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Peter Hauptmann: geboren am 20. März 1939, angeschossen am 24. April 1965 an der Berliner Mauer und am 3. Mai 1965 an den Folgen gestorben
Peter Hauptmann: Erinnerungsstele in der Bernhard-Beyer-Straße nahe Steinstücken in Potsdam-Babelsberg

Peter Hauptmann

geboren am 20. März 1939
angeschossen am 24. April 1965

am Außenring zwischen Potsdam-Babelsberg und Berlin-Zehlendorf

am 3. Mai 1965 an den Folgen der Schussverletzungen gestorben

Hauptmann, Peter

Samstag, der 24. April 1965: Es ist ein warmer Abend in Potsdam-Babelsberg, als Peter Hauptmann, geboren am 20. März 1939 in Gittersee nahe Dresden, in der Gastwirtschaft „Waldschlösschen" zwei Seeleute der Volksmarine kennen lernt. Die beiden sind Kapitän und Maschinist eines Bergungsschleppers. Mit ihrer Brigade stehen sie im Kampf um den Titel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit", kulturelle Aktivitäten sind der Auszeichnung förderlich. So unternimmt man einen Wochenend-Ausflug zu den Sehenswürdigkeiten der „Hauptstadt der DDR". Ost-Berlin war ausgebucht, deshalb haben die Seeleute in einer Babelsberger Pension Quartier bezogen. [31] Bei diversen alkoholischen Getränken kommt man ins Gespräch, und als die Wirtschaft schließt, nimmt man noch eine Flasche "Klaren" mit und begibt sich zum nahe gelegenen Haus des Ortsansässigen.

Peter Hauptmann wohnt mit seiner Frau und seinen vier Kindern im Grenzgebiet in der Stahnsdorfer Straße. Immer wieder hat er Ärger mit den Grenzsoldaten gehabt, weil er nicht jedes Mal, wenn er kam oder ging, seinen Ausweis vorweisen mochte. Wenn die Posten ihn als Anwohner kennen, kommt es vor, dass sie ihn grüßen und durchwinken. Aber schon am nächsten Tag kann es sein, dass junge Rekruten eingesetzt sind, und er sich wieder ausweisen muss, um in sein Haus oder von dort zur Arbeit zu kommen. Peter Hauptmann war selbst langjährig bei der Bereitschaftspolizei, dann bei der Volkspolizei und beim Zoll beschäftigt. Vielleicht deshalb hat er immer Probleme damit, vor der eigenen Haustür kontrolliert zu werden: Er, ein Polizist, will nicht wie ein potenzieller „Grenzverletzer" behandelt werden. Zudem scheint er die oft unerfahrenen Grenzer nicht recht ernst zu nehmen. Weil er sich immer wieder weigerte, ihnen seinen Ausweis auszuhändigen, kam es schon zu ernsthaften Streitigkeiten; als er einem Posten gar Schläge androhte, wurde er festgenommen und danach aus dem Dienst entlassen. Von da an wechselte er häufig seine Arbeitsstelle, bis er schließlich in einem Betrieb bei Teltow eine Anstellung als Bohrer fand. [32]

An diesem Abend nun erreicht der Streit mit den Grenzposten seinen Höhepunkt. Als sich Peter Hauptmann mit seinen Gästen auf den Weg nach Hause begibt, trifft er offenbar auf Grenzer, die ihn kennen; nach kurzer Verständigung lässt man sie passieren. [33] Vermutlich wird vereinbart, dass die Gäste vor dem Postenwechsel das Haus wieder verlassen. Doch sie verspäten sich. Als er die Beiden nach 3.00 Uhr verabschiedet, sind die Posten bereits ausgetauscht. Die Seeleute werden kontrolliert, und, da sie keinen „Passierschein" vorweisen können, vorläufig festgenommen.

