. Man kann es so, oder auch anders sagen. In Ihrer Rede werden gute Argumente angeführt, bessere als unser Außenministerium sie liefert. Ich werde Ihr Material für meine Rede nutzen, diese und jene Anleihe nehmen. Ihre Rede enthält gute Fakten. Ich habe das Aussenministerium gebeten, mir solche Fakten zu liefern, aber das ist bisher nicht geschehen. Danke, dass Sie es getan haben.

Meine Anmerkung betrifft Seite 14. Dort wird die Frage gestellt, was zu tun sei, und es heißt: "Wir nehmen an, dass die Sowjetregierung den Westmächten den Vorschlag unterbreiten wird, Verhandlungen aufzunehmen." Aber wir haben einen solchen Vorschlag bereits vor zwei Jahren, nach 1958, unterbreitet. Deshalb sollte es nicht heißen "unterbreiten wird". Vielleicht unterbreiten wir ja noch etwas, doch faktisch haben wir es bereits getan, als wir unseren Entwurf eines Friedensvertrages veröffentlichten. Ansonsten ist an der Rede alles in Ordnung.

W. Ulbricht:

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf den Abschnitt zu den wirtschaftlichen Fragen lenken. Eigentlich wollte ich diesen Teil schärfer formulieren, das heißt, unsere Abhängigkeit von Westdeutschland und die Tatsache erläutern, dass es ohne die Unterstützung der sozialistischen Länder nicht gehen wird. Das betrifft natürlich nicht nur die wirtschaftliche Lage. Es wäre gut, wenn die Länder der Volksdemokratie politische Erklärungen zu dieser Frage abgeben, es ist aber auch notwendig, dass sie sich wirtschaftlich an der Sache beteiligen.

N. S. Chruschtschow:

Ich unterstütze Sie. Natürlich muss man alle diese Fragen konkreter erörtern und eine entsprechende Kommission bilden. Aber einiges habe ich in dieser Hinsicht schon unternommen. Als Sie diese Frage ansprachen, habe ich Genossen Novotny angerufen. Als Sie ihm bei Ihrem Aufenthalt in der Tschechoslowakei Ihren Standpunkt darlegten, hat Genosse Novotny nicht ganz richtig reagiert. Natürlich hat jede Republik Ihre eigenen Bedürfnisse, und ich mache ihm keinen Vorwurf, doch er war damals nicht darauf eingestellt, Opfer zu bringen. Ich habe ihm gesagt: Ob Genosse Ulbricht nun recht hat oder nicht, wir werden ihn anhören, ohne Hilfe kann er jedenfalls nicht auskommen. Deshalb dürfen wir uns nicht darauf einstellen, Genossen Ulbricht abblitzen zu lassen, sondern wir müssen ihm helfen. Genosse Novotny hat mir mitgeteilt, dass sie auf diese Frage vorbereitet und mit dem Vorschlag anreisen werden, Ihnen zu helfen.

Das trifft auch auf Polen zu. Unser Genosse Weslaw (Wadyslaw Gomulka - d.U.) ist ein guter Genosse, wenn es ums Nehmen geht. Er hat zu mir gesagt: Die Deutschen leben besser als wir. Ich stimme ihm zu und sage dennoch: Es muss geholfen werden. Wir werden natürlich über ihn (Ulbricht) schimpfen - nicht ins Gesicht, sondern hintenrum, wie es sich unter "guten Freunden" gehört, aber wir werden ihm Hilfe geben.

Ich möchte Sie fragen - vielleicht bin ich nur nicht informiert. Es heißt, Sie hätten Schwierigkeiten bei Gemüse, Sie hätten nicht genügend Heu, und Polen müsste Ihnen helfen.

W. Ulbricht: Ja. N. S. Chruschtschow:

Das ist nicht gut. Da stellt sich die Frage, ob das nicht auf die übereilte Kollektivierung zurückzuführen ist. Genau damit erklären die Polen das intern. Die haben natürlich gut reden, weil sie selber nichts auf diesem Gebiet tun, aber von Ihnen sagen sie, dass Sie nicht recht haben. Ich verstehe, dass es bei der Kollektivierung in den ersten Jahren zu einem gewissen Produktionsrückgang kommen kann. Aber jetzt ist es zu spät, darüber zu reden, denn Sie haben es bereits durchgeführt.

Dass die Deutschen kein Gemüse haben! Das ist sehr schlecht. Denn was Milch betrifft - wenn man eure Musterbetriebe nimmt, die von Genossen Strube oder Pezzoni - ihr könntet doch alles mit Milch zuschütten. Das heißt, man muss die Sache in die Hand nehmen. Mir persönlich ist nicht klar, woran es liegt. Die Erklärungen, die man mir dafür gibt, kann ich oft nicht glauben. Da ist viel Subjektives dran.

Zu einer anderen Frage. Bei euch sind viele Ingenieure abgehauen. Denken Sie doch mal nach, sollten wir euch vielleicht Ingenieure von uns schicken? Die laufen nicht weg. Doch das müssen Sie selber wissen, vielleicht macht es ja politische Schwierigkeiten aus nationaler Sicht. Entscheiden Sie das bei sich. Aber es muss etwas getan werden.

Ich habe unseren Botschafter gebeten, Ihnen meinen Gedanken darzulegen, dass man die derzeitigen Spannungen mit dem Westen nutzen und einen eisernen Ring um Berlin legen sollte. Das ist leicht zu erklären: Man droht uns mit Krieg, und wir wollen nicht, dass man uns Spione schickt. Diese Begründung werden die Deutschen verstehen. Dann würden Sie im Interesse des Warschauer Vertrages handeln und nicht nur in Ihrem eigenen Interesse. Ich bin der Meinung, den Ring sollten unsere Truppen legen, aber kontrollieren sollten Ihre Truppen. Erstens muss das vor Abschluss des Friedensvertrages geschehen. Es wäre ein Druckmittel und würde zeigen, dass wir das Problem ernst nehmen. Wenn man uns Krieg aufzwingt, dann wird es Krieg geben. Zweitens hilft das Ihnen, denn es reduziert die Fluchtbewegung.

Wir müssen auch zu einem gemeinsamen Entschluss über demonstrative Maßnahmen zur militärischen Verstärkung kommen. Ich habe einen Bericht unseres Generalstabes entgegengenommen, und wir werden alles tun, was nötig ist. An der Grenze zur BRD werden sich unsere Panzer hinter den Stellungen eurer Soldaten eingraben. Das tun wir so "geheim", dass es der Westen mitbekommt. Das ist nicht schlecht. Vielleicht verlegen wir einige Divisionen in die DDR. Dem Berater Kennedys habe ich gesagt: Gegen jede Ihrer Divisionen bieten wir zwei auf; und wenn Sie die Mobilmachung erklären, dann tun wir das ebenfalls.

