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„… der nichts so fürchtet wie Verantwortung. Über 'Antrittsrede' und 'Selbstportrait' eines Sängers", Neues Deutschland, 5. Dezember 1965

„…der nichts so fürchtet wie Verantwortung. Über 'Antrittsrede' und 'Selbstportrait' eines Sängers", Neues Deutschland, 5. Dezember 1965

Über „Antrittsrede" und „Selbstportrait" eines Sängers

Von Klaus Höpke

Seit einiger Zelt wird im westdeutschen Rundfunk und in westdeutschen Zeitungen wieder und wieder ein Lyriker gerühmt, der in der Hauptstadt der DDR lebt. Er heißt Wolf Biermann. In Westberlin erschien ein Band Gedichte von ihm. Einer der programmatischen Texte dieses Bandes trägt den Titel „Antrittsrede des Sängers". In ihm hm träumt Biermann, wenn er „den Rachen öffne", breite sich Panik aus. Sehen wir uns an, was zum Vorschein kommt, wenn er den Rachen öffnet.

Gebell gegen Gemeinschaft



Den Arbeitern und Bauern, Technikern und Agronomen, die Tag für Tag am Glück des Volkes arbeiten, hat er die Stirn zu sagen:

„Ich soll vom Glück Euch singen einer neuen Zeit doch eure Ohren sind vom Reden taub. Schafft in der Wirklichkeit mehr Glück! Dann braucht Ihr nicht so viel Ersatz in meinen Worten!"

Analysieren wir sachlich diesen „poetischen" Erguß. Herr Biermann weigert sieh also, den schönen und hohen gesellschaftlichen Auftrag des Schriftstellers in unserer Republik zu erfüllen, den Aufbau der neuen gerechten Gesellschaftsordnung literarisch darzustellen. Sollen doch die arbeitenden Menschen für Herrn Biermann erst mehr Glück schaffen! Vielleicht wird er dann gnädig geruhen, es zu besingen? Wir begnügen uns mit dem Erreichten nicht: deshalb bauen wir den Sozialismus umfassend und vollständig auf, und auch dann werden wir natürlich nicht stehenbleiben. Aber im Vorwärtsschreiten und mit dem Blick nach vorn vergessen wir keinen Augenblick die grundlegenden geschichtlichen Errungenschaften, welch, welche dir Werktätigen beim gesellschaftlichen Aufstieg bereits errungen haben. Und die schöpferische Arbeit, die uns in eine neue Epoche geführt hat, ist wohl wert, künstlerisch widerspiegelt zu werden. Biermann hindern daran die Reden. Wessen Reden mißfallen ihm? Die des Herrn Erhard? Nein, Biermann redet von den Reden sozialistischer Menschen. Der Geringschätzung gegenüber den Leistungen des Volkes entspricht die Verachtung gegenüber dessen Reden, Gedanken und Politik. Der Skeptizismus hindert Biermann, den Humanismus unseres Staates zu begreifen. Offenkundig will Biermann den Sozialismus ohne politische Führung aufbauen. Doch das Glück unserer sozialistischen Wirklichkeit verdankt unsere Gesellschaft den Leistungen der Volksmassen, die von der Partei der Arbeiterklasse mit Ihrer wissenschaftlich begründeten Politik geführt werden. Biermann dagegen ist Anhänger der Spontaneität. Seine anarchistische Philosophie, seine selbstgefällige Ich-Sucht bellt er so heraus:

„Ich will keinen seh´n! Bleibt nicht steh´n! Glotzt nicht! Das Kollektiv liegt schief! Ich bin der einzelne, das Kollektiv hat sich von mir isoliert!"

Vielleicht fühlt sich Biermann als Erneuerer. Aber seine Verse zeigen: Er bringt nichts Neues. Er wiederholt die dürftigen Postulate des bürgerlichen Individualismus, er nähert sich der Übermenschenideologie eines Nietzsche.

