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Lothar Fritz Freie: Vermerk des DDR-Außenministeriums über ein Gespräch mit dem Ständigen Vertreter der Bundesrepublik

10. Juni 1982

V e r m e r k

über ein Gespräch zwischen dem Leiter der Abteilung BRD im MfAA, Genossen Karl Seidel, mit dem Leiter, der BRD-Vertretung, Dr. Hans Otto Bräutigam, am 10.6.1982

Das Gespräch fand auf Ersuchen von Bräutigam statt. An ihm nahm von seiten der DDR Genosse Otto Witt, Mitarbeiter der Abteilung BRD, von seiten der BRD der Leiter der Rechtsabteilung der Vertretung, Staab, teil.

Bräutigam erklärte, er komme im Zusammenhang mit dem Grenzzwischenfall am 4. Juni und lege Wert darauf, diese Angelegenheit auf politischer Ebene darzulegen. Bräutigam erklärte:

Die Regierung der BRD lege schärfsten Protest dagegen ein, daß Angehörige der Grenztruppen der DDR am 4. Juni 1982 in Berlin von der Schußwaffe Gebrauch gemacht und dadurch Herrn Lothar Freier, aus (...) so schwer verletzt hätten, daß er am 6. Juni 1982 verstorben sei.

Auch wenn man berücksichtige, daß Freier durch sein Verhalten offenbar gegen Gesetze der DDR verstoßen habe, so hätte es doch nicht des Schußwaffengebrauches bedurft, um ihn festzunehmen und zur Rechenschaft zu ziehen. Auch zur Sicherung der Grenze sei der Schußwaffengebrauch nicht erforderlich gewesen, da von einem einzelnen, unbewaffneten Mann keine ernsthafte Gefahr für die DDR und die Sicherheit ihrer Grenzen ausgehen könne. Die auf seiten der DDR handelnden Personen hätten damit den allgemeinen Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel gröblich mißachtet. Das Vorgehen der Sicherheitsorgane der DDR stehe im Widerspruch zum Grundlagenvertrag und stelle einen schweren Eingriff in ein weltweit anerkanntes Menschenrecht, nämlich das Recht auf Leben, dar.

Die BRD-Regierung erwarte, daß die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden und die Regierung der DDR Sorge dafür trage, daß solche schockierenden Vorfälle künftig unterbleiben.

Genosse Seidel erwiderte, daß auf Grund des Sachverhalts keinerlei Grundlage für irgendein Protest bestehe und er deshalb den von Bräutigam vorgetragenen Protest sowie dessen Auslassungen gegen die Sicherheitsorgane der DDR entschieden zurückweise. Die Ursache für den tragischen Ausgang des Grenzzwischenfalls am 4. Juni sei eindeutig durch den Grenzverletzer selbst gesetzt worden. Der Sachverhalt sei Herrn Staab bekanntlich bereits am 9. Juni dargelegt worden. Der Grenzverletzer habe die Sicherheitsorgane tätlich angegriffen und versucht, sich durch die Flucht der Festnahme zu entziehen, auch nachdem mehrere Warnschüsse abgegeben worden seien. Das Vorgehen der Sicherheitsorgane entspreche durchaus den internationalen Gepflogenheiten. Auch in der BRD würden auf flüchtige Täter nach Warnschüssen schließlich gezielte Schüsse abgegeben. Genosse Seidel sprach die Erwartung aus, daß der Zwischenfall nicht zur Diffamierung der DDR und zur Belastung der Beziehungen ausgenutzt werde.

Bräutigam erwiderte, der Vorfall sei für sie schockierend. Sie würden sich aber bemühen, dadurch ausgelöste Emotionen unter Kontrolle zu halten. Bräutigam gab zu verstehen, daß er über den heutigen Protest anschließend eine kurze Mitteilung herausgeben werde.

Seidel

Quelle: BStU, MfS, GH 61/83, Bd 1, Bl. 143-144
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