Unsere Genossen vom Militär meinten, vielleicht müsste bei den Deutschen auch etwas geschehen. Möglicherweise wäre es gut, eine Aufstockung eurer Divisionen vorzunehmen. Aber ich habe gesagt, dass man Genossen Ulbricht fragen muss, wie die Deutschen darauf reagieren. Das könnte unter Umständen negative Reaktionen auslösen, und als Demonstration hat diese Maßnahme keine entscheidende Bedeutung. Das sind die Gedanken, die ich Ihnen darlegen wollte.

W. Ulbricht:

Ich beginne mit der Erläuterung unserer wirtschaftlichen Lage. Zwei Monate lang gab es bei uns keine Kartoffeln zu kaufen. Das ist sehr schlecht. Es liegt daran, dass wir im vergangenen Jahr eine schlechte Ernte hatten und in diesem Jahr das Wetter feucht war, so dass die Kartoffeln in den Mieten verfault sind. Mit der Vergenossenschaftlichung hat das überhaupt nichts zu tun.

Außerdem wächst bei uns der Butterverbrauch, und es gibt nicht genügend Butter. In der Hälfte der Bezirke der DDR wurde der Plan der Milchablieferung nicht erfüllt. Wr mussten anweisen, dass Butter auf Kartoffel karten abgegeben wird, denn Kartoffelkarten haben wir noch. All das hat in der Bevölkerung gegnerische Stimmung erzeugt. Das zeigte sich zum Beispiel bei den Vorfällen in Hennigsdorf. Dabei ist festzustellen, dass der Butterverbrauch nicht zurückgegangen, sondern auf dem bisherigen Niveau geblieben ist. Wir haben nur die Rationierung eingeführt. Außerdem haben wir verboten, aus Milch Sahne herzustellen, was manchem ebenfalls nicht gefällt.

Zu der besagten Jahreszeit sind bei uns an Gemüse in der Regel nur Sauerkraut und saure Gurken auf dem Markt. Aber in diesem Jahr hatten wir nicht einmal Kartoffeln.

Sie suchen nach einer Rechtfertigung für uns, wenn Sie sagen, dass bei der Kollektivierung ein Rückgang möglich ist. Unter unseren Bedingungen trifft die These vom Rückgang jedoch nicht zu. Wir hatten während und nach der Vergenossenschaftlichung einen Anstieg der landwirtschaftlichen Produktion zu verzeichnen.

N. S. Chruschtschow:

Ich rede so, weil ich zu viele westdeutsche Berichte gelesen habe. Das ist Adenauers Stimme.

W. Ulbricht:

Einiges von dem, was Sie sagen, stimmt, insgesamt ist die Frage jedoch komplizierter. Wie sieht es bei uns aus? Ein Teil der neuen landwirtschaftlichen Genossenschaften geht nur langsam zur gemeinsamen Arbeit über, doch sie erfüllen den Plan im Rahmen der Einzelbauernwirtschaften. Einige Großbauern sagen uns: Wir tragen uns in der Genossenschaft ein, aber darin arbeiten wollen wir nicht. Diese Bauern halten privat um die acht Kühe. So wird im Rahmen des Dorfes der Plan erfüllt.

N. S. Chruschtschow:

Das sind die deutschen Kolchosen!

W. Ulbricht:

Worum geht es? Die Parteiorganisationen haben den Genossenschaften vom Typ I nicht ausreichend Unterstützung gegeben. Das liegt daran, dass die Parteiarbeiter nicht genug von der Landwirtschaft verstehen, um die Mittelbauern zu überzeugen. Was können sie den Bauern schon raten? Jetzt machen wir das anders. Wr delegieren Mitarbeiter aus starken Genossenschaften in schwache. Das hilft.

Aber in der Frage stecken auch politische Momente. Jedesmal wenn internationale Verhandlungen bevorstehen, stellt der Bauer die Frage: Was kommt dabei heraus? Vielleicht eine mittlere Linie zwischen Ulbricht und Adenauer? In diesem Zusammenhang sind einige Bauern aus den Genossenschaften ausgetreten. Als wir sie gefragt haben, was los ist, haben sie geantwortet: Wir arbeiten weiter, aber nicht in der Genossenschaft. Wir warten bis zum Herbst. Das ist eine Absicherung seitens der Bauern.

N. S. Chruschtschow:

Gerissene Bauern habt ihr. Ich dachte, so sind die nur bei uns.

W. Ulbricht:

Außerdem regen sich unter den Bauern nazistische Elemente, die früheren "Bauernführer". So hat zum Beispiel auf einer Versammlung im Kreis Plauen, wo unsere Vertreter anwesend waren, ein Großbauer erklärt, er sei dafür, das Sudetenland zurückzuholen. Unsere Genossen haben ihm gesagt, dass das Krieg bedeutet. Darauf hat er geantwortet: Dann kämpfe ich eben zusammen mit Seebohm dafür - das ist ein revanchistisch eingestellter Minister aus Westdeutschland. So wird dort geredet.

Aber ausgerechnet dieser Bauer ist in die Genossenschaft eingetreten. Er muss natürlich als Kriegshetzer vor Gericht gestellt und umgesiedelt werden. Jede Diskussion hat schließlich Ihre Grenzen. Ich habe den Justizminister beauftragt, sich um die Sache zu kümmern. Allerdings haben wir kein Sibirien. Da müssen solche Leute eben ins Arbeitslager geschickt werden. Zur Versorgungsfrage. Im Winter war bei uns das Futter knapp, da wir im vergangenen Jahr eine Missernte hatten. Ein Teil des Viehs ist verendet. Aber das war nicht die Schuld der Bauern. In diesem Jahr wird eine ähnliche Situation erwartet. Da wir nasses und kaltes Wetter haben, steht der Mais nur 50 Zentimeter hoch, und die Kartoffeln sind verfault. Wir haben also zur Fütterung weder Mais noch Kartoffeln. Wenn uns die sozialistischen Länder nicht mit Futter aushelfen, werden wir das Produktionsniveau bei Milch nicht halten können.

Das heißt, bei uns kommt zur Verschärfung des politischen Kampfes, der sich in Ausfällen gegen die Genossenschaften äußert, (womit wir fertig werden), der Futtermangel hinzu.

N. S. Chruschtschow:

Ich denke, hier sind eindeutig die Gegner am Werk.

W. Ulbricht:

Das ist die Kirche.