Was Wunder, daß Biermann in einem anderen Gedicht davon faselt, die Partei der Arbeiterklasse hacke sich die Füße ab. In Wirklichkeit handelt es sich um die tönernen Füße des Skeptizismus des Herrn Biermann. Er zerhackt die Verbindungen mit dem Volke, die Verbindungen mit der Partei.

Er greift auch in den Draht seiner Harfe, um gehässige Strophen gegen unseren antifaschistischen Schutzwall und unsere Grenzsoldaten erklingen zu lassen. Unter Einsatz ihres Lebens erfüllen die Genossen an den Grenzen unseres Staates ihre Pflicht des sozialistischen Patriotismus. Auch Biermanns Frieden und Wohlbefinden werden so behütet. Er aber gießt im Mantel der Ironie Haß über sie aus. Ist es etwa Zufall, daß solche Verse ausgerechnet in Westberlin gedruckt werden? Unsere Grenzsoldaten dienen dem Sozialismus und dem Frieden. Wem aber dient Biermann mit solchem Machwerk?

Schwach am Herzen und in den Lenden



Für die Brautnacht mit der neuen Zelt seien unsere Herz- und Lendenkräfte noch schwach. Also spricht Biermann. Er soll doch seine eigenen persönlichen und politischen Schwächen nicht als den Aggregatzustand unserer Gesellschaft ausgeben. Er kommt mit unserer neuen Zelt nicht zurecht. Daran ist aber nicht die neue Zeit schuld.

Es entspricht Biermanns anarchistischer Grundhaltung, wenn er ausgerechnet in unserer sozialistischen Gesellschaftsordnung alte Parolen der Demagogen der kapitalistischen Gesellschaft feilbietet. So wendet er sieh wiederholt gegen die natürliche Kampfgemeinschaft der älteren Genossen und der jungen Generation. Aber der Generationsgegensatz, dem Biermann huldigt, war nie das Banner der Arbeiterbewegung, sondern nur ihrer Feinde.

Die „FAZ" ist voller Jubel



Es Ist natürlich kein Wunder, daß die Vertreter der alten Unordnung in Westdeutschland aufjauchzen, wenn sie von solchem Dichtwerk hören. Fast immer war's vergebliche Mühe, wenn die imperialistische westdeutsche Presse die junge DDR-Lyrik nach antisozialistischen Tönen abklopfte. Erst jüngst scheiterte sie an Sarah und Rainer Kirsch und an Volker Braun. Um so eilfertiger greifen die Bonner Herrschaften nun zum Biermann. Im Vergleich mit seinen „Gesängen" werden Brauns und Kirschs Gedichte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" („FAZ") vom 23. November 1965 als „Rabiatenlyrik der SED-Protegés" und als „mit dem Air jugendlichen Ungestüms geputzte Masche" verunglimpft.

Das Blatt, das bei der Beurteilung progressiver Kunstwerke in Sachen Geschlechtsleben der Menschen, beispielsweise höchst empfindlich sein kann, nimmt dem Biermann auch ins Porno-grafische hinübergleitende Passagen bedenkenlos ab. Wer politisch pervers ist, darf es auch im Sexuellen sein. Solche Faustregel der Rezensenten zeugt freilich von Verfall der Kritikermoral. Aber diese Regel wird angewandt. Bei Biermann fehlt das Ja zum sozialistischen deutschen Staat. Dafür gibt's ein tätschelndes Streicheln von monopolbourgeoiser Kritikerhand.

Und nicht zufällig im Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" findet er Abdruck-Tribüne. Ein prominenter westdeutscher Schriftsteller bemerkte über dieses Organ geistreich: Auch wenn es kritische Strauß-Analysen drucke, richte es gegen den Imperialismus kein Jota mehr aus als die verinnerlichteste Lyrik. Wenn es nun Biermanns Texte aufgreift, so offenbar in der Illusion, wenigstens gegen den Sozialismus etwas ausrichten zu können. Erreicht wird jedoch nichts anderes als ein neues Zeugnis antikommunistischer Prinzipienlosigkeit.

