Todesopfer > Gertzki, Manfred

MfS-Information an Erich Honecker über den Fluchtversuch und die Erschießung von Manfred Gertzki

30. April 1973

INFORMATION

über

einen verhinderten Grenzdurchbruch DDR - Westberlin im Bereich Berlin-Mitte, Reichstagsufer, am 27. 4. 1973

Am 27. 4. 1973, gegen 17.45 Uhr, versuchte der
    GERTZKI, Manfred
    geb. am 17.5.1942
    Beruf: Blechschlosser
    zuletzt tätig als Diplom-Ingenieur für Maschinenwesen im Forschungszentrum, Abteilung II, des VEB Elektronische Rechenmaschinen ROBOTRON, Karl-Marx-Stadt,
    wohnhaft: Karl-Marx-Stadt, (...)
am Reichstagsufer (Höhe Ebertstraße) in Berlin-Mitte die Staatsgrenze der DDR in Richtung Westberlin zu durchbrechen.

Der Grenzverletzer war in unmittelbarer Nähe der Marschallbrücke durch Aufbrechen des Schlosses des dort befindlichen Tores der Grenzsicherungsanlagen (Hinterlandsicherungszaun) in das Grenzsperrgebiet eingedrungen und bewegte sich unter Ausnutzung der Uferböschung gedeckt entlang dem Spreeufer in Richtung Staatsgrenze. Die an der Grenzübergangsstelle Marschallbrücke eingesetzten Grenzsicherungskräfte stellten das Eindringen des Grenzverletzers in das Grenzsperrgebiet zunächst nicht fest, erkannten den Grenzverletzer jedoch zu dem Zeitpunkt, als er sich auf der Höhe des unmittelbar an der Staatsgrenze gelegenen Postenturmes (Bereich des VEB Schallplatte) befand.

Sie informierten sofort die auf diesem Postenturm im Bereich des VEB Schallplatte eingesetzten Grenzsicherungskräfte, durch welche die Annäherung des Grenzverletzers auf Grund der Sichtbehinderung (Uferböschung) selbst nicht festgestellt werden konnte.

Ca. 15 m vom Postenturm entfernt wurde der Grenzverletzer durch den Postenführer angerufen und ein Warnschuß abgegeben. Da der Grenzverletzer nicht reagierte, wurde durch die Grenzsicherungskräfte gezieltes Feuer eröffnet.

Der Grenzverletzer blieb zunächst, offensichtlich verletzt, unmittelbar vor dem Grenzzaun auf der Uferböschung liegen, raffte sich aber nochmals auf und umkletterte den Grenzzaun an der Spreeseite.

(Der Grenzzaun (Streckmetallzaun, ca. 3 m Höhe) ist an dieser Stelle das letzte pionier-technische Hindernis vor der ca. 2 m feindwärts dieses Zaunes verlaufenden Staatsgrenze zwischen der DDR und Westberlin. Dieser Grenzzaun verläuft am Tatort als Verlängerung der zwischen dem ehemaligen Reichstagsgebäude (Westberlin) und dem ehemaligen Reichspräsidentenpalais (Hauptstadt der DDR) befindlichen Grenzmauer bis auf die unmittelbare Uferbefestigungsmauer.)

Im Verlauf einer erneuten Feuerführung durch die Grenzsicherungskräfte auf dem Postenturm im Bereich "Schallplatte" und mit Unterstützung der Feuerführung durch das in ca. 250 m Entfernung auf dem Postenturm Reinhardtstraße eingesetzte Postenpaar (Abgabe von 5 Schuß), wurde der Grenzverletzer tödlich getroffen. Insgesamt waren auf den Grenzverletzer 21 Schuß abgegeben worden.

Anschließend wurde durch Kräfte der NVA versucht, mit Unterstützung eines Motorbootes der Grenzübergangsstelle Marschallbrücke den Täter zu bergen, der unmittelbar hinter dem von ihm umkletterten Grenzzaun, ca. 1,50 m von der Staatsgrenze entfernt, auf der Uferbefestigungsmauer zusammengebrochen war.

Auf Grund der an dieser Stelle vorhandenen starken Strömungsverhältnisse konnte jedoch das Motorboot nicht anlegen, so daß die Bergungsversuche zunächst scheiterten und der Tote in die Spree fiel. Er konnte gegen 19.40 Uhr durch Einsatz von Tauchern geborgen werden.

Zum Zeitpunkt des Versuchs, den Grenzverletzer mit Unterstützung des Motorbootes zu bergen, näherten sich dem Tatort auf Westberliner Seite englische und Westberliner Uniformierte sowie Zivilpersonen, wobei durch eine unbekannte Person gegenüber den Grenzsicherungskräften der DDR die Anwendung der Schußwaffe angedroht wurde.

Die Bergungsarbeiten wurden von Westberliner Seite ständig beobachtet und fotografiert.

Während der Bergungsarbeiten hielten sich auf Westberliner Seite ca. 30 Zivilpersonen und ca.10 Uniformierte (Polizei und englische Besatzer) auf.

Im eigenen Hinterland wurden keine Reaktionen festgestellt.

Die bisherigen Untersuchungen ergaben, daß der Grenzverletzer unter der Kleidung seinen Körper an mehreren Stellen mit Stahlplatten (2 mm) abgedeckt hatte, einen Sturzhelm und eine in den Helm einhängbare Gesichtsschutzplatte aus Stahl mit Sichtlöchern trug. Der Grenzverletzer führte zwei Taschen mit zahlreichen persönlichen Dokumenten (Personal- und Ausbildungsunterlagen, Diplomarbeit, Fotos, Urkunden) sowie Medikamente und Verbandsmaterial mit sich.

Die bisherigen Untersuchungen des MfS zur Person ergaben, daß GERTZKI nach Beendigung der Grundschule den Beruf eines Blechschlossers \erlernte und gleichzeitig die 10. Klasse in der Volkshochschule absolvierte.

Von 1960 bis 1962 leistete er freiwillig seinen Wehrdienst bei den Luftstreitkräften der NVA in Trollenhagen ab, den er mit dem Dienstgrad eines Unteroffiziers beendete.

Anschließend absolvierte GERTZKI bis 1965 ein Studium an der Ingenieur-Schule für Maschinenbau Leipzig und war seit 1965 als Technologe für Musterbau im VEB ROBOTRON Karl-Marx-Stadt tätig. 1972 erwarb er im Abendstudium an der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt, Sektion Fertigungsprozeß und Fertigungsmittel, den Grad eines Diplom-Ingenieurs und war zuletzt im Forschungszentrum, Abteilung II, des VEB ROBOTRON Karl-Marx-Städt tätig.

Er gehörte von 1958 - 1968 der FDJ, von 1962 - 1966 der GST und DSF an und war seit 1958 Mitglied des DTSB.

GERTZKI war Mitglied des Sportclubs Karl-Marx-Stadt (Leichtathletik) und 1967 Bezirksmeister im Diskuswerfen.

Die Eltern des GERTZKI sind 1945 bzw. 1967 verstorben. GERTZKI war ledig.

Die Untersuchungen des MfS zur umfassenden Aufklärung der Ursachen, Motive und begünstigenden Bedingungen werden fortgeführt.

Quelle: BStU, MfS, ZAIG Nr. 2130, Bl. 16-19
Zum Seitenanfang