N. s. Chruschtschow:

Nehmen wir das Verfaulen der Kartoffeln in den Mieten. Die Deutschen sind doch Meister in der Lagerung von Kartoffeln. Also ist das keine Frage des Wetters, sondern schlechter Arbeit oder Sabotage.

W. Ulbricht:

Saboteure gibt es natürlich. Man muss aber bedenken, dass den Kartoffeln bei uns Kunstdünger beigegeben wird, was sie weniger resistent gegen Fäulnis macht.

N. S. Chruschtschow:

Aus meiner Moskauer Erfahrung möchte ich mich für den Mais einsetzen. Als ich 1950 aus der Ukraine nach Moskau kam, war das Wetter hier sehr kalt und regnerisch. Ich habe damals meinen Personenschutz aus der Ukraine mitgebracht, und die Genossen erzählten mir, dass der Sohn eines Mitarbeiters seine Mutter sogar gefragt hat, ob es in Moskau überhaupt einen Sommer gibt. Selbst in jenem Jahr ist der Mais bei mir fünf Meter hoch gewachsen. Das liegt alles an der Pflege.

W. Ulbricht:

Aber bei uns wächst er nicht.

N. S. Chruschtschow:

Da kann ich Ihnen nicht zustimmen. Beim Mais bin ich Fachmann, Sie dagegen akzeptiere ich nicht als solchen.

Ich habe noch eine weitere Frage. Ich lese Originalberichte westlicher Geheimdienste, wo eingeschätzt wird, dass in der DDR die Bedingungen für einen Aufstand herangereift sind. Sie orientieren über ihre Kanäle, die Dinge nicht bis zu einem Aufstand zu treiben, weil das nichts Gutes bringt. Sie sagen: Wir können nicht helfen, und die Russen walzen alles mit Panzern nieder. Daher rufen sie auf abzuwarten, bis die Voraussetzungen vorhanden sind. Ist das wirklich so? Ich weiß das nicht genau, sondern stütze mich nur auf westliche Berichte.

W. Ulbricht:

Uns liegen Informationen vor, dass die Bonner Regierung durch Abwerbung und Organisierung von Widerstand Schritt für Schritt die Bedingungen für einen Aufstand vorbereitet, der im Herbst 1961 stattfinden soll. Wir sehen, mit welchen Methoden der Gegner arbeitet: Die Kirche organisiert den Austritt der Bauern aus den Genossenschaften, allerdings ohne großen Erfolg. Es kommt auch zu Sabotageakten. Ist das alles real? Ein Aufstand ist nicht real. Aber möglich sind Aktionen, die uns international großen Schaden zufügen können.

So haben zum Beispiel in einem Betrieb in Hennigsdorf bei Potsdam, der früher zur AEG gehörte, feindlich gesinnte Ingenieure eine Unterschriftensammlung organisiert. Sie haben die Forderung gestellt, keinen Friedensvertrag zu unterzeichnen, weil das die Spaltung Deutschlands verfestigen würde. Sie haben nicht direkt gesagt, dass sie für Adenauer sind, sondern vorgeschlagen, freie Wahlen durchzuführen und so eine Regierung zu bilden, die Deutschland führen soll. In dieser Richtung wird der Kampf in einer Reihe von Betrieben geführt. Als wir bei diesen Leuten Haussuchungen vorgenommen haben, wurde festgestellt, dass einer ein amerikanischer Agent ist und vier ehemalige Faschisten sind. Die Sache geht also gar nicht auf das Ostbüro der SPD zurück, sondern auf das Wirken amerikanischer Agenten.

In diesem Bezirk hat sich die Zahl der Sabotageakte in landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften erhöht, hat es böswillige Schlachtungen gegeben. Die Kreisleitung der Partei hat in diesem Betrieb nicht gearbeitet, so dass gegnerische Elemente, hauptsächlich Übersiedler aus Westdeutschland, sich dort entfalten konnten. Unter den Übersiedlern sind viele Agenten. Wenn es ihnen gelungen wäre, in Hennigsdorf eine Demonstration zu organisieren, dann hätten die Bauern sie unterstützt. Es gibt noch viele weitere Kreise, wo der Gegner solche Aktionen durchführt. Mit dieser Frage befassen wir uns jetzt; es wird nichts Schlimmes passieren.

N. S. Chruschtschow:

Sind diese Personen schon lange in die DDR übergesiedelt?

W. Ulbricht:

Vor zwei, drei Jahren.

N. S. Chruschtschow:

Weshalb?

W. Ulbricht:

Sie sagen, es gefällt ihnen in Westdeutschland nicht. Zum Teil sind das primitive Menschen, die der Gegner ausnutzt.

N. S. Chruschtschow:

Vielleicht sollte man sie lieber nach Westdeutschland abschieben, statt sie im Gefängnis sitzen zu lassen? W. Ulbricht:

Diese Frage habe ich auch angesprochen. Den besagten Bauern aus Plauen wollten die Dorfbewohner nach Westdeutschland jagen. Aber das kann man nicht machen, denn unsere Aufgabe ist es zu überzeugen.

Ich möchte noch einige allgemeine Fragen behandeln. Aus politischen und wirtschaftlichen Gründen haben wir Schwierigkeiten mit der Intelligenz. Die politischen Gründe liegen darin, dass diese Leute glauben, es gäbe einen dritten Weg. Sie meinen, der Friedensvertrag bedeute, dass die Spaltung bestehen bleibt, und sie fragen, ob es keinen anderen Weg gibt.

Die wirtschaftlichen Gründe liegen darin, dass unsere inneren Schwierigkeiten zugenommen haben, weil die Zahlen des Siebenjahrplans für ungültig erklärt wurden. Unsere Staatliche Plankommission arbeitet jetzt daran, diese Zahlen abzusenken. Das hat eine zersetzende Wirkung auf weite Kreise der Bevölkerung. Vertreter der Intelligenz sagen, dass wir bei derartigen Plansenkungen unsere Aufgaben nicht erfüllen können. Seitdem wir von der verkündeten ökonomischen Hauptaufgabe abgegangen sind, Westdeutschland beim Pro-Kopf-Verbrauch und der Arbeitsproduktivität zu überholen, arbeiten die Menschen ohne wirtschaftliche Perspektive. Solange das so bleibt, werden wir Schwierigkeiten haben, nicht nur wegen der Mängel im Handel. Außerdem übersteigt die Kaufkraft der Bevölkerung bei uns gegenwärtig das Warenangebot um zwei Milliarden Mark. Die Bevölkerung stellt Forderungen, die nicht befriedigt werden können. Das Problem des Kaufkraftüberhangs gegenüber dem Angebot können wir bei offener Grenze nicht lösen, denn dann müssten wir den Lohn einfrieren und die Preise teilweise erhöhen. Mit dem Einfrieren des Lohnes haben wir bereits begonnen, können es aber der Bevölkerung nicht erklären. Wir sagen nicht, warum wir die Planzahlen gesenkt haben, doch jeder Ingenieur kann es sehen. Wir haben die Investitionen jetzt um zwei Milliarden gesenkt. Die Intelligenz spürt das und äußert Unmut.

