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Niederschrift eines Gesprächs von SED-und KPdSU-Politbüromitgliedern unter Leitung von Erich Honecker und Konstantin Tschernenko in Moskau, 17. August 1984

Niederschrift eines Gesprächs von SED- und KPdSU-Politbüro-Mitgliedern unter Leitung von Erich Honecker und Konstantin Tschernenko in Moskau, 17. August 1984

Abschrift (Auszüge)

Berlin, den 17. August 1984

An dem Treffen im Kreml nahmen teil:

Seitens des ZK der KPdSU:

Genosse M. S. Gorbatschow, Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK
Genosse D. F. Ustinow, Mitglied des Politbüros und Verteidigungsminister der UdSSR
Genosse W. M. Tschebrikow, Kandidat des Politbüros, Vorsitzender des Komitees für Staatssicherheit
Genosse K. V. Russakow, Sekretär des ZK
Genosse G. M. Kornijenko, Mitglied des ZK, 1. Stellvertreter des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten
Genosse W. W. Scharapow, Berater des Generalsekretärs
Genosse A. I. Martynow, Sektorenleiter in der Abteilung des ZK der KPdSU
Genosse A. N. Tarassow, Mitarbeiter des Sektors in der Abteilung, als Dolmetscher

Seitens des ZK der SED:

Genosse Kurt Hager, Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK der SED
Genosse Hermann Axen, Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK der SED
Genosse Erich Mielke, Mitglied des Politbüros und Minister für Staatssicherheit
Genosse Günter Sieber, Mitglied des ZK, Leiter der Abteilung Internationale Verbindungen
Genosse Bruno Mahlow, Mitglied der ZRK, stellv. Leiter der Abteilung Internationale Verbindungen, als Dolmetscher.

Nach der herzlichen Begrüßung hieß Genosse Tschernenko Genossen Honecker und die anderen Genossen der SED willkommen und ging davon aus, daß offensichtlich bei der Führung der DDR das Bedürfnis entstand, in einigen wichtigen Fragen unserer Beziehungen Klarheit zu schaffen. Dies entspreche auch dem Wunsch der sowjetischen Parteioführung und den Traditionen der ganzen Geschichte der Beziehungen zwischen unseren Parteien.

Genosse Honecker übermittelte zunächst Genossen Tschernenko und den anderen Genossen der sowjetischen Parteiführung im Namen des Politbüros des ZK der SED herzliche Grüße. Am Dienstag hat eine Sitzung des Politbüros des ZK der SED stattgefunden, auf der zu einigen Fragen Stellung genommen wurde, die sich aus einigen Veröffentlichungen in der „Prawda" und insbesondere aus Spekulationen und Bestrebungen im Westen ergeben, einen Keil in die Beziehungen zwischen unseren Parteien zu treiben.

Es ist ganz klar - und davon geht unsere Führung aus - daß nichts zugelassen werden darf, was einen Keil in die Beziehungen zwischen unseren Parteien treibt. In diesem Sinne sprach sich das Politbüro einmütig dafür aus, auch nicht einen Millimeter Spalt in unseren Beziehungen zuzulassen. Für die SED ist der Revanchismus und die Notwendigkeit seiner Entlarvung keine Frage. Im Kampf gegen den Revanchismus hat die SED stets standhafte Positionen eingenommen.

Genosse Honecker wies darauf hin, daß er aufgrund dieser Situation seinen Urlaub etwas verkürzte, um sich mit diesen Fragen zu befassen. Es sei ein Bedürfnis seitens unserer Führung, einen Uhrenvergleich durchzuführen. Es gehöre zu den Traditionen in den Beziehungen zwischen unseren Parteien, daß sie stets in den grundsätzlichen Fragen einheitliche Positionen vertreten haben.

Im Auftrag des Politbüros möchte er einige Ausführungen zu den aufgeworfenen Fragen machen. (...)

Nunmehr zu den Beziehungen der DDR zur BRD.

Immer sind wir davon ausgegangen, daß es sich um zwei Staaten gegensätzlicher gesellschaftlicher Systeme handelt, die unterschiedlichen Bündnissen, dem Warschauer Pakt und der NATO, angehören. Die 35jährige Geschichte der DDR war die Geschichte des Kampfes um die Durchsetzung der Positionen des sozialistischen deutschen Staates gegen die revanchistischen Ziele der Imperialisten der BRD. Niemals gab es bei uns Illusionen über den Charakter der BRD, über das Wesen und die Ziele ihrer Politik. Das war so in der Zeit der Adenauer-Regierung, das war so in der Zeit der von der SPD geführten Bundesregierung, und das ist jetzt so.

Zieht man die Bilanz der mehr als drei Jahrzehnte, so zeigt sich: Dank der gemeinsamen Politik haben sich die Positionen des sozialistischen deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates von Jahr zu Jahr gestärkt, und die Kräfte des Revanchismus mußten schwere Niederlagen hinnehmen. Der 35. Jahrestag unserer Republik ist dafür ein unübersehbarer Beweis.

