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Todesopfer

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Den Opfern der Mauer: Fenster des Gedenkens der Gedenkstätte Berliner Mauer; Aufnahme 2010

Manfred Mäder

geboren am 23. August 1948
erschossen am 21. November 1986


in Höhe der Karpfenteichstraße
an der Sektorengrenze zwischen Berlin-Treptow und Berlin-Neukölln
Am Abend des 20. November 1986 teilt Manfred Mäder seiner Frau mit, dass "die Flucht in der Nacht steigen würde". Davon abbringen lässt er sich nicht. Das Ehepaar nimmt Abschied. Zusammen mit René Gross entwendet er einen LKW "W 50" mit einem Hebebühnenaufbau, der annähernd die Höhe der Mauer hat. Am frühen Morgen gegen 5.00 Uhr rasen die beiden Männer auf gerader Straße mit hoher Geschwindigkeit auf die Grenze zu.Manfred Mäder, geboren am 23. August 1948 in Prenzlau, ist Berufskraftfahrer. Ende der 1970er Jahre versucht er, erfolglos über die CSSR in den Westen zu fliehen. Er wird zu einer Haftstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt, die er in der Strafvollzugsanstalt Bautzen II verbüßen muss.

Manfred Mäder, erschossen an der Berliner Mauer: MfS-Foto vom Fluchtfahrzeug, 21. November 1986
Nach seiner Haftentlassung hat Manfred Mäder kaum berufliche Chancen. „Er musste die billigsten Hofarbeiten machen, für die sich kein anderer fand", und einmal wöchentlich hatte er sich bei der Volkspolizei zu melden, berichtet seine Frau, die Manfred Mäder 1985 heiratet. Er zieht zu ihr und ihrer kleinen Tochter - in eine Wohnung, die unmittelbar an der Mauer in Berlin-Treptow liegt. [1] Im Jahr darauf beantragt die Familie die Ausreise aus der DDR. [2] Ausreiseanträge wurden zwar von den zuständigen Stellen – den Abteilungen Inneres der Räte der Bezirke und Kreise – entgegengenommen, doch erfuhr man selten, ob sie überhaupt jemals genehmigt würden, es sei denn, die Genehmigung stand unmittelbar bevor. Mit einem Ausreiseantrag zu leben hieß, zwischen Hoffnung und Resignation in Unsicherheit darüber zu existieren, wo und wie man die nächsten Jahre zubringen würde. Manfred Mäder hält diese Abhängigkeit von der Gnade der Behörden nicht aus. Er will über seine Zukunft und die seiner Familie selbst bestimmen. Seine Frau lehnt eine Flucht wegen der Gefahr für ihre Tochter ab. Als Manfred Mäder jedoch René Gross kennen lernt, der ebenfalls einen Ausreiseantrag gestellt hat, sind die beiden Männer sich bald einig, ihren Familien voraus nach West-Berlin zu fliehen. [3] Dass anderen aus ihrem Bekanntenkreis die Flucht gelang, mag sie in ihrem Vorhaben zusätzlich bestärkt haben. [4]

Am Abend des 20. November 1986 teilt Manfred Mäder seiner Frau mit, dass „die Flucht in der Nacht steigen würde". [5] Davon abbringen lässt er sich nicht; das Ehepaar nimmt Abschied. Zusammen mit René Gross entwendet er einen LKW „W 50" mit einem Hebebühnenaufbau, der annähernd die Höhe der Mauer hat. [6] Am frühen Morgen gegen 5.00 Uhr rasen die beiden Männer auf gerader Straße mit hoher Geschwindigkeit auf die Grenze zu, wo sie die Berliner Stadtteile Treptow und Neukölln trennt. Sie durchbrechen ein Grenztor in der Hinterlandsicherungsmauer und den Signalzaun. Nach einer scharfen Rechtskurve kommt das Fahrzeug parallel zum Grenzverlauf am Sockel der Betonmauer zu West-Berlin zum Stehen. [7] Von zwei Wachtürmen aus und von herbeieilenden Grenzern wird Dauerfeuer geschossen, bis beide Flüchtlinge tot bzw. schwer verletzt am Boden liegen. Manfred Mäder, der von den Aufbauten des LKW aus auf die Mauerkrone gesprungen ist, trifft eine Kugel in den linken Oberschenkel. Er fällt auf die Ostseite zurück und verblutet. René Gross, der die Flucht aufgegeben hat und unter dem LKW Feuerschutz sucht, wird durch einen Kopfschuss getötet. [8]
Manfred Mäder, erschossen an der Berliner Mauer: MfS-Foto vom Fluchtfahrzeug an der Grenzmauer in Berlin-Treptow in Höhe der Karpfenteichstraße, 21. November 1986
Manfred Mäder, erschossen an der Berliner Mauer: MfS-Foto vom durchbrochenen Grenztor in Berlin-Treptow in Höhe der Karpfenteichstraße, 21. November 1986
Die beteiligten Grenzsoldaten werden vom Dienst abgelöst und noch am selben Tag - unter anderem mit der „Verdienstmedaille der Grenztruppen der DDR" in Bronze - ausgezeichnet und zu einem Bankettessen eingeladen. [9] Ein Ermittlungsverfahren der DDR-Militärstaatsanwaltschaft wird zwei Monate später mit der Begründung, es handele sich um tödliche Verletzungen „infolge selbstverschuldeter Handlungen", eingestellt. Knapp 18 Jahre später verurteilt das Berliner Landgericht den Todesschützen von Manfred Mäder wegen Totschlags in einem „minder schweren Fall" zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung. [10] Wer René Gross erschossen hat, kann nicht geklärt werden.

