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Todesopfer

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Hans-Joachim Zock: Geboren am 26. Januar 1940, gestorben zwischen dem 14. und 17. November 1970 bei einem Fluchtversuch (Aufnahmedatum unbekannt)
Den Opfern der Mauer: Fenster des Gedenkens der Gedenkstätte Berliner Mauer; Aufnahme 2010

Hans-Joachim Zock

geboren am 26. Januar 1940
ertrunken zwischen dem 14. und 17. November 1970


in der Spree
an der Sektorengrenze zwischen Berlin-Friedrichshain und Berlin-Kreuzberg
Jahrelang war Hans-Joachim Zock den Schikanen der Staatssicherheit ausgesetzt. Am 13. November 1970 löste er einen Fahrschein von Halle nach Ost-Berlin und unternahm einen Fluchtversuch durch die Spree. Erst Wochen später wurde seine Leiche im Wasser gefunden.Am 17. Dezember 1970 birgt die Ost-Berliner Wasserschutzpolizei eine männliche Wasserleiche aus der Spree. Der Mann, der in Höhe des Heizkraftwerkes Mitte gefunden wird, ist mit einer dunkelblauen Strumpfhose, einem dunkelgrünen Pullover, schwarzen Lederhandschuhen und einem grau-schwarzen Schal bekleidet. Darunter trägt er ein weißes Hemd mit Manschettenknöpfen und eine Krawatte. [1] Im linken Bein der Strumpfhose hat der Tote persönliche Dokumente wasserdicht verpackt, darunter einen DDR-Personalausweis, eine Fahrerlaubnis, mehrere Fotografien eines Kindes – vermutlich seines Sohnes – und einen frankierten Brief an seine westdeutsche Tante. Anhand dieser Dokumente steht ohne Zweifel fest: Der Tote ist der bereits am 24. November 1970 als vermisst gemeldete Hans-Joachim Zock. [2] Aus dem Brief geht sein Plan hervor, durch die Spree zu schwimmen, um aus der DDR nach West-Berlin zu flüchten.

Hans-Joachim Zock wird am 26. Januar 1940 in Berlin geboren und wohnt zuletzt in Halle-Neustadt. [3] Alles, was wir über ihn wissen, beruht auf Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes und ist von dessen Sicht und Bewertung eines „Republikflüchtlings“ gefärbt. Hans-Joachim Zock ist vom 1. April 1955 bis Ende August 1956 als Page und Kellnerlehrling des Gästehauses der DDR-Regierung in Ost-Berlin angestellt, weshalb er vor seiner Einstellung von der Hauptabteilung Personenschutz des Staatssicherheitsdienstes überprüft und registriert wird. Seine Arbeitsdisziplin habe sich verschlechtert, so die Stasi, seit er mit anderen Lehrlingen vermehrt Kinobesuche in West-Berlin unternommen habe. Wegen vermeintlicher Disziplinlosigkeit wird das Arbeitsverhältnis daraufhin gekündigt. Zock setzt seine Ausbildung am 1. September 1956 im HO (Handelsorganisation)-Gaststättenbetrieb Berlin-Mitte fort. [4] Jedoch wird auch diese Ausbildung unterbrochen: Am 21. Dezember 1956 siedelt Hans-Joachim Zock in die Bundesrepublik über und wohnt in Bad Salzuflen bei Bielefeld. Dreieinhalb Jahre später, am 23. Juni 1960, kehrt er nach Ost-Berlin zurück. [5] Aus den Stasi-Akten erfahren wir ohne weitere Hintergründe von zwei Strafverfahren: Am 3. März 1961 wird er vom Stadtbezirksgericht Berlin-Friedrichshain wegen schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, die zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wird. [6] Und am 25. November 1965 verurteilt ihn das Kreisgericht Rügen wegen „fortgesetzter Untreue in Tateinheit mit fortgesetzter Unterschlagung zum Nachteil des gesellschaftlichen Eigentums“ [7] zu zehn Monaten Haft, ebenfalls auf zwei Jahre Bewährung.

Vom 1. Januar 1965 bis zum Frühsommer 1970 ist er im VEB Chemische Werke Buna angestellt, ab dem 6. April 1965 als Chargierer im Polystyrolbetrieb und ab dem 1. Oktober 1967 als Abstichmann in der Karbidfabrik. Obwohl er Mitglied der Kampfgruppe und der FDJ-Leitung des Betriebes ist, gerät er in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre fortgesetzt ins Visier der Geheimpolizei. 1965 gehört er zum Verdächtigenkreis, als es im Polystyrolbetrieb zu einer Havarie kommt, da er zwei Stunden vor der Havarie, der Aussage eines Zeugen zufolge, an der betreffenden Maschine gesehen wurde, „obwohl dies nicht sein Arbeitsplatz war“ [8]. Daraufhin wird er vier bis fünf Stunden vernommen und unter „operativer Kontrolle“ gehalten. Bei einer zweiten Havarie im Oktober 1965 gehört er erneut zu den Verdächtigen, auch wenn nichts gegen ihn vorliegt. Wieder wird Hans-Joachim Zock mehrere Stunden verhört, wenngleich dies zu keinem Ergebnis führt – der oder die Täter werden nie gefasst.

