Todesopfer > Freudenberg, Winfried

MfS-Bericht an SED-Generalsekretär Erich Honecker über die Flucht von Winfried Freudenberg mit einem Gasballon

9. März 1989

INFORMATION

über

das ungesetzliche Verlassen der DDR durch eine männliche Person mittels Gasballon nach Westberlin am 8. März 1989

In den Morgenstunden des 8. März 1989 hat der Bürger der DDR
    Freudenberg, Winfried (32)
    geb. am 29. August 1956
    Hauptwohnung: Lüttgenrode, Kr. Halberstadt/Magdeburg, (...)
    Nebenwohnung: 1055 Berlin, (...)
    Beruf: Diplomingenieur für Informationstechnik
    tätig gewesen als Ingenieur für Systementwicklung Gas/Mikrorechentechnik und Prozeßsteuerung im VEB Energiekombinat Berlin
mittels eines selbstgefertigten Gasballons widerrechtlich die Staatsgrenze der DDR nach Westberlin überflogen. Die durch das MfS im Zusammenwirken mit der Deutschen Volkspolizei bisher geführten Untersuchungen ergaben:

Im Ergebnis der Information eines DDR-Bürgers an die Deutsche Volkspolizei über getroffene Feststellungen zu einem auf dem Gelände der Ortsregelanlage des Energiekombinates Berlin in 1122 Berlin-Blankenburg, Schäferstege 14, befindlichen Flugballon nahm die unverzüglich zum Ereignisort befohlene Besatzung eines Funkstreifenwagens gegen 2.10 Uhr den Aufstieg dieses Flugkörpers mit einer daran festgeschnallten Person wahr.

Der Ballon verursachte nach dem Abheben durch Berührung mit einer Energiefreileitung einen Kurzschluß, der zum Ausfall der Stromversorgung einer angrenzenden Kleingartenanlage führte. Nachfolgend entfernte sich der Ballon in westlicher Richtung und wurde über dem Territorium der DDR nicht wieder gesichtet.

Eine Anwendung der Schußwaffe durch die Angehörigen der Deutschen Volkspolizei erfolgte nicht.

Im Ergebnis der Ereignisortuntersuchung sowie von unverzüglich eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen wurde die Ehefrau des DDR-Bürgers
    (...), (24)
    geb. am (...)
    Beruf: (...)
    tätig als (...)
    (...)
als Mittäterin identifiziert und festgenommen. (Das Ehepaar Freudenberg schloß am 8. Oktober 1988 die Ehe. Ihre bisherige berufliche und gesellschaftliche Entwicklung verlief positiv, es gab keine Anhaltspunkte für ein beabsichtigtes ungesetzliches Verlassen der DDR. Beide haben keinen Antrag auf ständige Ausreise nach dem nichtsozialistischen Ausland gestellt.)

Den Aussagen der (...) zufolge kam sie etwa im Herbst 1988 mit ihrem Ehemann überein, wegen der von ihnen in der BRD bzw. in Westberlin erwarteten besseren materiellen Bedingungen die DDR ungesetzlich zu verlassen. Auf Grund ihrer fachlichen Kenntnisse entschlossen sie sich zu diesem Zweck zur Herstellung eines Flugballons und beabsichtigten, diesen mit Erdgas zu füllen. In mehreren Kaufhandlungen erwarben sie in unauffälligen Teilmengen handelsübliche Polyäthylenfolien, wie sie u. a. für Folienzelte Verwendung finden und fertigten daraus in ihrer Wohnung eine Ballonhülle von ca. 10 m Durchmesser.

Darüber hinaus knüpften sie aus handelsüblicher Verpackungsschnur ein Netz, das den angefertigten Ballon umspannte.

Zur Füllung des Ballons mit Gas wurde von ihnen ein Füllschlauch aus Polyäthylen angefertigt. Der vorgesehene Ablandeort war vom Ehepaar Freudenberg unter Ausnutzung der beruflichen Tätigkeit mehrfach aufgeklärt worden.

Auf Grund der von ihnen als günstig eingeschätzten Windverhältnisse entschlossen sie sich am 7. März 1989 zur Realisierung ihres Vorhabens.

Mit dem in ihrem Besitz befindlichen PKW vom Typ "Trabant" fuhren die Täter am gleichen Tag in den Abendstunden mehrfach zur angeführten Ortsregelanlage für Erdgas und brachten den Ballon, als Ballast geeignete Gegenstände (z. B. Koffer und gebündelte Haushaltswäsche) sowie persönliche Dokumente, Hilfsmittel für den Start usw. zum Ablandeort.

Während der Vorbereitung des Flugkörpers auf den Start (u. a. erfolgte die Füllung des Ballons mit Gas aus der genannten Anlage) wurde das Ehepaar am 8. März 1989 gegen 2.10 Uhr durch die Annäherung des eingangs angeführten Funkstreifenwagens der Deutschen Volkspolizei gestört und entschloß sich kurzfristig, daß lediglich der Winfried Freudenberg mittels Flugballon die DDR ungesetzlich verläßt. Er schnallte sich entsprechend an und kappte die Halteseile.

Da seine Ehefrau Angst vor der weiteren Durchführung des Vorhabens hatte, versteckte sie sich und verließ dann den Ereignisort.

Nach Verlautbarungen westlicher Medien ist der Gasballon am 8. März 1989, gegen 7.50 Uhr - ohne eine Person - aus Richtung Staatsgrenze der DDR eingeschwebt und blieb im Westberliner Bezirk Zehlendorf, Potsdamer Chaussee/Ecke Spanische Allee, an einem Baum hängen. An diesem selbstgefertigten Flugkörper war ein Gurtsystem mit einer Tragevorrichtung befestigt, in welcher sich u. a. Bekleidung, persönliche Gegenstände, Beruhigungstabletten sowie ein Sparkassenbuch, ausgestellt auf den Namen des genannten DDR-Bürgers, befanden.

In der Nähe des Fundortes des Ballons sei durch die Westberliner Polizei ein Ausweis des angeführten DDR-Bürgers aufgefunden worden.

Um 16.09 Uhr habe man in einem Privatgrundstück in der Limastraße im Bezirk Zehlendorf eine offenkundig aus großer Höhe abgestürzte männliche Person tot aufgefunden. Ein Vergleich des Toten mit dem aufgefundenen Ausweis habe Identität ergeben. Außerdem wären durch die Westberliner Polizei an einem weiteren Ort Gegenstände entdeckt worden, die auf die Beteiligung einer weiblichen Person schließen lassen.

Gegen die (...) wurde gemäß § 213 StGB (Ungesetzlicher Grenzübertritt) ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und Haftbefehl erlassen.

Die Untersuchungen werden fortgeführt.

Quelle: BStU, MfS, ZAIG Nr. 3745, Bl. 1-5
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