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Unbekannter Flüchtling, ertrunken im Berliner Grenzgewässer: Foto der DDR-Grenztruppen von der zurückgelassenen Aktentasche, 19. Januar 1965

Unbekannter Flüchtling

ertrunken am 19. Januar 1965

in der Spree
an der Sektorengrenze zwischen Berlin-Friedrichshain und Berlin-Kreuzberg
Es ist etwa 17.30 Uhr, als am 19. Januar 1965 zwei Angestellte einer Firma im West-Berliner Stadtbezirk Kreuzberg, die unmittelbar an der Spree liegt, Hilferufe hören. Sie gehen den Geräuschen nach und sehen einen etwa 30 Jahre alten Mann durch den eiskalten Fluss auf das Ufer zuschwimmen. Da die Spree an dieser Stelle in ihrer ganzen Breite zu Ost-Berlin gehört, haben sie keinen Zweifel, dass es sich um einen Flüchtling handelt.Sie rufen dem Mann, der nur noch wenige Meter vom Ufer entfernt ist, zu, er solle in ihre Richtung schwimmen, damit sie ihm aus dem Wasser helfen können. Dann verlassen den Flüchtenden offenbar die Kräfte und so müssen sie mit ansehen, wie er vor ihren Augen ertrinkt. „Etwa 10 m vom West-Berliner Ufer", so fasst ein West-Berliner Polizeibericht ihre Beobachtungen zusammen, „ging der Flüchtling ohne fremde Einwirkung, vermutlich infolge Unterkühlung, plötzlich unter." [1]

Am anderen Ufer ist der Fluchtversuch, wie es weiter heißt, ebenfalls bemerkt worden. Grenzsoldaten feuern Leuchtkugeln ab und fahren mit Booten an die Stelle, wo der Mann im Wasser versank. Auch Taucher kommen zum Einsatz. Doch gegen Mitternacht wird die Suchaktion ohne Erfolg abgebrochen.

Auch Berichte der Ost-Berliner Grenztruppen dokumentieren den tödlich verlaufenden Fluchtversuch des jungen Mannes, dessen Identität bis heute unbekannt ist. Demnach wird er von einem Grenzsoldaten entdeckt, der die Wasseroberfläche mit einem Scheinwerfer ableuchtet. Der Grenzer soll den Schwimmenden genau gesehen und gehört haben, dass er um Hilfe rief, bevor er unterging. Am Ost-Berliner Ufer stoßen die Fahnder auf Spuren, die den Verdacht eines Fluchtversuchs bestätigen. Mit Hilfe eines Fährtenhundes stellen sie fest, dass der Flüchtling von einem Grundstück an der Mühlenstraße aus unter dem Sperrzaun hindurch gekrochen ist. Dort hat er eine Aktentasche zurückgelassen, die unter anderem ein Oberhemd, Zeitschriften, eine leere Füllhaltermappe und ein belegtes Brot enthält, das in eine Zeitung eingewickelt ist, die im DDR-Bezirk Halle erscheint und auf den 21. September 1964 datiert. Hinweise auf die Identität des Flüchtlings finden sich allerdings nicht. Das Ergebnis der Spurensuche veranlasst den Kommandeur des Grenzregiments 35 zu der Schlussfolgerung, der „Grenzverletzer" habe „rechtzeitig den Grenzabschnitt und den Posteneinsatz und den Ort für seine verbrecherischen Handlungen aufgeklärt." [2]

Zeitgenössische Ermittlungen führen weder in Ost noch in West zu weiteren Erkenntnissen. In den 1990er Jahren werden im Zuge der strafrechtlichen Verfolgung von Gewaltakten an der Mauer noch einmal Recherchen angestellt. Doch die Staatsanwaltschaft Berlin schließt das Vorermittlungsverfahren 1995 ab, ohne den Fall aufklären zu können oder zu neuen Erkenntnissen gelangt zu sein. [3] Der Verdacht, der unbekannte Tote vom 19. Januar 1965 könnte mit einer nicht identifizierten Wasserleiche identisch sein, die am 8. Juli des gleichen Jahres aus der Spree geborgen worden ist, kann bislang weder belegt noch ausgeschlossen werden.

Text: Christine Brecht

[1] Auszugsweise Abschrift der Ereignismeldung der West-Berliner Polizei vom 20.1.1965 für den Senat von Berlin, 20.1.1965, in: BArch, B 137, Nr. 6429, o. Pag. [2] Bericht der NVA/1.GB/GR35/Kommandeur über den versuchten Grenzdurchbruch im Abschnitt 4./GR-35 Mühlenstraße, 19.1.1965, in: BArch, VA-07/16934, Bl. 225-230, Zitat Bl. 228. [3] Vgl. Verfügung der Staatsanwaltschaft II bei dem Kammergericht (7 AR 390/92), 27.6.1995, in: StA Berlin, Az. 7 AR 390/92, Bl. 24.
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