Neben der Wühltätigkeit Westdeutschlands gibt es also eine Reihe Fragen, die bei offener Grenze nicht zu lösen sind. Wir erleiden große Verluste durch die Grenzgänger (Personen, die in der DDR wohnen und in Westberlin arbeiten) und die Republikflucht. Deswegen können wir einen Teil der Aufgaben nicht erfüllen.

Es ist zu bedenken, dass wir in den letzten drei Jahren im Interesse des Siebenjahrplanes aus unserer Wrtschaft herausgeholt haben, was möglich war. Dabei wurde ein Teil der örtlichen Industrie, die früher für den Binnenmarkt gearbeitet hat, auf den Export umorientiert. Als ich im vergangenen Jahr die Arbeit unseres Außenhandels überprüfte, habe ich festgestellt, dass von dort Vertreter ausgeschickt werden, die mit Handwerkern Verträge abschließen, und alles geht in den Export. Dadurch sind die Dienstleistungen für die Bevölkerung zurückgegangen. Vor Dienstleistungseinrichtungen bilden sich Schlangen, was zu Unzufriedenheit geführt hat. Ich habe das verboten, denn sonst bringen wir noch die ganze Bevölkerung gegen uns auf.

N. S. Chruschtschow:

Als ich vor zwei Jahren an eurem Parteitag teilgenommen habe, war alles in Ordnung. Was ist denn da passiert? Ihr wolltet doch die BRD bis 1961/62 überholen.

W. Ulbricht:

Wir haben unsere Pläne nicht mit Rohstoffen untersetzt, das heißt, sie waren nicht ausbilanziert. Wir mussten Stahl und andere Waren importieren und dafür Konsumgüter ausführen. Dafür habe ich die Staatliche Plankommission bereits gescholten.

N. S. Chruschtschow:

Was ist denn geschehen? Die DDR kann Rohstoffe nicht bezahlen? Aber die gibt einem niemand umsonst.

W. Ulbricht:

Ja, das kann niemand. Ich will ein Beispiel sagen: Wir kauften für hundert Millionen in Westdeutschland Schuhe ein und haben jetzt Verrechnungsschulden. Sie haben uns gewarnt, wenn wir bis zum 15. August nicht zahlen, dann werden die Lieferungen gestoppt. Bei der Aufstellung des Planes haben wir mit der Hilfe der Länder der Volksdemokratie gerechnet. Wir haben den Tschechen moderne metallurgische Ausrüstungen verkauft, und sie sollten uns 1960 vertragsgemäß 8000 Tonnen Stahl liefern. Doch sie haben das nicht getan. Genau so verhalten sich Polen und Bulgarien. Die Bulgaren schulden uns jetzt 60 Millionen, das heißt, wir kreditieren sie. Den Polen haben wir einen Kredit für 450 Millionen gewährt, damit sie uns Steinkohle liefern, für die wir sogar mehr als den Weltmarktpreis zahlen. Im Gegenzug verlangen sie von uns Ausrüstungen, aber Stahl bekommen wir von ihnen nicht. Um unsere Verpflichtungen gegenüber diesen Ländern zu erfüllen, sind wir also gezwungen, das fehlende Material für Devisen in Westdeutschland zu kaufen, und sie sind nun unsere Schuldner. Mit der Sowjetunion gestalten sich die Dinge teilweise ähnlich, doch Ihr gebt uns Kredite.

N. S. Chruschtschow:

Mit uns schließt Ihr auch solche unvorteilhaften Verträge ab?

W. Ulbricht:

Ich bitte Sie, diese Fakten nicht zu verwenden, denn zuweilen erklären sie sich daraus, dass die notwendigen Ausrüstungen im sozialistischen Lager nicht zu bekommen sind. Aber ich kann folgendes Beispiel anführen: Wir haben für euch ein Schiff gebaut und mussten für 20 000 Technik in Westdeutschland einkaufen. Eure Außenhandelsorgane stellten als Bedingung, dass der Schiffsmotor aus Westdeutschland stammt, obwohl sie hätten feststellen können, dass man ihn nicht unbedingt im Westen kaufen muss, sondern ihn ebenso gut im sozialistischen Lager beschaffen kann.

Dieses Beispiel ist nicht als Kritik gemeint, denn Ihr helft uns ja wenigstens. Unter den sozialistischen Ländern gibt es keine Kooperation, wird die Frage nicht gelöst, wer neue Maschinen nach westlichen Mustern baut. Die Rumänen haben zum Beispiel bei den Amerikanern eine Maschine zur Kunststofftrocknung gekauft. Wenn wir vier solcher Maschinen hätten, dann könnten wir die Produktion der entsprechenden Plaste verdoppeln. Aber der RGW befasst sich nicht mit dieser Frage und vervielfältigt die Zeichnungen solcher neuen Maschinen nicht. Daher ringen wir jetzt mit den Rumänen, dass sie uns die Zeichnungen kopieren lassen. Zur Zeit arbeitet jeder für sich allein mit dem Ergebnis dass wir in immer größere Abhängigkeit vom Westen geraten. Der RGW muss das in Angriff nehmen und so arbeiten wie das bei euch geschaffene Koordinierungskomitee für wissenschaftliche Forschung.

N. S. Chruschtschow:

Wenn wir also den Friedensvertrag abschließen, wird der erste Schritt des Westens ein Embargo sein. Was machen wir dann?

W. Ulbricht:

Deswegen stelle ich diese Frage ja.

N. S. Chruschtschow:

Das kommt ein bisschen spät. Ihr habt euch auf die Beziehungen mit den Westdeutschen eingelassen, und seid jetzt in einer so schlechten Lage. Wir treiben auch Handel mit den Westdeutschen, aber wenn sie ein Embargo erklären, dann - zum Teufel mit ihnen -nehmen wir einige Fabriken eben zwei Jahre später in Betrieb. Ich habe einen Geheimbericht darüber, wie sie sich vorbereiten. Sollen sie doch. Krupp wird davon mehr Nachteile haben als wir, denn dann stellen wir die Zahlungen ein.

W. Ulbricht:

Krupp prüft schon heute die Möglichkeiten des Handels über neutrale Staaten.

N. S. Chruschtschow:

Krupp will mit uns Handel treiben. Sie haben uns insgeheim sogar gebeten, sie heftiger zu beschimpfen, weil sonst die Amerikaner auf sie Druck ausüben.