Angesichts der Notwendigkeit, alles zu tun, um die Welt vor einer nuklearen Katastrophe zu bewahren und die von den USA betriebene Politik der Konfrontation zu durchkreuzen, gehen wir in unserer konkreten Situation davon aus, gegenüber der BRD eine Politik zu entwickeln,
  • die in unserem Lande von den Volksmassen verstanden und unterstützt wird;
  • die von einer möglichst großen Zahl der Bürger der BRD verstanden und mehr und mehr akzeptiert wird;
  • die Kräfte des Friedens und der Opposition in der BRD nicht in Resignation verfallen läßt, sondern zum Kampf mobilisiert;
  • die es der Kohl-Regierung erschwert, ein guter und aktiver Verbündeter der Reagan-Regierung zu sein.
Wir dürfen die Regierung der BRD nicht aus ihren vertraglichen Verpflichtungen entlassen, sondern müssen sie unseres Erachtens trotz aller Erschwernisse so fest wie möglich an die Verträge binden.

Wir meinen, daß es darauf ankommt, die durch die Raketenstationierung in der BRD entstandene neue Lage nicht nur zu beschreiben und anzuprangern. Das ist notwendig. Aber es gilt zugleich, ständig neue Initiativen zu ergreifen, um mit mobilisierenden Lösungen den Kampf gegen diese gefahrvolle Entwicklung weiter zu entfalten.

Unseres Erachtens dürfen jene nicht zum Zuge kommen, die der Bevölkerung der BRD einreden wollen, die USA wollen verhandeln und seien friedfertig.

Wir dürfen die besorgten und schwankenden Kräfte in der BRD nicht dem Einfluß der Ultras überlassen. Wir müssen mit ihnen reden, um sie als Verbündete im Kampf um die Sicherung des Friedens zu gewinnen, wie groß auch die Meinungsunterschiede und Differenzen in anderen Fragen sein mögen.

Die Erfahrungen der beiden zurückliegenden Jahre haben bewiesen:
Es ist durchaus möglich, mit der offensiven Friedenspolitik der sozialistischen Staaten auf breite Schichten der Bevölkerung der BRD Wirkung auszuüben. Sonst wäre es nicht zu einer Massenbewegung gegen die Raketenpolitik der USA in dem bekanntem Ausmaß gekommen, wie wir das vorher selbst kaum geglaubt hätten.

Sonst wäre es nicht möglich gewesen zu erreichen, daß die SPD nach ihrem von Helmut Schmidt erzwungenen Ja zur Raketenstationierung zu einem Nein, zu einer Ablehnung der USA-Raketenpolitik gekommen ist.

Auch wäre nicht erreicht worden, daß über 70 Prozent der Bevölkerung sich gegen die Fortsetzung der Raketenstationierung aussprachen. Das reicht bis weit in die Reihen der Anhängerschaft der CDU/CSU hinein, zu denen vor allem auch christliche Menschen gehören, die für die Verständigung mit den sozialistischen Staaten sind und die Reagan-Politik ablehnen.

Auch in bezug auf das Verhältnis zur DDR hat sich in der Bevölkerung der BRD in den zurückliegenden Jahren eine Entwicklung vollzogen. Gewiß ist ein Teil der BRD-Bürger noch immer von revanchistischen Illusionen erfaßt, die von den entsprechenden Organisationen, von den Medien des Springer-Konzerns und auch von Politikern aller systemtragenden Parteien immer wieder geschürt werden.

Es gibt aber einen anderen Teil der Bevölkerung der BRD, der die DDR als selbständigen deutschen Staat sieht, mit dem man normal auskommen muß. Dieser Teil ist im Wachsen begriffen, und vor allem viele Jugendliche denken so. Das ist ein wichtiger Fortschritt.

Es gibt einen dritten Teil der BRD-Bevölkerung: Das sind die Freunde der DDR. Dazu zählen neben den Kommunisten in wachsendem Maße auch Gewerkschafter, Mitglieder und Wähler der SPD, viele Anhänger der Friedensbewegung.

Damit ist, ohne es zu überschätzen, ein politisches Kapital entstanden, das wir nicht verschenken oder gar jetzt dem Einfluß des Feindes überlassen dürfen. Wir müssen es vergrößern.

