Todesopfer > Schmidtchen, Jörgen

Bericht der Ost-Berliner Bereitschaftspolizei über die Erschießung von Jörgen Schmidtchen

18. April 1962

An den Kommandeur der

Bereitschaftspolizei

Betr.: Schwerer Grenzdurchbruch unter Anwendung der Schußwaffe und mit tödlichem Ausgang in der 12./IV./1.GB (09-73/6) am 18.04.1962 gegen 02.25 Uhr.

Am 16.04.1962 15.20 Uhr erhielt der Kommandeur der IV. Grenzabteilung die Fahndung nach 2 fahnenflüchtigen Offiziersschülern der NVA Geltow
    B(...), Dieter und
    G(...), Wolfgang
und den Befehl für den Übergang zur verstärkten Grenzsicherung (im 12-Stunden-Dienst).

Gegen 16.15 Uhr waren die eingeleiteten Maßnahmen zur verstärkten Grenzsicherung in den Einheiten abgeschlossen. Am 17.04.1962 gegen 18.20 Uhr erhielt der Kommandeur der IV. Grenzabteilung die Information, dass die gesuchten Fahnenflüchtigen gegen 16.15 Uhr in Potsdam gesehen wurden.

[...]

Gegen 02.30 Uhr am 18.04.1962 meldete der am KP Kohlhasenbrück eingesetzte Grenzposten über GMN, dass er einen heftigen Feuerwechsel aus Richtung Gleisdreieck vernommen hätte.

[...]

Der Kommandeur der IV. Grenzabteilung begab sich nach Erhalt der Meldung sofort an den Ort der Handlungen, zur Überprüfung des Vorkommnisses und Einleitung weiterer Massnahmen.

Am Ort der Handlungen stellte er fest, dass die gesuchten Fahnenflüchtigen beim Versuch, die Grenze nach Westberlin zu durchbrechen, auf den am Gleisdreieck eingesetzten Grenzposten
    Postenführer: Gefr. Schmidtchen, Jürgen
    geb. am 28.06.1941
    VP: 09.02.1960
    DA-Nr. CL 01836

    Posten: Sold. R(...), Klaus
    geb. (...) 1938
    VP: 28.09.1961
    DA-Nr. BP 034033
stiessen, wobei es zu einem heftigen Feuerwechsel kam. Dabei wurde der Postenführer – Gefr. Schmidtchen – sowie der fahnenflüchtige Böhme tödlich verletzt.

[...]

Durch den Kommandeur der IV. Grenzabteilung wurde sofort der Abtransport des Genossen Schmidtchen sowie des fahnenflüchtigen Böhme in das Lazarett der NVA in Drewitz organisiert und der Grenzabschnitt vom KP Kohlhasenbrück bis Breitscheidstr. Durch den eingesetzten Alarmzug der 12. GK abgeriegelt, sowie eine sofortige Kontrolle des 10-m-Kontrollstreifens und der Drahtsperre eingeleitet.

[...]

Im Ergebnis der Überprüfung wurde festgestellt:

Der in der Zeit von 01.00 – 13.00 Uhr am Gleisdreieck eingesetzte WG
    Postenführer: Gefr. Schmidtchen
    Posten: Sold. R(...)
vernahm gegen 02.20 Uhr Geräusche auf dem Bahnkörper aus Richtung Bahnhof Griebnitzsee. In der Annahme, es handele sich um eine Kontrollstreife, begab sich Gefr. Schmidtchen vom Bahnwärterhaus aus die Treppe hinunter auf die Gleisanlagen, um der angenommenen Kontrollstreife entgegenzugehen.

Seinem Posten befahl er, parallel oberhalb des Bahndammes mitzugehen und zu sichern.

Nachdem der Posten ca. 30 m entfernt vom Bahnhaus Stellung bezogen hatte, beobachtete er zwei Personen, die sich dem Postenführer auf der Gleisanlage näherten. Der Postenführer gab das Erkennungszeichen (kurzer Pfiff), worauf die zwei Personen sich auf die Spitze des Gleisdreieckes zwischen dem Bahnkörper Strecke Drewitz und Griebnitzsee begaben (s. Skizze). Der Posten beobachtete weiter, dass sich der Postenführer ebenfalls von der Gleisanlage zu den beiden Personen begab. Er hörte leisen Wortwechsel, was gesprochen wurde, konnte er nicht verstehen.

Während dieses Wortwechsels fiel ein Pistolenschuss, worauf Gefr. Schmidtchen laut um Hilfe rief und zusammenbrach. Die beiden Banditen wurden daraufhin in Richtung Westberlin flüchtig, indem 1 Person sich auf der Mitte der Gleisanlage bewegte, während die andere Person zur gegenüberliegenden Böschung lief. Sold. R(...) rief daraufhin die beiden Banditen an, stehenzubleiben und gab einen Warnschuss ab. Daraufhin wurde durch die beiden Banditen das Feuer erwidert.