Anwohner des West-Berliner Bezirks Neukölln werden gegen 5.00 Uhr durch „’detonationsartige Geräusche’, begleitet von Schüssen aus Maschinenpistolen" aus dem Schlaf gerissen. [11] West-Berliner Polizei und Zoll versuchen, Aufschluss über das Geschehen zu erlangen, doch sie können den Fluchtort nicht einsehen. Angesichts der starken Präsenz auf West-Berliner Seite verzichten Grenztruppen und Staatssicherheit aus „politisch-operativen Gründen" auf die Untersuchung des Tatortes und beseitigen alle vorhandenen Spuren. [12] Um einen möglichen „Informationsabfluss" zu unterbinden, sperrt die Stasi die öffentliche Telefonzelle im betroffenen Grenzregiment [13], lässt die beteiligten Grenzsoldaten Schweigeverpflichtungen unterschreiben und kontrolliert ihre Post. Die Ehefrauen der Getöteten werden mit dem Ziel der „Einflußnahme zur Verhinderung eines DDR-schädlichen Verhaltens" überwacht. [14]

Bereits am Morgen des 21. November 1986 berichten westliche Radiosender über einen gescheiterten Fluchtversuch nach West-Berlin. Der Ehefrau von Manfred Mäder ist sofort klar, dass es sich nur um die Flucht ihres Mannes und seines Begleiters handeln kann. Noch am selben Abend wird sie von der Staatssicherheit aufgesucht, die sie zur Vernehmung ins Präsidium der Volkspolizei nach Berlin-Mitte mitnimmt. Dort erfährt sie, dass ihr Mann bei einem Fluchtversuch erschossen wurde. Sie muss sich schriftlich verpflichten, über die Todesumstände Stillschweigen zu bewahren und die Bestattung im engsten Familienkreis durchzuführen.

Manfred Mäder wird im Grab seiner Eltern beigesetzt. Seine Frau wird von Monat zu Monat vertröstet, bevor ihr schließlich im Dezember 1987 die Ausreise aus der DDR gestattet wird. [15]

In Berlin wird 2011 in der Kiefholzstraße eine Erinnerungstafel für Manfred Mäder, René Gross und weitere Menschen, die im Grenzgebiet zwischen Treptow und Neukölln ihr Leben verloren haben, angebracht. In seiner Geburtsstadt Prenzlau wird ebenfalls 2011 eine Gedenktafel für Manfred Mäder enthüllt. Kurz zuvor hatten Familienangehörige die Beräumung der Grabstelle veranlasst.

Text: Udo Baron

[1] Vgl. Protokoll der Zeugenvernehmung der Witwe von Manfred Mäder durch die Reutlinger Polizei, 14.4.1992, in: StA Berlin, Az. 27 Js/56 Js 275/03, Bd. 2, Bl. 58-59. [2] Vgl. Information der BVfS Berlin/Abt. IX, 23.11.1986, in: BStU, MfS, HA I Nr. 5795, Bl. 58-63. [3] Vgl. Protokoll der Zeugenvernehmung der Witwe von René Gross durch die Berliner Polizei, 29.1.1991, in: StA Berlin, Az. 27 Js/56 Js 275/03, Bd. 1, Bl. 89. [4] Vgl. Protokoll der Zeugenvernehmung der Witwe von Manfred Mäder durch die Reutlinger Polizei, 14.4.1992, in: StA Berlin, Az. 27 Js/56 Js 275/03, Bd. 2, Bl. 58. [5] Ebd., Bl. 58. [6] Vgl. zum Geschehensablauf die Sachverhaltsfeststellungen im Urteil des Landgerichts Berlin vom 10.5.2004, in: StA Berlin, Az. 27 Js/56 Js 275/03, Bd. 7, Bl. 206-209. [7] Vgl. Information der BVfS Berlin/Abt. IX, 23.11.1986, in: BStU, MfS, HA I Nr. 5795, Bl. 58. [8] Vgl. ebd. [9] Vgl. Urteil des Landgerichts Berlin vom 10.5.2004, in: StA Berlin, Az. 27 Js/56 Js 275/03, Bd. 7, Bl. 210. [10] Vgl. ebd., Bl. 190-191, 224 ff. [11] Süddeutsche Zeitung, 22.11.1986. [12] Information der BVfS Berlin/Abt. IX, 23.11.1986, in: BStU, MfS, HA I Nr. 5795, Bl. 60. [13] Vgl. Bericht des MfS/HA I/Grenzkommando Mitte/Abteilung Abwehr über die Verhinderung eines Grenzdurchbruches DDR - Berlin (West) am 21.11.1986, 21.11.1986, in: BStU, MfS, HA I Nr. 5795, Bl. 55. [14] Information der BVfS Berlin/Abt. IX, 23.11.1986, in: BStU, MfS, HA I Nr. 5795, Bl. 63. [15] Vgl. Protokoll der Zeugenvernehmung der Witwe von Manfred Mäder durch die Reutlinger Polizei, 14.4.1992, in: StA Berlin, Az. 27 Js/56 Js 275/03, Bd. 2, Bl. 60-61.
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