Die innere Lage der BRD ist von tiefen Widersprüchen geprägt. Die Kohl-Regierung ist 1982 von maßgeblichen Kreisen des Monopolkapitals ins Amt gebracht worden, um auf allen Gebieten eine Wende nach rechts durchzusetzen. Die ökonomische Situation ist aber trotz geringfügiger Verbesserungen weiter von tiefen Krisenerscheinungen geprägt. Der versprochene große Aufschwung kommt nicht. Die Massenarbeitslosigkeit geht nicht zurück, sondern wächst weiter an. Die Politik des Abbaus sozialer Leistungen durch die Regierung und die Unternehmer ist gerade in den vergangenen Wochen durch machtvolle Streiks der Arbeiter und ihrer Gewerkschaften beantwortet worden. Die sozialen Spannungen werden weiter zunehmen. Die Kohl-Regierung sollte eine Regierung der festen Hand sein. Wie die Tatsachen zeigen, ist aber ihre Situation durch verstärkte Labilität gekennzeichnet. Schon zeigt sich die Angst vor den nächsten Wahlen.

Schwer ist die Verantwortung, die diese Regierung mit ihrer Zustimmung zur Stationierung der USA-Erstschlagswaffen übernommen hat.

Wir können jedoch nicht aus dem Auge lassen, daß dafür der vorhergehende Bundeskanzler Helmut Schmidt die Vorbereitungen getroffen und damit der Regierung Kohl das Handeln erleichtert hat. Seit der Regierung Schmidt ist die BRD militärisch zur zweitstärksten NATO-Macht geworden.

In der Ost- Politik hat Kohl Kontinuität verkündet. In zwei Briefen und in Telefongesprächen hat er mir das erklärt. Er muß auf die Stimmung der Bevölkerung Rücksicht nehmen. Außerdem gibt es handfeste Wirtschaftsinteressen der Großbourgeoisie, die sich nicht von Washington alles vorschreiben lassen wollen. Diese Interessenkonflikte mit den USA in den Fragen der Hochzinspolitik und der Technologieexports haben sich sogar noch verstärkt.

Jetzt muß unser ganzes Trachten darauf gerichtet sein, alle Kräfte weiter zu ermuntern, die sich für den Stopp der Raketenstationierung und den Abzug der bereits aufgestellten Systeme einsetzen.

Dabei gilt es, auch jene anzusprechen, die zwar für die Stationierung waren, jetzt aber allmählich begreifen, daß damit für die BRD keine größere Sicherheit entsteht, sondern Todesgefahr. Die gibt es in der SPD, aber auch in der CDU/CSU. Dazu bedarf es des politischen Dialogs.

Von dieser unausweichlichen Aufgabe der Mobilisierung aller Kräfte für den Frieden und gegen den USA-Kurs der Konfrontation, gegen die Zerstörung des europäischen Vertragswerkes lassen wir uns auch in der Frage meines Besuches in der BRD leiten.

Welche Ziele könnten mit dem Besuch erreicht werden?
  • Der Besuch in der BRD könnte dazu dienen, vor der Öffentlichkeit dieses Landes und mit weltweiter Auswirkung die konstruktiven Vorschläge der UdSSR und der anderen sozialistischen Staaten zur Verhinderung eines Atomkrieges, zum Stopp der Raketenrüstung und dem Abbau der bereits stationierten Systeme, gegen die Militarisierung des Weltraums, für die Gesundung der Weltlage darzustellen. Der Ablauf des Besuches würde das in vielfältiger Weise ermöglichen; durch eine Erklärung bei der Ankunft in der Bundesrepublik, in den Gesprächen, bei den Treffen mit den Vertretern der Parteien und in einer Pressekonferenz usw.
    Ich habe bereits in einem Interview mit einer italienischen Zeitung öffentlich erklärt, daß ich mit Bundeskanzler Kohl über den Stopp der Aufstellung der NATO-Raketen sprechen werde. Die Regierung der BRD war dadurch gezwungen, öffentlich ihr Einverständnis mit der vorrangigen Behandlung dieser Frage zu bekunden.

  • Mein Besuch als Staatsmann der DDR in der BRD würde vor aller Welt in einer bisher nicht gekannten Weise deutlich machen, daß der sozialistische deutsche Arbeiter-und-Bauern-Staat ein souveräner und selbständiger Staat ist, mit dem die BRD in völkerrechtlichen Beziehungen steht. Das würde vor allem unterstrichen durch das erstmalige Treffen des Staatsoberhauptes des sozialistischen Staates mit dem Bundespräsidenten der BRD.
    Praktisch wäre das ein schwerer Schlag gegen alle revanchistischen Tendenzen und Illusionen. Das ist auch einer der Gründe, warum gerade die ultrarechten Kräfte in der BRD gegen das Stattfinden dieses Besuches hetzen.

  • In den zurückliegenden Monaten bin ich mit den Regierungschefs von Schweden, Griechenland und Italien zusammengetroffen. Demnächst werde ich nach Finnland reisen und im Spätherbst den französischen Ministerpräsidenten und den Bundeskanzler Österreichs erwarten. Vom Staatspräsidenten Frankreichs, Mitterrand, habe ich über unseren Außenminister eine mündliche Botschaft erhalten.
    So würde sich der Besuch in der BRD in diese Reihe einordnen. Auch damit würde unterstrichen, daß die Beziehungen der DDR zur BRD die gleiche völkerrechtliche Qualität besitzen wie zu anderen kapitalistischen Ländern. De facto würde damit deutlich, daß die BRD für die DDR Ausland ist.