W. Ulbricht:

Um die Stimmung in der DDR zu verändern, muss man der Bevölkerung die wirtschaftliche Lage erklären und Ihr eine ökonomische Perspektive aufzeigen, die sie gegenwärtig nicht hat.

N. S. Chruschtschow:

Zu diesen Fragen habe ich meinen eigenen Standpunkt, und Sie haben mir noch nicht geantwortet. Eure Produktion stellt nur einen kleinen Prozentsatz des Umfangs unserer Produktion dar. Wahrscheinlich entspricht allein unser Zuwachs eurer gesamten Produktion. Wenn das bisher noch nicht genutzt wurde, dann liegt das an der Schlamperei in unserer Wirtschaft. Daran sind wir schuld und die Deutschen ebenso. Wir bauen neue Betriebe, und eure sind nicht ausgelastet.

Mit den Gesetzen der Produktion kenne ich mich aus und weiß, wenn Ingenieure sich einmal an bestimmte Beziehungen gewöhnt haben, dann wollen sie die nicht wechseln und auch nicht das Sortiment.

W. Ulbricht:

Das haben wir bereits erreicht. Diese Frage steht nicht mehr. N. S. Chruschtschow:

Das ist aber die Hauptsache. Zum Beispiel bestellen wir bei euch Schiffe. Im Vertrag wird vereinbart, was Ihr zu machen habt, und was wir. Ihr verpflichtet euch, den Schiffsmotor in England oder der BRD zu kaufen. Aber Ihr tut es nicht.

W. Ulbricht:

Dann heißt es, ich sei antisowjetisch.

N. S. Chruschtschow:

Hören Sie damit auf. Wir bauen schließlich Kreuzer und Atom-U-Boote, die schneller und besser sind als die amerikanischen. Wir können das also. Offenbar haben eure Leute gesagt, sie könnten das beschaffen. Schließlich bezahlen wir dafür und wollen nichts umsonst. Dass es jetzt so ist, laste ich mehr der DDR an, wem soll ich es denn sonst anlasten?

W. Ulbricht:

Nach dem Siebenjahrplan war bei uns ein jährliches Produktionswachstum von neun Prozent vorgesehen. Nach dem neuen Plan für 1962 beträgt das Wachstum nur fünf Prozent. Aber die vier Prozent fehlen uns.

N. S. Chruschtschow:

Das verstehe ich nicht. Wir reden doch seit drei Jahren über diese Frage. Vielleicht übersetzt der Dolmetscher schlecht?

W. Ulbricht:

Wir sind dafür, die Wirtschaft vollständig auf Rohstofflieferungen aus dem sozialistischen Lager umzustellen. Aber für das nächste Jahr fehlen uns 153 000 Tonnen Stahl. Selbst in die Verhandlungen mit der Sowjetunion ist diese Menge nicht aufgenommen worden. Wir müssen sie also in Westdeutschland kaufen. Bei SpezialStahlblechen sind wir zu hundert Prozent von denen abhängig.

N. S. Chruschtschow:

Auch wir müssen einige Stahlsorten kaufen.

W. Ulbricht:

Aber eure Genossen haben gesagt, Ihr hättet solchen Stahl nicht.

N. S. Chruschtschow:

Das ist richtig. Wir stellen dann eben andere Maschinen her. Ihr produziert die Maschinen aus diesem Stahl doch nicht für euch. Macht sie nicht mehr.

W. Ulbricht:

Ihr liefert uns zum Beispiel rostfreien Stahl nur für die Aufträge aus der Sowjetunion.

N. S. Chruschtschow:

Das stimmt, denn wir haben nicht genug von diesem Stahl.

W. Ulbricht:

Aber Polen und die Tschechoslowakei haben bei uns Chemieausrüstungen aus demselben Stahl bestellt, und wir müssen ihn in der BRD kaufen.

N. S. Chruschtschow:

Das ist mir unverständlich. Ich würde einen solchen Vertrag nicht abschließen, wenn er kommerziell für mich nicht von Vorteil ist.

Ich will ein Beispiel bringen. Als wir den Siebenjahrplan beschlossen und erklärt haben, dass wir bereit sind, Kredite zu nehmen, haben uns sehr viele aus dem Westen Kredite angeboten. Ich habe damals gesagt, dass wir unsere Möglichkeiten zur Rückzahlung dieser Kredite prüfen müssen und uns dabei nicht übernehmen dürfen. Sie bieten uns Lieferkredite für fünf Jahre an. Wir antworten, einverstanden, aber nicht für fünf, sondern für sieben Jahre. Wenn Sie nicht wollen, dann: Auf Wiedersehen.

Was ist hier passiert? Wir bestellen bei euch Schiffe, und ihr kauft die Motoren in England und der BRD. Wenn das für euch ungünstig ist, dann nehmt solche Aufträge nicht an. Sucht euch andere, die euch nicht zwingen, den Westen in Anspruch zu nehmen.

Anfangs ist es bei euch gut gelaufen, der Handel mit Westdeutschland hat sich entwickelt, und das war nützlich für euch. Aber wie heißt es doch: Solange es nicht donnert, bekreuzigt sich der Bauer nicht. Adenauer hat euch im vorigen Jahr eine Lehre erteilt, und erst da habt Ihr angefangen, euch an einer bestimmten Stelle zu kratzen.

Können wir denn wirklich keinen Ausweg aus dieser Lage finden? Amerika verkauft uns nichts, und wir kommen damit klar. So war es auch mit England und der BRD, als die keinen Handel mit uns trieben. Wieso sollen wir jetzt ohne Adenauer und de Gaulle nicht den Sozialismus aufbauen können? Die sollten wir zum Teufel jagen.

Bei Adenauer haben wir Fischfangschiffe gekauft und bei Krupp zwei Chemiewerke. Als die Italiener sich entschieden, mit uns Handel zu treiben, haben sie vorgeschlagen, wir sollten ihnen mehr abkaufen als sie uns. Aber darauf sind wir nicht eingegangen. Mit den Engländern war es ebenso. Sie haben uns gefragt, was sie bei uns kaufen sollen. Wr haben geantwortet: Sucht es euch doch selbst. Wenn Ihr bei uns nichts zu kaufen findet, dann wir bei euch auch nicht. Da kommen sie ins Nachdenken und meinen: Wir kaufen in Amerika Erdöl, aber die kaufen nichts bei uns. Also kaufen wir das Erdöl doch lieber bei den Russen, die dafür unsere Waren kaufen.

