Todesopfer > Weckeiser, Dieter und Elke

Todesopfer

Zurück zur Übersicht
Dieter Weckeiser: geboren am 15. Februar 1943, angeschossen am 18. Februar 1968 bei einem Fluchtversuch an der Berliner Mauer, an den Folgen am 19. Februar 1968 gestorben (Aufnahmedatum unbekannt)
Elke Weckeiser: geboren am 31. Oktober 1945, erschossen am 18. Februar 1968 bei einem Fluchtversuch an der Berliner Mauer (Aufnahmedatum unbekannt)

Dieter und Elke Weckeiser

Dieter Weckeiser
geboren am 15. Februar 1943
angeschossen am 18. Februar 1968
gestorben am 19. Februar 1968 an den Folgen der Schussverletzungen

Elke Weckeiser
geboren am 31. Oktober 1945
erschossen am 18. Februar 1968


gegenüber dem Reichstagsgebäude, nahe der Kronprinzenbrücke
an der Sektorengrenze zwischen Berlin-Mitte und Berlin-Tiergarten
Die Temperaturen liegen um den Gefrierpunkt, als das junge Ehepaar Weckeiser am Abend des 18. Februar 1968 den Versuch unternimmt, die Grenze nach West-Berlin zu überwinden. Allerdings an einer Stelle, die besonders bewacht und gesichert ist: in der Stadtmitte an der Spree, schräg gegenüber vom Reichstagsgebäude. Hier hätten sie – nach Überwindung des Stacheldrahtes und einer Wachhund-Laufanlage – einen drei Meter hohen Streckmetallzaun überklettern, danach die eiskalte Spree durchschwimmen und am gemauerten Ufer auf der anderen Seite wieder empor kommen müssen.
Elke und Dieter Weckeiser, erschossen an der Berliner Mauer: Hochzeitsfoto (November 1966)
Dieter Weckeiser, geboren am 15. Februar 1943 in Rhodebach/Ostpreußen, ist gerade 25 Jahre alt geworden, als er Mitte Februar 1968 von Grenzposten erschossen wird. Fluchten bestimmten sein kurzes Leben. [1] Nachdem sein Vater 1943 an der Ostfront gefallen ist, flieht seine Mutter 1944 mit dem kleinen Jungen ins westpreußische Elbing. Als im Januar 1945 die Rote Armee naht, geht die Flucht weiter Richtung Westen. Die Weckeisers verbringen einige Jahre an verschiedenen Orten in der damaligen sowjetischen Besatzungszone, bis sie schließlich 1949 in die Bundesrepublik gelangen. Es folgen Aufenthalte in Flüchtlingsheimen und Obdachlosenasylen. Erst als die Mutter 1954 wieder heiratet, kann die Familie im westfälischen Warendorf sesshaft werden.

Der Heranwachsende leidet an Tuberkulose, als Siebenjähriger verbringt er ein halbes Jahr in einer Heilanstalt, wo ihn die Mutter nicht besuchen kann. Nach dem Schulabschluss lässt sich Dieter Weckeiser zum Möbelpolsterer ausbilden. In dieser Zeit lernt er Renate G. kennen, die im März 1961 aus der DDR nach Warendorf gekommen ist. Er will sie heiraten, seine Mutter und sein Stiefvater lehnen jedoch die Beziehung ab. Von nun an häufen sich die familiären Konflikte, wie die Mutter später gegenüber der Berliner Staatsanwaltschaft aussagen wird.

Ohne Wissen der Eltern zieht Dieter Weckeiser im Juli 1962 mit der schwangeren Freundin nach West-Berlin und versucht, dort Fuß zu fassen, was dem jungen Paar jedoch nicht gelingt. Auf Drängen seiner Freundin findet er sich bereit, in die DDR zu übersiedeln, nach Fürstenwalde/Spree, wo die Eltern von Renate G. leben. Dort heiratet das Paar 1962; drei Kinder werden in der Ehe geboren. Dieter Weckeiser arbeitet in verschiedenen Berufen, u.a. als Innenausstatter und Beifahrer. 1966 wird die Ehe geschieden, kurz darauf erkrankt Dieter Weckeiser schwer. [2]