  • Kürzlich weilte der Bundeskanzler der BRD, Kohl, in Budapest. Jetzt ist bekannt geworden, daß Mitte September Genosse Todor Shiwkow nach Bonn reisen wird. Der Außenminister der CSSR, Genosse Chnoupek, hat bei seinem jetzigen Besuch in der BRD an Kohl eine Einladung zum Besuch in Prag überbracht. Weitere Begegnungen zwischen sozialistischen Staaten und der BRD sind in Vorbereitung, so zwischen den rumänischen Genossen und Bonn.

  • In dieser Verbindung wäre meine Reise in die BRD ein normaler Vorgang, wohingegen ein Nichtstattfinden dieses Besuches als außergewöhnlich wirken müßte.

    Wie steht es um die Haltung der politischen Kräfte in der BRD zur Frage des Besuches?

  • Die Einladung war bekanntlich bereits vor 3 Jahren von Bundeskanzler Helmut Schmidt ausgesprochen worden. Auch liegt eine entsprechende Einladung des Bundespräsidenten der BRD, Weizsäcker, vor.
    In der CDU/CSU sind die Auffassungen geteilt. Gegen den Besuch sind bestimmte ultrarechte Kreise, vor allem in der Bundestagsfraktion der CDU/CSU unter Führung des CDU-Politiker Dregger. Sie versuchen, durch Erklärungen das Klima zu belasten und haben sich mit den Scharfmachern des Springerkonzerns verbündet.
    Andererseits sind jene Kreise der CDU/CSU für den Besuch, die vor allem mit wichtigen Gruppen der westdeutschen Wirtschaft verbunden sind, denen die Fortsetzung der Handelsbeziehungen zur UdSSR, zur DDR sowie zu den anderen sozialistischen Saaten am Herzen liegen. Mir selbst sind von maßgeblichen Persönlichkeiten der Wirtschaft der BRD, wie von Berthold Beitz, entsprechende Nachrichten zugegangen.
    Dabei ist zu bedenken, daß Helmut Kohl vor seiner politischen Karriere Geschäftsführer des Verbandes der chemischen Industrie war. Der CDU-Politiker Stoltenberg, jetzt Finanzminister, war früher unter der Leitung von Beitz Direktor bei Krupp. Der CDU-Politiker Kiep, Mitglied des Präsidiums und Schatzmeister, ist Aktionär bei der Hoechst AG. Er gehört zu jenen, die 1970 den Abschluß des Moskauer Vertrages, des Warschauer Vertrages und des Grundlagenvertrages unterstützt haben.

  • Die FDP tritt für das Stattfinden des Besuches ein. Sie verspricht sich davon eine Aufwertung ihrer Rolle, da sie in den zurückliegenden Jahren gemeinsam mit der SPD am Zustandekommen der Verträge mit den sozialistischen Ländern aktiv beteiligt war. Durch die betonte Befürwortung verbesserter Beziehungen zu den sozialistischen Ländern versucht sich die FDP von der CDU/CSU, mit der sie zusammen regiert, abzuheben und Wähler zu gewinnen.

  • Führende Politiker der SPD haben uns wissen lassen, daß sie auf das Stattfinden des Besuches in den kommenden Wochen großen Wert legen. Der Vorsitzende der SPD, Willy Brandt, hat sich in diesen Tagen noch einmal direkt an mich gewandt und die Hoffnung geäußert, daß er mich treffen wird. Ebensolche Stellungnahmen gibt es von Vogel, Bahr, Ehmke u. a.
    Vogel hat Anfang August mitgeteilt, die SPD habe ein besonderes Interesse an dem Besuch, weil sie sich damit eine Stärkung ihrer Position im Hinblick auf die kommenden Wahlen verspricht.
    So hat sich auch der SPD-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Rau, und der Landesvorsitzende der SPD des Saarlandes, Lafontaine, geäußert. In beiden Ländern finden im Frühjahr Wahlen statt. Wenn die SPD sie gewinnt, würde das das Kräfteverhältnis im BRD-Bundesrat verändern.
    Insgesamt erwartet die Führung der SPD durch meinen Besuch und die Darlegung unserer Politik eine Hilfestellung, um in der BRD eine neuen Mehrheit gegen die CDU/CSU zu schaffen. Wie mir mitgeteilt wurde, trage sich Willy Brandt mit dem Gedanken, noch einmal für das Amt des Bundeskanzlers zu kandidieren.