Ich sage den Kapitalisten: Ihr habt jeder euren privaten Staat. Wenn Ihr Erdöl braucht, dann kauft es, und wir beziehen eure Waren. Sie berufen sich auf ihre Gesetze. Darauf antworten wir, dass auch wir Gesetze haben und anders mit uns nicht zu reden ist.

Mit Italien haben wir einen guten Handelsvertrag abgeschlossen. Heute habe ich ein Gespräch unseres Botschafters mit dem Erdölmagnaten Matteo gelesen. Er ist ein Befürworter des Handels mit uns und sagt, dass man jetzt mehr sowjetisches Öl kaufen kann.

Ihr liefert euch doch Adenauer und Macmillan mit Haut und Haaren aus. Können tatsächlich nicht wir euch die Rohstoffe liefern? Das ist ein Defekt in unseren Beziehungen. Was die Tschechen und Polen betrifft, das ist eure Schuld. Freundschaft hin oder her, aber Geschäft ist Geschäft. Nur die Albaner bringen es fertig zu sagen: Gebt uns, sonst sind wir nicht eure Freunde. Die sollen sich sonstwohin scheren.

Ich habe über all das in unserem ZK gesprochen, nur hat man es da wohl nicht ernst genommen. Lassen Sie uns das auf der Ebene der Sekretäre (gemeint sind die Ersten Sekretäre der Parteien - d.U.) besprechen. Die Polen werden natürlich zusammenzucken. Wenn sie euch nichts geben, dann müsst ihr ihnen auch nicht helfen, kreditieren könnt ihr sie nicht.

Mit Stahl versorgen wir euch. Was SpezialStahl betrifft, den müssen wir selber kaufen. Aber lasst ihn uns gemeinsam kaufen, damit wir später nicht für euch mit Gold bezahlen müssen. Sonst geht es euch wie den Bulgaren, die zuerst alles ohne uns gekauft und den Kopf in die Schlinge gesteckt haben und dann vor dem Bankrott standen. Wir haben für sie zahlen müssen, aber so kann das nicht gehen.

W. Ulbricht:

Ich bin einverstanden.

N. S. Chruschtschow:

Lassen Sie uns mit Gosplan darüber reden, euren Zuwachs auf neun Prozent zu erhöhen. Vielleicht geben die Polen ja etwas. Den Tschechen wird das schwerer fallen, denn viele ihrer Waren gehen in den Export.

W. Ulbricht:

Bei Stahl stehen die Tschechen in einigen Positionen besser da als die UdSSR.

N. S. Chruschtschow:

Bei den Kolonialwaren muss man sehen, was Ihr mit Gold bezahlt. Jetzt kann man dafür mit Waren bezahlen. Mit Nkrumah haben wir vereinbart, dass wir die Hälfte der Waren mit Gold und die andere Hälfte mit Waren vergüten.

W. Ulbricht:

Wir besprechen das bei Gosplan.

N. S. Chruschtschow:

Was Industriegüter betrifft, nehmt keine Aufträge an, wenn ihr nicht selber liefern könnt. Wenn ihr unbedingt im Westen einkaufen müsst, dann verlangt dafür einen Ausgleich von uns, und steckt nicht selber den Kopf in die Schlinge.

W. Ulbricht:

Im Außenhandel hat es bei uns ernste Fehler gegeben. Wir haben versucht, das zu verändern, aber das war schwer, denn Rau hatte seinen Individualismus. Jetzt ändern wir das. Ich habe gesagt, wir haben keine Geschenke zu verteilen. Aber es wird einige Zeit vonnöten sein, bis Ordnung geschaffen ist.

N. S. Chruschtschow:

Etwa zwei Jahre werdet Ihr brauchen. Ihr seid spät ins Grübeln gekommen. Nachdenken müsst Ihr über die Fragen, die auf eurem letzten Parteitag gestanden haben. Es sind die Fragen, die auch vor uns stehen. Westdeutschland muss überholt werden. Wenn Ihr die Grenze schließt, dann werden die Schwierigkeiten davon nicht verschwinden.

W. Ulbricht:

Im Gegenteil, es wird eine Blockade verhängt werden.

N. S. Chruschtschow:

Ich meine nicht den Abschluss des Friedensvertrages, sondern die Maßnahmen, die jetzt rund um Berlin ergriffen werden. Unser Botschafter hat mir berichtet, dass es euch an Arbeitskräften fehlt. Die können wir euch geben.

W. Ulbricht:

Wir haben im Politbüro beschlossen, um Arbeiter aus Bulgarien und Polen zu bitten. N. S. Chruschtschow:

Auch wir können sie euch geben -junge Leute, Komsomolzen. Wir haben überflüssige Arbeitskräfte. Hören Sie nicht auf die Stimme Amerikas, die behauptet, uns fehle es an Arbeitern.

W. Ulbricht:

Ich habe mich einfach nicht entschließen können, Ihnen diese Frage zu stellen.

N. S. Chruschtschow:

Lassen Sie uns darüber nachdenken, wie wir das dem Volk am besten erklären.

W. Ulbricht:

Als sozialistische Hilfe für die DDR!

N. S. Chruschtschow:

Vielleicht sollten wir es besser Jugendaustausch nennen, wie Fidel vorgeschlagen hat. Bei dem Austausch gebt ihr uns einen, und wir euch hundert. So wurde es mit Fidel gemacht. Er war allerdings gekränkt, dass wir zu wenige nach Kuba geschickt haben, doch wir haben ihm gesagt, mehr brauchen wir vorläufig nicht zu schicken. Wenn die Kubaner zu uns kommen wollen, dann sollen sie kommen. So kann man auch das Problem der Ingenieure lösen. Früher haben die Deutschen uns Ingenieure geschickt, und wir haben von ihnen gelernt. Jetzt schicken wir euch unsere Ingenieure, aber nicht, um euch zu lehren, sondern um zu helfen. Warum schweigen Sie? Sie wollen wohl nicht über dieses Thema reden?

W. Ulbricht:

Nein, ich will zuerst alles durchrechnen. Jetzt zur Schließung der Grenze. Welcher Termin ist der beste? Was machen wir in dieser Frage? Als vom 19. bis zum 23. Juli in Westberlin der Kirchentag stattfand ...

N. S. Chruschtschow:

Wissen Sie, dass die Amerikaner Adenauer dafür kritisiert haben, weil sie eine Zuspitzung befürchten? Diese Veranstaltung war Adenauers Werk.

W. Ulbricht:

Adenauer hat eine Niederlage erlitten, denn wir erhielten die Möglichkeit, unsere Kirche von der westdeutschen zu trennen. Wir haben Gegenmaßnahmen ergriffen und eine Kontrolle der Reisen nach Berlin eingeführt, die 50 Kilometer vor der Stadt immer noch besteht. Außerdem wird auf dem Ring kontrolliert.