Während dieser Zeit lernt er die damals 20-jährige Elke Möbis kennen, die nach einer Ausbildung zur Zwirnerin als Küchenhilfe in einer Betriebskantine in Fürstenwalde arbeitet. Ende November 1966 heiraten die beiden. Im darauf folgenden Jahr trifft Dieter Weckeiser zum ersten Mal seit der fluchtartigen Abreise aus Warendorf seine Mutter wieder. Nach Fürstenwalde darf sie nicht einreisen, also treffen sie sich während einer Woche täglich in Ost-Berlin, wohin die Mutter mit einem Tagesvisum von West-Berlin aus gelangt. Bei diesen letzten Begegnungen erzählt Dieter Weckeiser seiner Mutter, dass er politisch angeeckt sei, als er versucht habe, das offizielle Bild vom klassenfeindlichen Westdeutschland aus eigener Erfahrung zu korrigieren. Und er äußert den Wunsch, "nach Hause" zu kommen, in den Westen. [3]
Elke und Dieter Weckeiser, erschossen an der Berliner Mauer: Aufnahme der West-Berliner Polizei mit Einzeichnung des Tatgeschehens im Todesstreifen zwischen Berlin-Tiergarten und Berlin-Mitte, 18. Februar 1968
Die Temperaturen liegen um den Gefrierpunkt, als das junge Ehepaar Weckeiser am Abend des 18. Februar 1968 den Versuch unternimmt, die Grenze nach West-Berlin zu überwinden. Allerdings an einer Stelle, die besonders bewacht und gesichert ist: in der Stadtmitte an der Spree, schräg gegenüber vom Reichstagsgebäude. Hier hätten sie – nach Überwindung des Stacheldrahtes und einer Wachhund-Laufanlage – einen drei Meter hohen Streckmetallzaun überklettern, danach die eiskalte Spree durchschwimmen und am gemauerten Ufer auf der anderen Seite wieder empor kommen müssen. Das wäre ohne Hilfsmittel nahezu unmöglich gewesen. Als sie gegen 23.00 Uhr den ersten Stacheldrahtzaun durchkriechen, werden sie vom Postenturm aus entdeckt und ohne Anruf beschossen. 17 Schuss werden vom Turm auf sie abgegeben; Elke Weckeiser wird in Brust und Oberschenkel getroffen, Dieter Weckeiser erleidet einen Schädeldurchschuss.
Elke und Dieter Weckeiser, erschossen an der Berliner Mauer: Aufnahme der West-Berliner Polizei mit Markierung des Tatortes im Todesstreifen zwischen Berlin-Tiergarten und Berlin-Mitte, 18. Februar 1968
Ein Sanitätswagen bringt die lebensgefährlich Verletzten in das nahe gelegene VP-Krankenhaus; dort erliegt die junge Frau noch in der Nacht ihren schweren Verletzungen, ihr Ehemann stirbt trotz einer Notoperation am darauf folgenden Tag.

Die beteiligten Grenzsoldaten werden belobigt und mit der "Medaille für vorbildlichen Grenzdienst" ausgezeichnet, einer von ihnen wird vorzeitig zum Gefreiten befördert. Dreißig Jahre später müssen sie sich für die Schüsse auf Elke und Dieter Weckeiser vor dem Landgericht Berlin verantworten. Der Todesschütze wird 1997 wegen Totschlags "in einem minderschweren Fall" zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Sein Vorgesetzter, für den die Getöteten noch vor Gericht "zwei sich absichtlich selbstgefährdende Grenzverletzer" sind, wird freigesprochen, weil er für den "Exzess" des Todesschützen nach Ansicht des Gerichts rechtlich nicht haftbar gemacht werden kann. [4] Die Mehrheit der an der Grenze eingesetzten Offiziere und Soldaten hat zuvor in ihren polizeilichen Vernehmungen bekundet, dass der Schusswaffeneinsatz objektiv nicht erforderlich war. [5]