  • Die Partei der Grünen hat in mehreren Briefen an mich den geplanten Besuch begrüßt und darum ersucht, mit mir zusammentreffen zu können. Natürlich wissen wir, wie widersprüchlich die Lage in dieser Partei ist. Sie repräsentiert aber einen beachtlichen Teil der oppositionellen Kräfte, vor allem unter der Jugend. Von den Grünen hat es bereits wichtige Initiativen zur völligen Respektierung der Staatsbürgerschaft der DDR gegeben. Sie haben sich öffentlich gegen die Thesen des Revanchismus ausgesprochen. Es gilt, jene Kräfte dort zu bestärken, die auf vernünftigen, ja, man kann sagen, auf linken Positionen stehen.

  • Ich möchte noch bemerken, daß mir auch ein Schreiben des Koordinierungsausschusses der BRD-Friedensbewegung vorliegt. Der Vorsitzende dieses Ausschusses, Josef Leinen (SPD), unterstrich darin die Wichtigkeit eines Besuches für die gesamte Friedensbewegung und bittet um eine Begegnung.
Alles in allem: Unter Abwägung aller Faktoren kommen wir zu der Schlußfolgerung, daß der Besuch in der BRD richtig wäre und für unsere gemeinsame Politik des Kampfes zur Verminderung der Kriegsgefahr, gegen die Hochrüstungspolitik der USA und der NATO von Nutzen wäre. In dieser Beurteilung stimmen wir mit der DKP und auch der SEW überein.

Natürlich haben wir auch die Frage einer Absage des Besuches erwogen. Eine Absage, sofern sie nicht mit sehr gewichtigen Gründen sowohl für die Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik, als auch für die Friedenskräfte der BRD und für die internationale Öffentlichkeit verbunden wäre, könnte eigentlich nur die Ultras in der BRD und in den USA freuen, die den Besuch zu verhindern trachten.
Selbstverständlich bedarf es noch entsprechender Schritte der Vorbereitung. Selbstverständlich stellen wir in Rechnung, daß es eines kämpferischen Herangehens bedarf, um die politischen Ziele zu erreichen. Selbstverständlich stehen auch andere Fragen, so z.B. der Sicherheit, aber ich bin der Meinung, daß man jetzt den Stier bei den Hörnern packen muß und daß wir somit dieses Kapitel zum Abschluß bringen müssen. Die BRD wird damit gezwungen, ihre Anerkennung der DDR zu demonstrieren.
Lieber Genosse Konstantin Ustinowitsch, liebe Genossen des Politbüros! Ich habe Euch die Auffassung unseres Politbüros vorgetragen. Ich bitte um Verzeihung, wenn es etwas länger gedauert hat.