Das Politbüro hat entschieden, dass die Berliner Stadtverordnetenversammlung in dieser Woche einen Beschluss über die Registrierung aller Grenzgänger fasst. Wir registrieren alle und werden sie dann bearbeiten. Das wird praktisch nicht viel bringen, aber es stellt die Menschen auf die Schließung der Grenze ein und bereitet die weitergehenden Maßnahmen vor.

N. S. Chruschtschow:

Um wieviele Personen handelt es sich?

W. Ulbricht:

Offiziell sind es in Berlin 75 000, tatsächlich sind es mehr. In dieser Woche wird Ebert sich an die Bevölkerung der DDR mit der Bitte wenden, bis zur Normalisierung der Lage von Reisen nach Berlin abzusehen. Zugleich wird der Autobusverkehr nach Berlin eingestellt. Aber die Leute werden fragen, weshalb sie nicht in Ihre eigene Hauptstadt fahren dürfen. Das muss man erklären.

N. S. Chruschtschow:

Das darf man nicht zulassen, sie müssen die Möglichkeit haben, in Ihre Hauptstadt zu fahren.

W. Ulbricht:

Technisch können wir das in zwei Wochen vorbereiten.

N. S. Chruschtschow:

Führt das durch, wann Ihr wollt, wir können uns jederzeit darauf einrichten.

W. Ulbricht:

Fürchten Sie keine Auswirkungen auf die westdeutschen Wahlen, dass das Adenauer und Brandt hilft?

N. S. Chruschtschow:

Ich denke, Adenauer wird gewinnen. Wir machen hier keine politischen Spiele. Sie sind beide Halunken. Brandt ist schlimmer als Adenauer. Hier verlassen wir uns nur auf Sie.

W. Ulbricht:

Von Brandt ist alles zu erwarten, denn er hat nichts zu verlieren.

N. S. Chruschtschow:

Ich denke, Adenauer wird sich nach den Wahlen anders verhalten. Ich weiß aus Geheimdokumenten, dass die Westmächte erst nach den Wahlen in der BRD mit ihren Vorschlägen kommen werden. Wenn sie uns harte Bedingungen stellen wollten, dann wäre es für sie günstiger gewesen, das vor den Wahlen zu tun, um dem Kanzler zu helfen. Aber dann hätten sie sich den Weg für Verhandlungen mit uns verbaut.

Sie wollen ihre Vorschläge erst nach den Wahlen einbringen, um sie milder formulieren zu können. Das hat Kroll mir gegenüber angedeutet. Er hat gesagt, die Wahlen seien nur Gerede. Er ist ein kluger Mann. Zwar windet er sich jetzt etwas, weil man ihn für den Verfechter eines weichen Kurses hält. Da muss er manchmal Härte demonstrieren.

W. Ulbricht:

Wir werden diese Maßnahmen im Politbüro erörtern.

N. S. Chruschtschow:

Wann ist für euch der günstigste Zeitpunkt?

W. Ulbricht:

Wenn ich aus Moskau zurück bin, führen wir eine Wirtschaftsberatung durch, denn Westdeutschland wird als Antwort auf die Maßnahmen an der Grenze wichtige Lieferungen einstellen.

. S. Chruschtschow:

Das ist möglich.

W. Ulbricht:

Deshalb müssen wir dem Staatsapparat erläutern, wie wir uns die weitere Wirtschaftspolitik vorstellen. Wir werden erklären, da wir den Wettbewerb mit Westdeutschland noch nicht gewonnen haben, kommen neue ökonomische Aufgaben auf uns zu. Dazu gehört, unsere Wirtschaft gegenüber dem Westen störfrei zu machen.

N. S. Chruschtschow:

Die Maßnahmen sollte man eurem Volk nicht damit erklären. Eine solche Begründung wäre günstig für Adenauer, denn sie bedeutete, dass ihr mit Westdeutschland nicht konkurrieren könnt. Die Schließung der Grenze muss politisch begründet werden, und davon sind dann die wirtschaftlichen Folgen abzuleiten.

W. Ulbricht:

Sie haben mich nicht richtig verstanden, natürlich sind sie politisch zu begründen.

N. S. Chruschtschow:

Wir müssen ein gemeinsames Kommunique veröffentlichen, wo die DDR im Interesse der sozialistischen Länder gebeten wird, die Grenze zu schließen. Dann machen Sie das auf unsere Bitte. Das ist keine innere, keine wirtschaftliche, sondern eine große allgemein politische Angelegenheit.

W. Ulbricht:

Wir sind einverstanden mit der Begründung dieser Sache vom Standpunkt der grossen Politik. Aber wir müssen uns auf wirtschaftliche Schritte vorbereiten. Vor Durchführung dieser Maßnahme muss ich erläutern, wie unsere Wirtschaftspolitik aussehen wird, damit das alle wissen. Zur politischen Seite haben wir den Friedensplan beschlossen, der großen Erfolg hat.

N. S. Chruschtschow:

Dazu habe ich eine andere Meinung. Vor Einführung des neuen Grenzregimes sollten Sie überhaupt nichts erläutern, denn das würde die Fluchtbewegung nur verstärken und könnte zu Staus führen. Das muss so gemacht werden, wie wir den Geldumtausch realisiert haben. Wir lassen euch jetzt ein, zwei Wochen Zeit, damit Ihr euch wirtschaftlich vorbereiten könnt. Dann beruft ihr das Parlament ein und verkündet folgendes Kommunique: "Ab morgen werden Posten errichtet und die Durchfahrt verboten. Wer passieren will, kann das nur mit Erlaubnis bestimmter Behörden der DDR tun." Es wird eine Ordnung eingeführt, um niemanden nach Berlin hinein und dann auch zur Grenze Berlins zum Westen (gemeint ist offenbar die Grenze zwischen Ost- und West-Berlin - d. Ü.) zu lassen.

Wenn diese Frage schon jetzt so gestellt wird, dann versuchen die Spießbürger - da sind sich russische und deutsche gleich - wegzukommen. An den Zufahrtsstraßen nach Berlin könnten sich Staus bilden, was eine bestimmte Demonstration wäre.

W. Ulbricht:

Das ist ein richtiges Argument.

N. S. Chruschtschow:

Genosse Perwuchin hat mir gesagt, man müsste die Außenlinie Berlins unter Kontrolle nehmen.

W. Ulbricht:

Das ist der übliche Standpunkt der Außenministerien, die vom Viermächtestatus der Stadt ausgehen. N. S. Chruschtschow:

Genosse Perwuchin hat gesagt: Sollen die Leute sich doch nach Westberlin absetzen, von dort kommen sie ohnehin nicht weg. Aber das ist undenkbar, denn dann entstehen in Westberlin riesige Lager, die sie den Touristen zeigen werden.