Um die Todesumstände des jungen Ehepaares zu verschleiern, plant die Staatssicherheit eine "Legendierung" und die gezielte Rufschädigung der Erschossenen. [6] Man beschließt sogar, Zahlungsverpflichtungen Dieter Weckeisers aus der Staatskasse zu begleichen, um zu verhindern, "daß die Gläubiger (...) selbst Nachforschungen anstellen und dabei über die konkreten Umstände des Todes des Ehepaares Weckeiser Kenntnis erhalten". [7] Der geschiedenen Frau von Dieter Weckeiser erzählt die Staatssicherheit, ihr früherer Mann sei zusammen mit seiner neuen Frau bei einem Verkehrsunfall mit einem gestohlenen Auto ums Leben gekommen. Die Post aller Angehörigen des getöteten Ehepaars wird überwacht beziehungsweise eingezogen. So erfährt Dieter Weckeisers Mutter, die sich zuvor vergeblich mit Anfragen an die Volkspolizei gewandt hatte, erst ein Jahr nach dessen Tod durch einen direkten Kontakt zwischen den Pfarrern ihres Wohnortes im Westen und Fürstenwaldes im Osten, dass ihr Sohn bei einer Flucht umgekommen sei. [8]

Die Urne mit der Asche von Elke Weckeiser wird am 7. Mai 1968 im Grab ihrer Mutter in Fürstenwalde beigesetzt. Ihre Halbschwester musste zuvor der Stasi versichern, dass sie auf eine "feierliche Bestattung" und auf eine Anzeige in der Presse verzichtet. [9] Die Urne mit Dieter Weckeisers Asche wird den Angehörigen auf Veranlassung der Staatssicherheit vorenthalten und auf dem Friedhof Baumschulenweg in Berlin-Treptow vergraben.

Text: Martin Ahrends/Udo Baron

[1] Zu dem im folgenden geschilderten Lebensweg von Dieter und Elke Weckeiser vgl. Zeugen-Vernehmung von Margarete G. [der Mutter von Dieter Weckeiser] durch die West-Berliner Polizei, 13.4.1993, in: StA Berlin, Az. 27 Js 106/90, Bd. 2, Bl. 55-58; Zeugen-Vernehmung von Margarete G. [der Mutter von Dieter Weckeiser] durch das Amtsgericht Warendorf, 20.3.1997, in: StA Berlin, Az. 27 Js 106/90, Bd. 8, Bl. 37-42. [2] Vgl. ebd., sowie: Fernschreiben Nr. 286 [des MfS]/KD Fürstenwalde an die VfS Groß-Berlin/Abt. IX, 19.2.1968, in: BStU, MfS, AS 198/69, Nr. 1, Bl. 49. [3] Zeugen-Vernehmung von Margarete G. [der Mutter von Dieter Weckeiser] durch das Amtsgericht Warendorf, 20.3.1997, in: StA Berlin, Az. 27 Js 106/90, Bd. 8, Bl. 37-42, Zitat Bl. 40. [4] Vgl. Urteil des Landgerichts Berlin vom 18.4.1997, in: StA Berlin, Az. 27 Js 106/90, Protokoll-/Urteilsakte, Bl. 84-137. – Zum Prozess im Fall Elke und Dieter Weckeiser vgl. auch: Roman Grafe, Deutsche Gerechtigkeit. Prozesse gegen DDR-Grenzschützen und ihre Befehlsgeber, München 2004, S. 281-284. [5] Vgl. Urteil des Landgerichts Berlin vom 18.4.1997, in: StA Berlin, Az. 27 Js 106/90, Protokoll-/Urteilsakte, Bl. 84-137, hier Bl. 106. [6] Vgl. Vorschlag der VfS Groß-Berlin/Abt. IX zum Inhalt des Gesprächs, das mit der westdeutschen Bürgerin [Name geschwärzt] im Zusammenhang mit dem Tod ihres Sohnes geführt werden soll, 30.4.1968, in: BStU, MfS, AS 198/69, Nr. 1, Bl. 264-267. [7] Vorschlag der VfS Groß-Berlin/Abt. IX, 7.5.1968, in: BStU, MfS, AS 198/69, Nr. 1, Bl. 271-274, Zitat Bl. 272. [8] Vgl. Schreiben des Pfarrers des Evangelischen Pfarramtes Fürstenwalde/Spree, Kieselbach, an seinen Amtsbruder in Warendorf, 22.1.1968 [Privatarchiv der Familie Weckeiser]. [9] Handschriftliche Erklärung der Halbschwester von E. W. gegenüber der Stasi, 26.2.1968, in: BStU, MfS, AS 198/69, Nr. 1, Bl. 189.
Zum Seitenanfang