Wegen seiner als „undurchsichtig“ eingeschätzten Haltung prüft die Stasi konspirativ sein Alibi, als in die Waffenkammer der Kampfgruppe des Betriebes eingebrochen wird. Kollegen, auch solche, die zu seinen Vertrauten gehören, werden zu ihm befragt. Trotz der gewünschten Geheimhaltung erfährt Hans-Joachim Zock davon, da einer der Befragten „schwatzhaft“ gewesen sei, wie die Stasi notiert. Der Täter wird ermittelt, Zock unterhält zu ihm keinerlei Verbindung. Als im Februar 1970 Broschüren der FDJ in den Räumen der FDJ-Leitung der Karbidfabrik Buna mit Äußerungen beschmiert werden, die sich gegen das Treffen von Bundeskanzler Willy Brandt und DDR-Ministerpräsident Willi Stoph in Erfurt richten, trifft Hans-Joachim Zock offenbar schon fast gewohnheitsmäßig erneut Verdacht. Er wird stundenlang verhört, und, obwohl auch hier der Täter ermittelt werden kann, unter weitere „operative Bearbeitung“ gestellt. [9]

Am 20. Mai 1970 wird Hans-Joachim Zock wegen angeblich „ständiger Verstöße gegen die Arbeitsdisziplin“ [10] fristlos entlassen, nachdem er zuvor zwei Verweise erhalten hat. Bereits fünf Tage später nimmt er eine Arbeit als Kellner im HO-Gaststättenbetrieb Halle auf.

Staatssicherheitsberichte kreiden ihm wiederholten Alkoholkonsum während der Arbeit an – und den angeblichen Versuch, eine Hochzeitsgesellschaft bei der Abrechnung zu betrügen. Seit Anfang August 1970 erscheint er nicht mehr zur Arbeit, weshalb ihm am 17. August fristlos gekündigt wird. [11] Den Angaben der Stasi zufolge soll er seitdem keiner geregelten Tätigkeit mehr nachgegangen sein.

Am 13. November 1970 verlässt Hans-Joachim Zock gegen 13.30 Uhr seine Wohnung in Halle-Neustadt. Er verabschiedet sich mit den Worten, nach einer neuen Arbeit Ausschau halten zu wollen. [12] Vier Tage später werden auf dem Gelände des Baustoffkombinats Berlin Werk III an der Böschung der Spree ein hellgrauer Teledmantel sowie ein grüner Kunstfaseranzug gefunden. Die Kleidungsstücke lassen sich nach dem Fund seiner Leiche eindeutig Hans-Joachim Zock zuordnen. In der Tasche des Mantels befindet sich eine D-Zug-Karte von Halle nach Berlin, die am 13. November gekauft und benutzt wurde. Wie die Stasi im Nachhinein herausfindet, trifft er sich am Abend des 13. November 1970 von circa 17 Uhr bis kurz vor 1 Uhr nachts mit einer Verwandten seiner ersten Ehefrau in einer Ost-Berliner Kneipe. Ihr habe er erzählt, dass er beruflich unterwegs sei, in Ost-Berlin Halt mache, da er sein Kind vermisse und es besuchen wolle. Außerdem sollen in diesem Gespräch vor allem seine familiären Probleme Thema gewesen sein. Hans-Joachim Zock habe mitgeteilt, dass er sein Gepäck in einem Hotelzimmer am Ostbahnhof abgestellt habe. Am Sonntag wolle er die Rückreise nach Halle antreten. Als er die Gaststätte verlassen habe, so die Verwandte seiner ersten Frau, habe er lediglich 1,50 Mark bezahlen müssen und sei nicht alkoholisiert gewesen. [13]

Die Obduktion seines Leichnams ergibt, dass sich der Todeseintritt auf die Zeit zwischen dem 14. und 17. November 1970 datieren lässt. Bis zum Fund seines Körpers waren demnach vier bis sechs Wochen vergangen. Er starb höchstwahrscheinlich durch Ertrinken, denn andere Verletzungen oder organische Schäden wurden nicht festgestellt. [14]

