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Notiz von Werner Krolikowski über ein Gespräch zwischen Willi Stoph und Erich Mielke am 13. November 1980

Notiz von SED-Politbüromitglied Werner Krolikowski über ein Gespräch zwischen Willi Stoph und Erich Mielke am 13. November 1980

Abschrift

Information über ein Gespräch zwischen W. Stoph und E. Mielke am 13.11.80



E. Mielke betonte mit großem Nachdruck, daß sich EH seit dem Krimtreffen mit L. I. Breshnew im positiven Sinne überhaupt nicht verändert hat. Im Gegenteil - seine ganze Rolle sei noch gefährlicher geworden. Besonders im Verhältnis zur BRD sei sichtbar, daß er öffentlich provokativ auftritt, während er intern gegenüber der BRD für sein öffentliches Verhalten Entschuldigungen abgibt. Im Gespräch von EH mit G. Gaus sei dies ganz eindeutig erfolgt. Die Niederschrift, die EH über dieses Gespräch im PB verteilt hat, enthält nicht die ganze Wahrheit. Das stehe eindeutig fest. Er habe weitere Äußerungen zu G. Gaus getan, die gegen die Interessen der Sowjetunion und DDR sind und Bonn begünstigen. EH hat sich nur mit GM zuvor über das unterhalten, was er mit G. Gaus besprechen will. EH hat G. Gaus gesagt, daß erhoffe, daß es mit den deutsch-deutschen Beziehungen bald wieder so weitergehen kann wie zuvor! Mielke sagte zu W. Stoph: EH verschaukelt uns und die sowjetischen Freunde.

Mielke sagte zu W. Stoph weiter: Auch über das, was L. I. Breshnew EH auf der Krim sagte, hat EH in der PB-Sitzung nicht die volle Wahrheit gesagt. Wichtige Dinge hat er unterschlagen oder gegenüber dem PB verfälscht. EH hat z. B. dem PB nicht gesagt, daß L. I. Breshnew ihm dringend geraten hat, Mittag aus der Führung herauszunehmen, so sagte Mielke zu W. Stoph, aber nach Mielkes Meinung wird EH dies GM persönlich gesagt haben, ihn unter Druck zu setzen und GM sich gefügig zu machen. Mielke sagte weiter zu Stoph:

EH würde eine Reihe Genossen aus dem PB lieber heute als morgen entfernen - dazu gehöre er selbst, aber auch W. Stoph u. a. Aber EH kann sie z. Zt. nicht rausschmeißen; er muß lavieren; er ist nervös und hektisch.

Mielke sagte weiter:

Wenn jetzt EH richtige Forderungen superscharf gegenüber der BRD vertritt, so ist dies nicht auf die Breshnew-Kritik von der Krim zurückzuführen. EH sind die Ereignisse in Polen in die Knochen gefahren. Er hat Angst, daß es in der DDR auch zu Schwierigkeiten kommt; er fürchtet den Einfluß der BRD!

Zum Reagieren von EH auf den Breshnew-Brief an EH wegen der Solidarität für Polen (Verzicht der DDR auf 600-650 kt Erdöl aus der Sowjetunion) sagte Mielke zu W. Stoph:

Bevor EH nach Österreich fuhr, hat er in Einzelgesprächen mit verschiedenen Genossen (auch zu Mielke) gesagt, daß Leonid einen Brief geschickt hat, daß man auch seitens der DDR helfen müßte, aber daß wir nicht zustimmen, daß uns die Sowjetunion Öl abzieht, sondern daß wir lieber selber das Geschäft machen.

W. Stoph sagte zu Mielke, daß er das gefährliche Treiben von EH in dieser Sache durchschauen muß, denn EH will die Konzeption der sowjetischen Freunde kaputt machen, in dem er die Sache im Alleingang mit Kania macht.

