Todesopfer > Sahmland, Max

Todesopfer

Zurück zur Übersicht
Max Sahmland: geboren am 28. März 1929, angeschossen und ertrunken am 27. Januar 1967 bei einem Fluchtversuch im Berliner Grenzgewässer (Aufnahmedatum unbekannt)
Max Sahmland, angeschossen und ertrunken im Berliner Grenzgewässer: MfS-Foto vom Grabstein in West-Berlin (Aufnahmedatum unbekannt)

Max Sahmland

geboren am 28. März 1929
angeschossen und ertrunken am 27. Januar 1967


im Teltowkanal in der Nähe der Kanalstraße
an der Sektorengrenze zwischen Berlin-Treptow und Berlin-Neukölln

Sahmland, Max

Max Sahmland, geboren am 28. März 1929 in Berlin, ist bei Kriegsende 16 Jahre alt und hat es offenbar schwer, sich in den deutschen Nachkriegsalltag einzufinden. Er arbeitet nach der Schule in der Landwirtschaft und als Schmied im Schwermaschinenbau Wildau. Ohne seine Frau und die beiden Kinder soll er einem Bericht der West-Berliner Polizei zu Folge im Januar 1961 nach West-Berlin übergesiedelt sein. [43] Warum er diesen Weg wählt, ist ebenso wenig bekannt – gegenüber der Volkspolizei gibt er später als Motiv angeblich Ehestreitigkeiten an [44] -, wie die Gründe für seine Rückkehr in die DDR wenige Monate später. Die Ehe zerbricht. Alkoholprobleme führen dazu, dass er wiederholt mit dem Gesetz in Konflikt gerät. 1964 muss er eine achtzehnmonatige Gefängnisstrafe wegen schuldhaften Verursachens eines Verkehrsunfalls verbüßen. [45] Anfang Januar 1967 wird er vom Kreisgericht Königs Wusterhausen wegen Körperverletzung zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe mit anschließender Einweisung in eine Trinkerheilanstalt verurteilt. Er soll in betrunkenem Zustand seine Verlobte verprügelt und die von ihr zu Hilfe gerufenen Volkspolizisten beschimpft haben. [46] Max Sahmland möchte nicht noch einmal eingesperrt werden. Deshalb entschließt er sich, nach West-Berlin zu fliehen – gemeinsam mit seiner Verlobten. [47] Deren Cousin lebt in West-Berlin; eine Schwester von Max Sahmland wohnt in der Bundesrepublik, eine Tante ebenfalls im Westteil der Stadt. [48]

Zwei Fluchtanläufe scheitern. Einen Tag vor dem nächsten geplanten Fluchttermin erzählen Max Sahmland und seine Verlobte einer gemeinsamen Freundin von dem Vorhaben. Spontan schließt sie sich ihnen an. Angetrunken brechen die Drei am 26. Januar 1967 kurz vor Mitternacht auf, fahren mit gestohlenen Fahrrädern zum Bahnhof Zeuthen und von dort mit der S-Bahn nach Berlin-Adlershof. [49] Zu Fuß gelangen sie von hier aus ins Grenzgebiet, welches Max Sahmland noch aus seiner früheren Tätigkeit in einer Kläranlage kennt. [50] Sie arbeiten sich langsam bis zu einem Graben vor. Es ist eine stürmische Nacht, nicht kalt, aber regnerisch, die schlechte Sicht begünstigt das Vorhaben.

Zunächst lässt Sahmland die Frauen in dem Graben wenige Meter vor dem ersten Zaun zurück, um mit der Drahtschere einen Durchlass zu schneiden. „Sei tapfer", sagt er zu seiner Verlobten und robbt los. [51] Die Frauen sollen ihm in kurzer Zeit nachfolgen oder sich bei Gefahr zurückziehen. Sie verharren an ihrem Platz, bis sie von MPi-Salven aufgeschreckt ins Hinterland flüchten und schließlich unentdeckt wieder nach Hause gelangen. [52]

Gegen 2.30 Uhr versucht Max Sahmland den Signalzaun zu überwinden. Er löst Alarm aus, woraufhin vom Beobachtungsturm Wredebrücke aus das Feuer auf ihn eröffnet wird. [53] Der „Grenzverletzer" zeigte „Trefferwirkung, überwand jedoch die Drahtsperre", heißt es in einem Brief des NVA-Stadtkommandanten an SED-Politbüromitglied Erich Honecker, zugleich Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates. [54] Verletzt flüchtet Max Sahmland weiter, unterkriecht die Sperranlagen, erreicht so schließlich das Ufer des Teltowkanals und versucht, sich schwimmend zu retten. Die Grenzposten setzen ihm nach und schießen auch noch auf ihn, als er sich bereits auf West-Berliner Gebiet befindet. [55] Max Sahmland wird von mehreren Kugeln getroffen: Eine Kugel dringt in die rechte Lunge ein. [56]

Zwei Arbeiter des nahen Eternitwerkes sind von den Schüssen alarmiert ans Ufer gekommen, um dem Flüchtenden zu helfen, der nur noch wenige Meter vom rettenden Ufer entfernt ist. Da er immer noch beschossen wird, müssen sie in Deckung gehen, während Max Sahmland schließlich im Wasser versinkt. [57]

Kurz darauf erscheinen auf West-Berliner Seite Polizei und Rettungsdienste. Doch die West-Berliner Feuerwehr, die das westseitige Ufer mit Hilfe von Tauchern absucht, findet Max Sahmland nicht. Erst sechs Wochen später, am 8. März 1967, entdeckt die West-Berliner Wasserschutzpolizei seine Leiche im Teltowkanal und kann sie anhand des mitgeführten Personalausweises identifizieren. [58] Im Februar 2000 wird der vermeintliche Todesschütze vom Landgericht Berlin freigesprochen, da das Gericht seine Behauptung, er habe zwar in die Richtung des Flüchtenden gefeuert, aber absichtlich mehrere Meter vorbeigeschossen, nicht widerlegen kann. [59]

Max Sahmlands Verlobte wird am 28. Januar 1967 verhaftet und wegen versuchter Republikflucht sowie „Abwerbung" ihrer Freundin zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Zwanzig Monate muss sie davon im Stasi-Gefängnis in Potsdam und im Frauengefängnis Hoheneck verbüßen. Auch ihre Freundin erhält wegen des Fluchtversuchs eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten. [60]

Der in Ost-Berlin lebenden Mutter von Max Sahmland wird der Abschied von ihrem toten Sohn verwehrt. Briefe an ihre Schwester legen nahe, dass sie nicht über die Möglichkeit einer Überführung der Leiche nach Ost-Berlin unterrichtet wird. [61] So kommt es, dass die Bestattung Max Sahmlands am 5. April 1967 auf dem Parkfriedhof im West-Berliner Stadtteil Neukölln stattfindet. [62] Um zu verhindern, dass die Mutter an der Beerdigung ihres Sohnes teilnehmen kann, verhängt die Staatssicherheit für den Zeitraum bis Ende April 1967 eine Reisesperre über die 70-Jährige. [63]

Text: Martin Ahrends/Udo Baron

Zum Seitenanfang