Genosse Tschernenko: Gestatten Sie, Genosse Honecker, nunmehr einige Überlegungen unsererseits darzulegen. Lieber Genosse Honecker, liebe deutsche Genossen! Ich möchte betonen, daß wir ohne irgendwelche Geringschätzung die Bemühungen würdigen, die vom ZK der SED, der DDR zur Verhinderung des Krieges als Hauptgefahr unserer Zeit unternommen werden. Große Achtung empfinden wir gegenüber den großen Erfolgen der DDR, die im Ergebnis der großen Arbeit der SED errungen wurden. Darüber habe ich bereits im Juni 1984 gesprochen. Mehr noch, wir verfolgen nicht nur mit Verständnis, was von der DDR geleistet wird, sondern wir lernen von den Erfahrungen der deutschen Genossen, entsenden unsere Genossen, um diese Erfahrungen zu studieren. Gleichzeitig möchten wir im Streben nach Erhöhung der Effektivität dieser Bemühungen vermeiden, daß nichtgerechtfertigte Zugeständnisse an den Gegner gemacht werden.
Von dem, was Sie, Genosse Honecker, uns jetzt gesagt haben, ist uns vieles schon bekannt. Ihre Ausführungen bestätigen die Notwendigkeit eines rechtzeitigen offenen Gespräches. Bevor ich auf einige konkrete Fragen eingehe, möchte ich einige Überlegungen allgemeinen Charakters anstellen.
In den letzten Jahren haben wir auf bilateralen und multilateralen Beratungen sozialistischer Länder wiederholt die internationale Lage erörtert und sind dabei jedesmal zu der gemeinsamen Schlußfolgerung gelangt, daß in der Welt eine gefährliche Spannung besteht. Die Hauptursache dieser Spannung ist die Politik Reagans, ist das Streben der USA, die westlichen Länder im Kampf gegen den Sozialismus zu vereinen. Jedesmal, wenn wir gemeinsame Schlußfolgerungen zogen, betonten wir, daß eine nicht geringe Verantwortung für die Verschlechterung der Lage die BRD trägt. Das taten wir stets strikt anhand von Fakten. Können wir denn heute sagen, daß sich an der Politik der USA und der NATO etwas verändert hat? Nein, es hat sich nichts verändert. Auf jeden Fall hat sich nichts zum Besseren verändert. Im Gegenteil, die Veränderungen gingen ins Negative und richten sich gegen die Interessen des Sozialismus und des Friedens. Die von der Politik des Imperialismus ausgehenden Gefahren wachsen. Diese Feststellung wird durch alle bestehenden Hauptprobleme und in allen Regionen bestätigt. Die Wahlmanöver Reagans unterstreichen einmal mehr die Richtigkeit dieser unserer Einschätzung. Einer besonders sorgfältigen Aufmerksamkeit bedarf die Lage in Europa. Hier befindet sich die Hauptgrenze zwischen zwei Systemen. Hier verläuft die vorderste Linie der Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Gerade hier verläuft die Hauptrichtung der Angriffe des Westens gegen uns. Die hier in militärischer, ökonomischer und ideologischer Hinsicht wirkende Hauptkraft ist die BRD, der Vollstrecker der Politik Reagans auf unserem Kontinent. Die Doppelzüngigkeit und die militaristische Tendenz in der Politik der BRD stellen all das in den Schatten, was in Bonn unter Adenauer getan wurde. Bonn und Washington handeln in voller Übereinstimmung. Die USA stationieren neue Raketen in Europa, rufen einen Kreuzzug gegen den Sozialismus aus, stellen die Realitäten der Nachkriegsentwicklung in Frage. Bonn erklärt sofort die deutsche Frage für offen und fordert offiziell die Grenzen von 1937, spricht von besonderen gesamtdeutschen Beziehungen. Es verstärken sich die Aktionen, die darauf gerichtet sind, die sozialistische Ordnung in der DDR zu unterminieren. Das ist mit bloßem Auge zu erkennen.
Genosse Honecker, Sie haben wiederholt darauf hingewiesen, daß Ihr Land sich an der Nahtstelle beider Systeme befindet. Wie sich die Beziehungen zwischen der DDR und der BRD gestalten, das ist eine Frage unserer gemeinsamen großen Politik. Diese Frage berührt direkt die Sowjetunion, die gesamte sozialistische Gemeinschaft. Die Frage des Kampfes gegen den Revanchismus ist sowohl unsere Frage als auch eine Frage der DDR. Die Politik des Revanchismus ist eine Politik des Krieges. Darüber habe ich am 14.6.1984 gesprochen und dabei gesagt, daß es uns nicht ganz verständlich ist, daß die DDR gegenüber der revanchistischen und nationalistischen Politik der BRD solch eine Zurückhaltung übt. Gegenwärtig auf einen Ausbau der Beziehungen mit der BRD einzugehen, bedeutet, ihr zusätzlich Kanäle für die ideologische Beeinflussung der DDR zu geben. Die Lage selbst, die Positionen Bonns diktieren die Notwendigkeit der Linie der Abgrenzung. Es gilt, hartnäckig gegenüber der BRD die prinzipielle Forderung nach Festigung der Souveränität der DDR und bedingungsloser Achtung dieser Souveränität durch Bonn zu stellen. In diesem Zusammenhang sollte auch die Frage Ihres Besuches in der BRD gestellt werden.
Sie, Genosse Honecker, haben in dem Gespräch im Juni keine Zweifel geäußert und sagten, daß die DDR in allen internationalen Fragen mit der Sowjetunion voll übereinstimmt. Die Lage nach unserem Gespräch ist, milde ausgedrückt, nicht besser geworden. Ungeachtet dessen kam es zu Erklärungen über neue Maßnahmen zur Erleichterung von Kontakten, zum Ausbau der Möglichkeiten für Besuche von Bürgern und Kindern aus der BRD. Diese Maßnahmen sind vom Standpunkt der inneren Sicherheit der DDR zweifelhaft und stellen einseitige Zugeständnisse an Bonn dar. Sie erhalten dadurch finanzielle Vorteile, aber in Wirklichkeit sind das scheinbare Vorteile. Hier geht es um zusätzliche finanzielle Abhängigkeiten der DDR von der BRD. Die Ereignisse in Polen sind eine schwerwiegende Lehre, aus der man Schlußfolgerungen ziehen sollte. Wir sollten der Wahrheit in die Augen schauen. Während die Bonner Positionen sich in den Angelegenheiten der DDR und Westberlins verstärkt haben, ist die DDR in keiner der großen Fragen, die lebenswichtig sind, vorangekommen. Ist denn Bonn zum Beispiel nachgiebiger geworden in Fragen der Anerkennung der Staatsbürgerschaft der DDR, in der Grenzfrage, in der Verwandlung der Vertretungen in Botschaften, in der Anerkennung Berlins als untrennbarer Bestandteil der DDR, als deren Hauptstadt. Im Gegenteil, durch die Gewährung des Kredits zementiert die BRD ihre negative Position in diesen und anderen Fragen. Sie können das selbst aus den Erklärungen in Bonn entnehmen.