Der Jubel von Erhards „FAZ", in den auch Springers „Welt" einstimmte, wird ganz verständlich, wenn man den kulturpolitischen Hintergrund der Bundesrepublik betrachtet, vor dem da gejubelt wird. Mit den humanistischen Schriftstellern liegt die Herrschaftspartei des staatsmonopolistischen Kapitalismus CDU/CSU in tiefer Fehde. Eben erst hat Strauß im Bundestag Erhards Pinscher-Tiraden gegen Hochhuth und Grass und kritisch denkende Arbeiter und Intellektuelle überhaupt heilig gesprochen. Zur gleichen Zelt öffneten Springers Schlammwerfer ihre Schleusen gegen Amery, Böll, von Cramer, Enzensberger, Walser, Weiss, den Suhrkamp-Verleger Unseld und viele andere wegen ihres Vietnam-Appells.

Von derartigen Problemen abzulenken, kommt den Strauß, Erhard usw. der Biermann gerade recht. Er und das Trara um ihn sollen helfen, die antidemokratische „Maulhalten!"-Kampagne des Monopolkapitals abzudecken. Objektiv fällt er den westdeutschen humanistischen Kräften in den Rücken. Das große Leitwort ihrer Bemühungen ist das Engagement der Schriftsteller und Künstler für Menschlichkeit und gegen ihre imperialistischen Zerstörer. Und da hinein tönt Biermann mit seinen Harfenklängen gegen den Staat des Humanismus in Deutschland, gegen die Arbeiter-und-Bauern-Macht in der DDR und gegen die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, unter deren Führung unser Volk mit dem Aufbau des Sozialismus seinen entscheidenden Beitrag zur Sicherung des Friedens leistet.

Ich weiß nicht, ob Biermann noch der Bestürzung über solche Zusammenhänge fähig ist. In jedem Falle wird er sie leugnen wollen. Doch das würde ihm nichts helfen. Er, der nichts so fürchtet wie die Verantwortung, wird aus der Verantwortung nicht entlassen.

Im Bunker der Skepsis



Tatsachen bleiben Tatsachen. Selbst radikale Umkehr kann sie nicht von heute auf morgen aus der Welt schaffen. Aber radikale Umkehr wäre die einzige Möglichkeit, überhaupt aus dem Sog antikommunistischen Liedermachens herauszukommen. Noch ist dafür kein einziges Anzeichen zu sehen.

Vielmehr hat Biermann mit seinem 1965 geschriebenen „Selbstporträt" den Punkt aufs I seiner früheren Invektiven gesetzt. Hierin enthüllt er nämlich, wo seine Schwachheiten geboren werden. „In den Bunkern meiner Skepsis sitz ich sicher", heißt es da. Und die Leute, die für Licht auf Erden sorgen, erscheinen bei ihm als „Finsterlinge mit Strahlenglanz", die ihn blenden.

Ob es sich im Bunker der Skepsis wirklich so sicher sitzt, wie Biermann meint? Uns scheint, daß Bunker-„Weisheiten" gegen Friedenssicherung und Sozialismus, ob philosophisch drapiert oder nicht, das schlechteste poetisch-politische Credo sind, das sich ein Sänger heute wählen kann. Biermann schwört dennoch darauf — von seiner Antrittsrede bis zum Bilanz ziehenden Selbstporträt. Offenbar strebt er nach dem traurigen Ruhm des Herostratos, der im griechischen Altertum den Artemistempel zerstörte, damit die Geschichte von ihm Notiz nähme.

Seine einstigen Freunde wenden sich mehr und mehr von Ihm ab. Nicht panikhaft, sondern kontinuierlich. Sie merken: Es geht ihm nicht um die gemeinsame sozialistische Sache. Denn wer nicht wie er bar jeder Verantwortung über alles und jedes in unserer Gesellschaft herfallt, wer seinen Attacken nicht Beifall zollt, den denunziert er als „Büroelephanten".

