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Todesopfer

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Rainer Gneiser: geboren am 10. Januar 1944, ertrunken am 28. Juli 1964 bei einem Fluchtversuch im Berliner Grenzgewässer; Aufnahmedatum unbekannt
Rainer Gneiser: Erinnerungsstele an der Lankestraße am Fuß der Brücke nach Klein Glienicke über den Teltowkanal

Rainer Gneiser

geboren am 10. Januar 1944
ertrunken am 28. Juli 1964


in der Havel
am Außenring zwischen Potsdam-Babelsberg und Berlin-Zehlendorf
Seit dem Sommer 1963 sollen die beiden Jugendlichen Pläne geschmiedet und ihre Flucht vorbereitet haben, die unter Wasser durch die Havel von Potsdam nach West-Berlin führen soll. Als sie mit Sauerstoffgeräten und Taucheranzügen ausgerüstet ihr Vorhaben ein Jahr später verwirklichen wollen, ertrinken sie in der Nacht zum 28. Juli 1964 unter unbekannten Umständen.Rainer Gneiser wird am 10. Januar 1944 im schlesischen Kreuzburg als Sohn von Wilhelm Gneiser und seiner Frau Ruth geboren. Vermutlich infolge der Vertreibung aus Schlesien, das nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs an Polen fällt, flüchtet die Familie zu einer Tante ins sächsische Freiberg. Rainer Gneiser, der fünf Geschwister hat, wächst in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR auf. [1] Er schließt die Schule nach der 10. Klasse mit der Mittleren Reife ab und macht danach eine handwerkliche Ausbildung. Mit 18 Jahren versucht er im Frühjahr 1962 zum ersten Mal, aus der mittlerweile eingemauerten DDR zu flüchten. Er will über die Ostsee in den Westen gelangen, wird jedoch festgenommen und am 16. April 1962 wegen »versuchten illegalen Verlassens der DDR« vom Kreisgericht Freiberg zu einer Gefängnisstrafe von zehn Monaten verurteilt. [2] Nachdem er die Haft verbüßt hat, kehrt er nach Freiberg zurück, ist aber offenbar nach wie vor fest entschlossen, in den Westen zu gehen. Er habe ihm damals erzählt, so gibt ein Freund von Rainer Gneiser viele Jahre später zu Protokoll, dass er unter keinen Umständen in der DDR bleiben wolle. [3] In dem gleichaltrigen Norbert Wolscht, den er seit der Schulzeit kennt, findet er einen Gleichgesinnten. Seit dem Sommer 1963 sollen die beiden Jugendlichen Pläne geschmiedet und ihre Flucht vorbereitet haben, die unter Wasser durch die Havel von Potsdam nach West-Berlin führen soll. [4] Als sie mit Sauerstoffgeräten und Taucheranzügen ausgerüstet ihr Vorhaben ein Jahr später verwirklichen wollen, ertrinken sie in der Nacht zum 28. Juli 1964 unter unbekannten Umständen. [5]

Während Norbert Wolscht noch am selben Tag tot aufgefunden wird, bleibt Rainer Gneiser zunächst verschwunden. Erst am 5. August wird seine Leiche am Babelsberger Ufer der Havel entdeckt und von Angehörigen des in diesem Bereich eingesetzten Grenzregiments 48 aus dem Wasser geborgen. [6] Meldungen der DDR-Grenztruppen zufolge wird er im Tiefen See, einem zwischen Potsdam und Babelsberg verlaufenden Teilstück der Havel, gefunden. Der Leichnam, so heißt es, »wurde als Rainer Gneiser aus Freiberg / Sa. identifiziert. G. war mit selbstgefertigtem Tauchgerät ausgerüstet.« [7] Auch was der Tote bei sich getragen hat, ist in den Akten der DDR-Grenztruppen verzeichnet: Neben einem Tauchgerät mit Sauerstoffflasche und Atemkalkbehälter gehören dazu Kompass, Uhr und Taschenlampe sowie ein wasserdichter Beutel, in dem sich Bargeld, der Personalausweis, der Wehrpass und das Arbeitsbuch von Rainer Gneiser befinden. [8]
Rainer Gneiser, ertrunken im Berliner Grenzgewässer: Todesanzeige (August 1964)
Wie zwei Wochen zuvor sein Freund Norbert Wolscht wird Rainer Gneiser am 18. August 1964 auf dem Donatsfriedhof in Freiberg beerdigt. »Er starb durch tragischen Unfall in Potsdam«, heißt es in der Todesanzeige, die seine Eltern in die Lokalzeitung setzen lassen. Der Bestatter habe dem Vater versichert, dass sein Sohn keine Schussverletzungen hätte. Auf dem Grabstein, so sein Bruder Klaus, habe weder der Vorname noch das Geburts- und Sterbedatum von Rainer Gneiser stehen dürfen. [9]

Text: Christine Brecht

[1] Gespräch von Maria Nooke mit Klaus Gneiser, 27.7.2014, Archiv der Gedenkstätte Berliner Mauer. [2] Vgl. [MfS / ]Abt. XII / Zentralarchiv, Strafnachricht zu Rainer Gneiser, 15.5.1962, in: BStU, MfS, SKS-Akten, Speicher XII / 01, Strafnachricht. [3] Vgl. handschriftliche Erklärung eines Freundes von Rainer Gneiser an die Berliner Polizei, 12.7.1993, in: StA Berlin, Az. 27 Js 72 / 91, Bl. 100– 101. [4] Vgl. ebd. [5] Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, die nach dem Ende der DDR durchgeführt werden, bestätigen, dass es sich um einen Unfall gehandelt haben muss. Vgl. Verfügung der Staatsanwaltschaft II bei dem Kammergericht Berlin (27 / 2 Js 72 / 91), 7.10.1993, in: Ebd., Bl. 131– 132. [6] Vgl. Operative Tagesmeldung Nr. 216 / 64 der NVA / Stadtkommandantur Berlin / Operative Abt., 6.8.1964, in: BArch, VA-07 / 6028, Bl. 135; Handschriftliche Operative Tagesmeldung Nr. 216 / 64 [der NVA / Stadtkommandantur Berlin / Operative Abt.] vom 28.7.1964 von 00.00–24.00 Uhr, o.D. [29.7.1964], in: BArch, VA-07 /18583, Bl. 24, sowie Einschätzung der BdVP Potsdam über die Lage in den Grenzkreisen – Monat August 1964, in: BArch, VA-07 / 6019, Bl. 263. [7] Einschätzung der BdVP Potsdam über die Lage in den Grenzkreisen – Monat August 1964, in: BArch, VA-07 / 6019, Bl. 263. [8] Vgl. handschriftliche Lagemeldungen [der NVA / Stadtkommandantur Berlin], 5.8.1964, in: BArch, VA-07 /181612, Bl. 91. [9] Gespräch von Maria Nooke mit Klaus Gneiser, 27.7.2014, Archiv der Gedenkstätte Berliner Mauer.
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