Der Bandit Böhme hatte, nachdem der Genosse Schmidtchen zusammenbrach die Maschinenpistole an sich gebracht und eröffnete aus dieser das Feuer auf den Posten – Sold. R(...) – . Der Beweis dafür, dass aus dieser Maschinenpistole durch den Banditen geschossen wurde, ergibt sich aus dem Zustand der Waffe, dem leergeschossenen Magazin und den festgestellten Einschlägen am Bahndamm. Nach Leerschiessen des Magazins wurde durch den Banditen die Waffe weggeworfen (s. Skizze).

Auf Grund der vernommenen Schüsse, eilte die Grenzstreife
    Postenführer: Gefr. H(...), Karl-Heinz
    geb. (...) 1941
    VP seit 20.04.1960
    DA-Nr. CL 1807
    FDJ –

    Posten: Sold. H(...), Karl-Heinz
    geb. (...) 1943
    VP: 24.08.1961
    DA-Nr.
    FDJ –
eingesetzt im Abschnitt Rudolf-Breitscheid-Str. sofort zur Hilfe.

Der Postenführer dieser Grenzstreife bezog zwischen Bahnwärterhaus und Drahtsperre am Bahndamm Stellung und eröffnete sofort das Feuer auf die beiden flüchtenden Banditen. Der Posten übernahm die Sicherung nach hinten.

Der Postenführer beschoss den Banditen, welcher unmittelbar am Drahtzaun lag und sah, dass dieser aufsprang und über den Gleiskörper in Richtung Westberlin flüchtig wurde. Dass der Bandit von dieser Stelle auf den Postenführer schoß, beweist der Fund von 3 Hülsen und 1 Versager Munition der Pistole "Makarow". Weiterhin vernahm der Postenführer lautes Stöhnen auf dem Gleiskörper. Es handelte es sich hier vermutlich um den 2. Banditen, der durch den Gen. R(...) getroffen wurde und dort zusammenbrach. Durch die Schüsse aufmerksam geworden, eilte ebenfalls die im Abschnitt KP Kohlhasenbrück – Gleisdreieck eingesetzte Grenzstreife
    Postenführer: Uffz. W(...), Frank
    Posten: Sold. R(...), Berndfried
zur Hilfe.

Nach Beendigung des Feuerwechsels, bei dem durch eigene Kräfte insgesamt 87 Schuss wurden, wurde sofort die Suche nach dem flüchtigen Banditen aufgenommen. Die späteren Untersuchungen ergaben, dass es diesem Banditen gelang, vermutlich unverletzt, nach Westberlin zu flüchten. Der Bandit Böhme wurde gegenüber dem Stellwerk auf der Gleisanlage, ca. 20 m von der Grenzlinie entfernt, verletzt, mit der Pistole in der rechten Hand, aufgefunden. (s. Skizze)

[...]

B. verstarb gegen 02.55 Uhr im Beisein des Uffz. W(...) an den Folgen der Schußverletzungen (kopf- und Bauchschuss).

Der Tod des Gefr. Schmidtchen trat vermutlich unmittelbar nach der Schussverletzung ein, da es sich um einen Steckschuss mit Verletzung der Herzspitze handelte.

[...]

Schlussfolgernd aus der Überprüfung ergibt sich:

- Trotz der gründlichen Einweisung der Grenzposten über die Lage, insbes. über die Fahndungsmassnahmen und den Waffenbesitz der beiden Fahnenflüchtigen, entsprachen die Handlungen des Postenführers nicht in jedem Falle der gegebenen Situation.

[...]

- Die Handlungen des Postens – Sold. R(...) – sowie der anderen zu Hilfe eilenden Grenzposten waren der Lage entsprechend, richtig;

- Die Auswertung des Vorkommnisses wird in den Einheiten und Stäben der 2. Grenzbrigade (B) mit dem gesamten Personalbestand bis zum 20.04.1962 durchgeführt; Mit dem Personalbestand der 12. GK erfolgte die Auswertung des Vorkommnisses sofort;

- Die erforderlichen Maßnahmen zur Verständigung der Angehörigen des Gen. Schmidtchen sowie andere damit verbundene Fragen werden in Verbindung mit dem Kommando der Bereitschaftspolizei festgelegt und durchgeführt;

- Nach genauer Präzisierung der Handlungen der Grenzposten werden entspr. Vorschläge zur Auszeichnung unterbreitet bzw. selbständig durchgeführt.

- Oberst - M(...)

Quelle: BArch, VA-07/8370, Bl. 129-135
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