Charakterfragen...



Klaus Wagenbach, der die eingangs erwähnte Sammlung Biermannscher Verse in Westberlin verlegt hat, wird unseren Überlegungen eine Frage entgegenhalten: Sehen wir denn nicht das Talent?

Wenn die talentvollste Handlung, zu der unser Volk unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären marxistisch-leninistischen Partei fähig wurde — die sozialistische Revolution in der DDR —, in den Dreck getreten wird, dann haben wir wohl allenfalls vom Mißbrauch eines Talents zu reden. Wir können uns den Mann ja nicht nach einem Wunschbild hindrechseln. Wir halten uns daran, was er schreibt, was er in die Öffentlichkeit gibt und was er wegläßt.

Früher hat Biermann auch einige gute Gedichte und Lieder verfaßt. Beispielsweise die Ballade von dem Briefträger William L. Moore aus Baltimore und die ergreifenden Verse vom Tod des Genossen Grimau. Aber wir lassen uns dadurch nicht über seine negative Entwicklungstendenz während der letzten Jahre hinwegtäuschen.

Daß er in der Sammlung bei Wagenbach seine früheren Lieder auf die guten Sozialisten nicht drucken ließ, können wir nur als genauso symptomatisch für seine Entwicklung wie die massierten Angriffe gegen unsere Gesellschaft empfinden, mit denen er Verse wie die auf Grimau verrät. Zu schweigen davon, daß er dem Vermächtnis seines Vaters untreu wird, der als Antifaschist im Konzentrationslager ermordet wurde.

Goethe spricht im „Tasso" vom Talent, das sich in der Stille bilde, und vom Charakter, der sich im Strom der Zeit forme. Fragen wir also doch bitte auch nach dem Charakter!

...und Leitungsprobleme



In der Epoche des Übergangs der Menschheit vom Kapitalismus zum Sozialismus werden an Kampfesmut und Charakterstärke der Menschen besonders hohe Anforderungen gestellt. Das imperialistische System strömt Zersetzung aus und zieht Charakterlosigkeit an, ja bringt sie zu höchsten Ehren. In dieser Zeit gibt es erwiesenermaßen nicht wenige, die zwischen den Fronten stehenbleiben oder pendeln möchten. Das hat tiefgreifende geistige, moralische, charakterliche und — bei einem Künstler — künstlerische Folgen.

Wir meinen, daß es zu den Pflichten der sozialistischen Gesellschaft gehört, möglichst viele vor der abschüssigen Bahn, auf die das führt, zu bewahren. Dazu gehört nicht nur Geduld, die staatliche Organe wie das Kulturministerium und gesellschaftliche Organisationen wie der Schriftstellerverband lange Zeit bewahrt haben. Geduld muß stets mit prinzipieller Stellungnahme gepaart sein. Wenn die Geduld in Duldsamkeit und Versöhnlertum umschlägt und zu Selbstlauf führt, wird sie schädlich. Mehr Angriffsgeist gegen Positionen ideologischer Koexistenz ist erforderlich.

Mit solchem Hinweis wird die persönliche Verantwortung Biermanns für seine Ausfälle nicht verkleinert. Es soll nur im Sinne der Aufgaben, vor denen alle Kulturschaffenden in unserer Zeit stehen, ein ständiger Prozeß geistiger Aktivität, ideologischer Auseinandersetzung, lebendigen Streitgesprächs gefordert werden. In dessen Verlauf erarbeiten sich noch mehr Schriftsteller und Künstler als bisher den wissenschaftlich begründeten marxistisch-leninistischen Standpunkt der Partei der Arbeiterklasse. Und sie machen sich ihn für persönliche Haltung und künstlerisches Werk zu eigen.

Quelle: Neues Deutschland, 5.12.1965
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