Was auch immer Hans-Joachim Zock letztendlich zu seinem Fluchtversuch durch das kalte Wasser der Spree bewogen haben mag, lässt sich rückblickend nicht feststellen. Fakt hingegen ist: Jahrelang war er den Schikanen der Stasi ausgesetzt. Einem Sündenbock gleich gehörte er bei Problemen im Betrieb fast automatisch zum Kreis der Verdächtigen, obwohl ihn nie eine Schuld traf. Selbst der Staatssicherheitsdienst muss abschließend feststellen: „Bei allen Befragungen des Zock wurde niemals eine Straftat festgestellt.“ [15]

In dem Brief an seine Tante, den er bei sich hatte und der das Datum des 12. November trägt – des Tages vor seinem Aufbruch nach Ost-Berlin – kündigt er sein Fluchtvorhaben an und schreibt über sein Motiv: „ … auf der Arbeit sind in letzter Zeit einige undurchsichtige Reparaturen angefallen, und man nimmt an Sabotage. Jetzt kannst Du Dir ja vorstellen, was passierte, mehrere Male Staatssicherheitsverhöre und das 15 Stunden lang nach der Arbeit von zwölf Stunden.“ [16] Das Misstrauen der Stasi ihm gegenüber führt er darauf zurück, dass er zeitweilig in Westdeutschland gelebt habe – wohin zurückzukehren ihm versagt blieb.

Text: Nora Prüfer

[1] Vgl. Obduktionsbericht des Leichnams von Hans-Joachim Zock, Sekt. Nr. 1799/70, Berlin, 21.12.1970. [2] Vgl. Volkspolizeirevier Halle-Neustadt, Vermißtenanzeige, 24.11.1970, in: BStU, MfS, AS 105/72, Bd. 2, Bl. 71. [3] Vgl. Bericht der (MfS-)Hauptabteilung IX/7 über den nicht natürlichen Tod des DDR-Bürgers Zock, Hans-Joachim beim Versuch des Grenzdurchbruches nach Westberlin, 28.1.1971, in: Ebd., Bl. 7f. [4] Vgl. Protokoll der (MfS-)Hauptabteilung IX/7 über Auswertung der Archivakte P 11516/56, in: Ebd., Bl. 93. [5] Vgl. Bericht der (MfS-)Hauptabteilung IX/7 über den nichtnatürlichen Tod des DDR-Bürgers Zock, Hans-Joachim beim Versuch des Grenzdurchbruches nach Westberlin, 28.1.1971, in: Ebd., Bl. 9. [6] Vgl. Strafnachricht des Stadtbezirksgericht Berlin-Friedrichshain, 30.3.1961, in Ebd., Bl. 36. [7] Strafnachricht des Kreisgerichts Rügen, 25.11.1965, in: BStU, MfS, AS 105/72, Bd. 2, Bl.36a. [8] Bericht der (MfS-)Hauptabteilung IX/7 über den nichtnatürlichen Tod des DDR-Bürgers Zock, Hans-Joachim, beim Versuch des Grenzdurchbruches nach Westberlin, 28.1.1971, in: BStU, MfS, AS 105/72, Bd. 2, Bl. 10. [9] Vgl. ebd., Bl. 10-11. [10] Ebd., Bl. 11. [11] Vgl. (MfS-)HA IX/7, Akteneinsicht in VPKA Halle-Neustadt, 23.12.1970, in: Ebd., Bl. 91-92. [12] Vgl. Volkspolizeirevier Halle-Neustadt, Vermißtenanzeige, 24.11.1970,, in: Ebd., Bl. 71. [13] Vgl. Präsidium der Volkspolizei Berlin, Abteilung Kriminalpolizei Dezernat III, Protokoll in der Todesermittlungssache Zock, Hans-Joachim, 4.1.1971, in: BStU, MfS, AS 105/72, Bd. 2, Bl. 105. [14] Vgl. Obduktionsbericht des Leichnams von Hans-Joachim Zock, Sekt. Nr. 1799/70, Berlin, 21.12.1970. [15] (MfS-)HA IX/7, Protokoll über die Rücksprache mit dem Leiter der Objektdienststelle Buna, Genosse Hptm. Schmidt, 23.12.1970, in: BStU, MfS, AS 105/72, Bd. 2, Bl. 84. [16] Zock, Hans-Joachim, zit. nach: Bericht der (MfS-)Hauptabteilung IX/7 über den nichtnatürlichen Tod des DDR-Bürgers Zock, Hans-Joachim, beim Versuch des Grenzdurchbruches nach Westberlin, 28.1.1971, in: BStU, MfS, AS 105/72, Bd. 2, Bl. 8.
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