Was den Besuch in der BRD betrifft, zu dem die Vorbereitungen, wie wir wissen, bereits laufen, so haben Sie uns im Juni gesagt, daß es dazu noch keinen Beschluß gibt und daß dieser unter Berücksichtigung der Situation und der politischen Verhältnisse gefaßt wird. Heute jedoch ist die Situation nicht besser, sondern sogar noch komplizierter. Heute werden in der BRD im Zusammenhang mit der Frage des Besuches gesamtdeutsche und großdeutsche Stimmungen geschürt, verfolgt Bonn gegenüber der DDR eine diskriminierende Linie, verletzt es direkt die Interessen der DDR und geniert sich nicht, den Vorsitzenden des Staatsrates der DDR nicht einmal in die Hauptstadt der BRD, Bonn, einzuladen. Das ist an und für sich schon demütigend, ist keine protokollarische, sondern eine prinzipielle Frage.
Versteht uns, liebe Genossen, bitte nicht so, daß wir die DDR von Westdeutschland durch eine undurchdringliche Mauer absperren wollen. Wir sind auch nicht gegen die Durchführung einer aktiven Politik in den deutschen Angelegenheiten. Aber dies kann nicht getrennt von der internationalen Lage, von Europa, von der Politik der BRD geschehen. Wenn es zu einer Annäherung mit der BRD auf dem Wege der Schwächung der Positionen des Sozialismus durch ungewollte Ermunterung der Ansprüche Bonns gegenüber der DDR kommt, so würde das uns allen einen großen Schaden zufügen. Daß jetzt in Westdeutschland ein großer Aufschwung chauvinistischer und revanchistischer Stimmungen sichtbar ist, so muß man sehen, daß dies die Sicherheit der Sowjetunion, der gesamten sozialistischen Gemeinschaft berührt. Die sowjetischen Menschen würden uns nicht verstehen, wenn wir an diesen Erscheinungen vorbeigingen. Das Ziel des Sozialismus ist der Frieden. Das ist das Ziel unserer gemeinsamen Außenpolitik. Aber unter den gegenwärtigen Bedingungen ist der Kampf um den Frieden vor allem die Konzentration unserer Anstrengungen auf die Durchkreuzung der Pläne der USA und der NATO. Konkreter Ausdruck dieser Pläne ist die Stationierung von USA-Raketen in der BRD. In Bonn versucht man die Dinge so darzustellen, als sollte man die Beziehungen zwischen Ost und West nicht auf die Raketenfrage begrenzen. Als könne man über diese Frage hinwegsehen. Im Lichte solcher Positionen Bonns ist es schwer zu verstehen, wenn auch in der DDR erklärt wird, daß man durch die Entwicklung der Beziehungen mit der BRD den Schaden begrenzen kann, der durch die Stationierung der USA-Raketen entstanden ist.
Ja, in der BRD gibt es Antiraketen-, Antikriegsstimmungen. Auch in regierenden Kreisen gibt es einige Politiker, die von nüchternen Positionen ausgehen. Aber das gibt keine Veranlassung für die Losung über eine gesamtdeutsche Koalition der Vernunft. Diese Losung wird durch diejenigen ausgenutzt, die versuchen, ihre Politik zu tarnen, die Menschen durch Phrasen ohne Klassensinn zu täuschen. Darauf sind jetzt alle propagandistischen Bemühungen Bonns gerichtet.
Wie die sozialistischen Länder darauf reagieren, ist eine Frage von großer prinzipieller und praktischer Bedeutung. Die Sache besteht nicht darin, zu welchen Ergebnissen die Präsidentschaftswahlen in den USA führen werden, sondern darin, daß nicht der Eindruck erweckt werden darf, als würde der harte Kurs der Reagan-Administration zu Ergebnissen führen. In unserem gemeinsamen Interesse und im Interesse jedes einzelnen sozialistischen Landes ist so zu handeln, daß weder in Washington noch in Bonn irgendwelche Hoffnungen genährt werden können. Anderenfalls würde es zu einem noch stärkeren und frecheren Druck kommen.
Sie haben sich darüber beklagt, daß durch die Veröffentlichungen in der „Prawda" dem Westen Anlaß für Spekulationen und Meinungsverschiedenheiten zwischen der Sowjetunion und der DDR gegeben wurde. In Wirklichkeit liegt die Sache anders. Der Anlaß für diese Spekulationen sind nicht unsere Publikationen gegen den Revanchismus, sondern das Fehlen von Publikationen solcher Art in der DDR. Besondere Aufmerksamkeit rief im Westen die Tatsache hervor, daß der zweite „Prawda"-Artikel überhaupt nicht in den DDR-Zeitungen veröffentlicht wurde.
Da wir hier ein offenes Gespräch führen, möchte ich auch folgende Frage stellen: Gehen die Mitglieder des Politbüros des ZK der SED etwa davon aus, daß alles, was in den Beziehungen zwischen der DDR und der BRD geschieht, darunter auch in Vorbereitung des Besuches, im voraus mit der Sowjetunion abgestimmt ist und es dazu eine gegenseitige Verständigung gibt? Wenn das so wäre, so würde dies bedeuten, daß Ihre Genossen nicht richtig über unsere Positionen orientiert sind. Als Kommunisten und Ihre aufrichtigen Freunde gehen wir davon aus, daß Sie uns verstehen, daß wir diese Fragen ausräumen möchten, um auch weiterhin, ausgehend von einheitlichen Einschätzungen, eine abgestimmte Politik durchzuführen. Jede Frage, und sei sie noch so kompliziert, kann durch rechtzeitige Konsultation gelöst werden.
Das ZK der KPdSU hat stets das Vertrauen zwischen unseren beiden Parteien, die weitere Festigung der Einheit unserer Aktionen in den Beziehungen, die Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und der DDR hoch geschätzt. Das war und bleibt die Kernfrage. Dies bezieht sich auch, Genosse Honecker, auf Sie persönlich. Das heutige Treffen findet unmittelbar vor einem großen Ereignis, dem 35. Jahrestag der DDR, statt. Wir bereiten uns darauf aktiv vor und bedanken uns herzlich für die Einladung zu diesem Jubiläum. Wir möchten darüber informieren, daß wir den Beschluß gefaßt haben, eine repräsentative Delegation mit Genossen Gromyko an der Spitze zu entsenden.
Was den Besuch in der BRD betrifft, so ist das natürlich eine Sache, die von der SED zu entscheiden ist. Wir glauben, daß Sie noch einmal kollektiv und allseitig, unter Berücksichtigung der von uns geäußerten Überlegungen, diese Frage prüfen. Wir möchten Ihnen jedoch sagen, daß die sowjetischen Kommunisten es positiv aufnehmen würden, wenn Sie in der entstandenen Lage von dem Besuch Abstand nehmen.
Zum Abschluß möchte ich noch einmal die Zuversicht zum Ausdruck bringen, daß wir im Geiste der für die Beziehungen zwischen der KPdSU und der SED, der Sowjetunion und der DDR traditionellen Freundschaft wirken werden.