W. Ulbricht:

Ja, denn die Grenze verläuft innerhalb Berlins.

N. S. Chruschtschow:

Ich würde die Kontrolle nur in Berlin errichten, nicht außen herum.

W. Ulbricht:

Für den Anfang ist die Kontrolle der Außenlinie notwendig, damit die bewussten Personen sich nicht schon jetzt in Berlin ansammeln. Die Außenlinie besteht wegen des Viermächtestatus, wir sind jedoch der Meinung, dass die Grenze innerhalb Berlins verläuft. Vor allem muss es schnell gehen.

N. S. Chruschtschow:

Wenn die Grenze geschlossen wird, werden Amerikaner und Westdeutsche zufrieden sein. Botschafter Thompson hat mir gesagt, dass diese Flucht den Westdeutschen Ungelegenheiten bereitet.

Wenn Sie also diese Kontrolle errichten, werden alle zufrieden sein. Außerdem bekommen die Ihre Macht zu spüren.

W. Ulbricht:

Ja, dann wird eine Stabilisierung erreicht werden.

N. S. Chruschtschow:

Ich habe eine technische Frage. Wie wird die Kontrolle auf den Straßen realisiert, wo eine Seite in der DDR und die andere in Westberlin liegt?

W. Ulbricht:

Wir haben einen bestimmten Plan. In den Häusern, die Ausgänge nach Westberlin haben, werden die vermauert. An anderen Stellen werden Stacheldrahthindernisse errichtet. Der Stacheldraht ist bereits angeliefert. Das kann alles sehr schnell geschehen. Schwieriger wird es mit dem Verkehr. Wir werden die Bahnsteige von S- und U-Bahn für das Umsteigen nach Westberlin umbauen.

N. S. Chruschtschow:

Wer wird denn da umsteigen?

W. Ulbricht:

Der Teil der Bevölkerung, der eine Reiseerlaubnis erhält. Es gibt zum Beispiel 14 000 Personen, darunter viele Vertreter der Intelligenz, die in Westberlin wohnen und bei uns arbeiten.

N. S. Chruschtschow:

Eine weitere Frage. Wenn Ihr euren Leuten gestattet, in Westberlin zu wohnen, dürfen dann Personen, die bei euch wohnen, auch drüben arbeiten?

W. Ulbricht:

Nein, das wird nicht gestattet, das ist etwas anderes. Allerdings haben wir einige Tausend Kinder, vorwiegend aus kleinbürgerlichen Familien, die in Ostberlin wohnen und in Westberlin zur Schule gehen.

N. S. Chruschtschow:

Das muss unterbunden werden.

W. Ulbricht:

Ja, die lassen wir nicht mehr dorthin. Bisher sind unsere Züge nach Potsdam durch Westberlin gefahren. Jetzt werden sie es auf DDR-Gebiet umfahren müssen. Es besteht aber die Gefahr, dass die Westberliner Behörden und die Besatzungsmächte die Bahnhöfe in Westberlin beschlagnahmen, die uns gehören. Das wird ihnen allerdings schwer fallen, denn die Züge, die von dort abfahren, müssen unser Gebiet passieren.

N. S. Chruschtschow:

Dann werden sie das nicht tun, denn ihr könntet ihnen die Verkehrswege sperren.

W. Ulbricht:

Da entsteht das Problem der Militärzüge, die wir abfertigen müssen. Konflikte dieser Art wird es geben.

N. S. Chruschtschow:

Kleine Konflikte schaden nichts. Aber das muss klug gemacht werden, damit man uns nichts vorwerfen kann.

W. Ulbricht:

Wir haben bereits den Kampf gegen den Menschenhandel aufgenommen. Der Gegner spürt, dass wir uns darauf vorbereiten, die Grenze zu schließen. Gestern hat mich zum Beispiel ein englischer Korrespondent gefragt: Würden Sie heute die Grenze schließen? Ich habe gesagt, dass das von den Westmächten abhängt.

N. S. Chruschtschow:

Ich sehe, dass wir uns in dieser Frage richtig verstehen. W. Ulbricht:

Wie werden unsere Beratungen in Moskau praktisch ablaufen? Ich denke, man sollte mit einem Gespräch im Kreis der Ersten Sekretäre beginnen.

N. S. Chruschtschow:

Das wäre nicht schlecht, da aber die Ersten Sekretäre und die Vorsitzenden (der Regierungen - d.U.) hier angereist sind, wäre das unpassend.

W. Ulbricht:

Dann müssen wir mit einer Plenartagung beginnen.

N. S. Chruschtschow:

Ja, anders anzufangen wäre schwierig, denn den Delegationen gehören Politbüromitglieder an. Rapacki ist zum Beispiel Mitglied des Politbüros. Wir hatten Verdachtsmomente gegen ihn. Aber es liegt nichts vor, das ihn der Unlauterkeit überführen würde.

W. Ulbricht:

Bei uns liegt ebenfalls nichts gegen ihn vor. Aber über seinen Apparat sickern Informationen durch.

N. S. Chruschtschow:

Das hat mir auch Genosse Gomulka gesagt und darum gebeten, dass wir uns bei wichtigen Fragen direkt an ihn wenden sollen. Unser Verhältnis zu Rapacki ist so wie zu Cyrankiewicz: Das sind Freunde, die von den ehemaligen Sozialisten kommen. Wir führen also die erste Sitzung durch, und dann sehen wir weiter.

W. Ulbricht:

Danach wird es eine Sondersitzung geben müssen.

N. S. Chruschtschow:

Lassen Sie es uns doch so machen: Die Außenminister beauftragen wir, das Kommunique abzufassen, für die Ökonomen wird sich auch eine Arbeit finden, und nachdem wir sie auf diese Weise ausgeschlossen haben, finden wir uns zu der Beratung auf unserer Ebene zusammen.

W. Ulbricht:

Die Hauptfrage bei der Beratung im kleinen Kreis wird also sein, was geschieht, wenn die BRD nach dem Abschluss des Friedensvertrages eine Blockade verkündet.

N. S. Chruschtschow:

Diese Frage kann auf der Plenartagung besprochen werden, denn das ist nicht geheim.

W. Ulbricht:

Aber die Einzelheiten müssen im engeren Kreis erörtert werden.

Das Gespräch dauerte zwei Stunden und 15 Minuten.
Notiert: (Unterschrift)
(V. Koptelzew)

Quelle: Präsidentenarchiv der Russischen Föderation/Staatsarchiv für Zeitgeschichte, Moskau, dok.: Welt online, 30.5.2009.
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