So tat es ja EH auch - ohne Beschluß des PB, ohne eine Konsultation mit den sowjetischen Freunden, sondern in totaler nationalistischer Eigenmächtigkeit und Arroganz. Mielke sagte, daß EH fest damit gerechnet hat, daß die Sowjetunion in Polen einmarschiert.

Bei der antisowjetischen Stimmung, die in Polen besteht, sei es schwer, die erforderlichen Veränderungen herbeizuführen, sagte Mielke. Er habe die sowjetischen Freunde stets auf den starken Antisowjetismus in Polen hingewiesen.

W. Stoph sagte Mielke, daß er seine Taktik ändern muß. Es genüge nicht nur EH zu informieren. Überall wo es geht, muß er auch die anderen PB-Mitglieder informieren. Mielke sagte, daß dies sehr schwer sei, da EH festlege, wer noch informiert werden darf.

W. Stoph sagte: Wir müssen doch das Gewissen der Genossen im PB schärfen. Sonst folgen ihm (EH) noch alle Genossen des PB blind.

Mielke sagte dazu, daß dies früher vielleicht so war, daß dies heute aber nicht mehr so ist, immer mehr sehen die Dinge richtiger, aber alle haben Angst vor EH.

W. Stoph sagte Mielke, daß EH seine Antwort an L. I. Breshnew und seinen Brief an Kania wegen der Polen-Hilfe nicht mit den sowjetischen Genossen vorher abgestimmt hat, sondern daß er sie vor vollendete Tatsachen stellte. Mielke wollte das gar nicht glauben; war hell empört darüber und sagte, dies sei ein großer Vertrauensbruch.

Mielke kritisierte den von EH veranlaßten Abbruch der Kultur- und Sportbeziehungen zur BRD als einen politischen Skandal einer unberechenbaren Honecker-Politik. Mielke sagte, das ist wieder eine dieser Provokationen. EH hat das PB festgelegt und K. Hager hat sofort die Durchführung durchgestellt. Er (Mielke) wird EH, wenn er in Schönefeld landet, danach sofort auf diesen Vorfall aufmerksam machen und eine neue Entscheidung verlangen. Vom Flugplatz ist EH mit E. Mielke zusammen im Auto nach Hause gefahren, worin dieses Gespräch stattfand.

Am Freitag hat EH über ADN eine Korrekturmeldung herausgegeben.

Mielke sagte: EH spielt nach beiden Seiten, einmal so, einmal so. Man muß damit rechnen, daß EH weitere politische Geschäfte mit der BRD macht. EH hat sein NON-Papier (9 Punkte für weitere menschliche Erleichterungen zwischen der DDR und der BRD) behalten, wozu? sagte Mielke. Mielke sagte weiter: Nicht um ein Deut hat sich EH geändert. Das Gegenteil ist der Fall - er ist als noch gefährlicher einzuschätzen.

Er macht alles nur noch im Komplott mit GM. Auch zur Jagd fährt er meist mit GM allein. Mielke ist nur noch zur Jagd eingeladen, wenn Abbrassimow eingeladen ist.

Über H. Hoffmann sagte Mielke, daß dieser eine feste Position hat, auch wenn es nach außen nicht immer so scheint. Hoffmann habe erklärt: „Er werde einen Verrat der DDR gegenüber der Sowjetunion niemals mitmachen."

Mielke informierte W. Stoph, daß es in den wirtschaftspolitischen Abteilungen des ZK gegenüber der gesamten Weststrategie von EH und GM sehr gärt, es viele Widersprüche gibt. Die Genossen sehen offensichtlich die Gefährlichkeit der Erhöhung der Abhängigkeit der DDR von kapitalistischen Staaten sowie ihren Konzernen und Banken und sehen die gesicherte Perspektive der DDR nur in höchsten eigenen Leistungen und in der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Bruderländern.

Quelle: Peter Przybylski, Tatort Politbüro. Die Akte Honecker, Berlin 1991, S. 345-348.
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