Damit haben die Grenzer beim Hausherren, der die Szene von seiner Haustür aus beobachtet, einen wunden Punkt getroffen. Mit den Worten „Lasst diese Personen frei, die habe ich mit reingenommen. Ich trage die Schuld", geht er auf die Soldaten zu [34] – mit dem einzigen Erfolg, dass diese nun auch seinen Ausweis sehen wollen. Zwar besitzt er gültige Papiere für das Grenzgebiet, soll aber dennoch vorläufig festgenommen werden, da er „unberechtigt Personen ins Grenzgebiet eingeschleust" habe. [35]
Peter Hauptmann, angeschossen an der Berliner Mauer und an den Folgen gestorben: Tatort in Potsdam-Babelsberg mit eingezeichneten Spuren des Tatgeschehens, 24. April 1965
Nun wird es Peter Hauptmann, dem ehemaligen Volkspolizisten, zu bunt: Er beschließt, der Komödie ein Ende zu machen, wendet sich ab und geht seinem Haus zu. „Halt! Stehenbleiben, oder ich mache von der Schusswaffe Gebrauch", ruft der Posten hinter ihm her [36] – woraufhin dem so Angesprochenen offenbar endgültig der Kragen platzt. Er kehrt um, läuft auf den Posten zu und ergreift den Lauf seiner MPi. Der Posten warnt noch einmal, der wütende Ex-Volkspolizist nimmt auch die zweite Hand zu Hilfe, es entsteht ein Gerangel und Gezerre um die Waffe, das der Posten schließlich beendet, indem er – nach einem Warnschuss, wie er später behauptet – gezielt auf den nur ein paar Schritte Entfernten schießt. Zwei kurze Feuerstöße. Nun lässt er los. Peter Hauptmann wankt zurück, bricht schwer verletzt zusammen. Der Posten schießt das Signal „Eilt zur Hilfe", kommandiert den zweiten, der bis dahin die Seeleute zu bewachen hatte, Erste Hilfe zu leisten. Peter Hauptmanns Frau eilt, von den Schüssen aufgeschreckt, herzu, bringt Handtücher, um ihren Mann verbinden zu helfen.
Peter Hauptmann, angeschossen an der Berliner Mauer und an den Folgen gestorben: Patronenhülse, deren Projektil Peter Hauptmann galt und am Tatort gefunden wurde, 24. April 1965
Als der Krankenwagen zu lange auf sich warten lässt, legen die Grenzposten den Verletzten auf eine Trage und fahren ihn mit einem Militär-LKW ins Armeelazarett Drewitz. Noch in derselben Nacht wird er dort operiert, da die Verletzungen einen Transport in ein ziviles Krankenhaus nicht mehr zulassen. Nachdem sich sein Zustand etwas stabilisiert hat, wird er am 28. April ins Klinikum Berlin-Buch verlegt. Bei einer erneuten Operation wird ihm dort die rechte Niere entfernt. Als schließlich auch die linke Niere ihre Funktion einstellt, erliegt Peter Hauptmann am frühen Morgen des 3. Mai 1965 seinen Verletzungen. [37] Der durch die verspäteten Rettungsmaßnahmen bedingte Blutverlust sei zu hoch gewesen, erfährt die Ehefrau des Opfers als Todesursache von den Bucher Ärzten. [38]

Zwei Tage später erstattet die Witwe Anzeige gegen die DDR-Grenztruppen wegen fahrlässiger Tötung. Ihr Schwiegervater, Hauptmann der Volkspolizei in Großenhain, unterstützt sie dabei und richtet seinerseits eine Beschwerde an das Ministerium des Innern. [39] Doch alle Versuche, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, verlaufen im Sande.

Im Sommer 1993 nimmt die Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität Ermittlungen auf, die jedoch im Dezember 1996 eingestellt werden, da nach Ansicht der Berliner Staatsanwaltschaft der Todesschütze „aus einer Notwehrlage heraus handelte und daher sein Tun gerechtfertigt war". [40] Die Witwe, die keinen einzelnen Warnschuss, sondern ausschließlich eine Folge von Schüssen hörte, wird nicht gehört [41]; auch nicht die Nachbarn, die durch die Wortfetzen, Schüsse und anschließenden Schmerzensschreie vor ihrer Haustüre aus dem Schlaf gerissen und vom Balkon aus heimlich Zeugen werden, wie lange es dauert, bis der Schwerverletzte schließlich - an Armen und Beinen gepackt - auf einen LKW geworfen und abtransportiert wird. [42]

Für die Anwendung der Schusswaffe, hatte Peter Hauptmanns Vater bereits 1965 geltend gemacht, habe keine zwingende Notwendigkeit bestanden. Die Grenzsoldaten kannten seinen Sohn, hatten seinen Ausweis kontrolliert und an sich genommen, so dass „die Personalien feststanden und Peter Hauptmann sich der Verantwortung nicht hätte entziehen können". [43] Dem Eindruck der Ehefrau nach war ihr Mann zudem von hinten angeschossen worden, sie fand ihn auf dem Gesicht liegend vor. Im Armeelazarett bestätigten die Ärzte ihr gegenüber einen Rückenschuss. [44] Ärztlichen Angaben zufolge, die die Stasi freilich geheim hielt, wurde Peter Hauptmann durch sechs Schüsse verletzt [45]: drei Oberarmschüsse, zwei Unterarmstreifschüsse – und einen tödlichen Schuss in den Rücken.

Text: Martin Ahrends/Udo Baron/Hans-Hermann Hertle

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