Genosse Honecker dankte Genossen Tschernenko für die offenen Ausführungen zu den aufgeworfenen Fragen. Es ist richtig, wenn die Fragen zwischen Kommunisten offen angesprochen und konsultiert werden. Für unsere Partei ist das Verhältnis zur KPdSU heilig und wird es immer sein, das ist eine Sache der gesamten Partei und des ganzen Volkes der DDR. Es wurde die Frage gestellt, ob im Politbüro über unsere Gespräche informiert worden ist. Es wäre schlimm, liebe Genossen, wenn es nicht so wäre. Das Politbüro wurde über das Gespräch im Juni umfassend informiert. Ich habe deshalb unsere Einschätzung der internationalen Lage hier umfassend dargelegt und unseren Standpunkt vertreten. Es kann sein, daß er zu einigen Fragen fehlerhaft ist. Das ist möglich. Ich möchte daran erinnern, daß eine Einschätzung der internationalen Lage auch in meiner Rede auf der Wirtschaftsberatung des RGW auf höchster Ebene vorgenommen wurde, auf der wir zu einem gemeinsamen Standpunkt gekommen sind. Davon sind wir selbstverständlich ausgegangen. Deshalb habe ich auch hier vorgetragen, daß es in der gegenwärtigen Situation notwendig ist, den Hauptstoß gegen die Politik der USA zu führen, die alle negativen Kräfte vereinigen, die einen Kreuzzug gegen die Sowjetunion, den Sozialismus, gegen alle progressiven Kräfte führen. Was Europa betrifft, so stimmen wir mit Ihnen überein, daß der Hauptverbündete der USA in Europa die BRD ist. Auf der Tagung des Politisch Beratenden Ausschusses der Warschauer Vertragsstaaten in Prag habe ich unterstrichen, daß nach den USA die BRD die zweitgrößte NATO-Macht ist. Hierzu gab es unterschiedliche Auffassungen seitens des Genossen Ceausescu. In meiner Rede habe ich zum Zusammenspiel zwischen den USA und der BRD Stellung genommen und betont, daß es eines aktiven Kampfes bedarf, um den daraus erwachsenden Gefahren entgegenzuwirken.
Eine andere Frage im Zusammenhang mit Ihren Ausführungen ergibt sich daraus, daß - wie wir es verstehen - unsere Länder den gemeinsamen Standpunkt vertreten haben, nicht neue Hindernisse zu schaffen, sondern alle Kräfte zu vereinen, um die Lage, wie sie nach dem Beginn der Raketenstationierung entstanden ist, umzukehren. Das 7. Plenum unseres Zentralkomitees fand unmittelbar nach dem Beginn der Stationierung der amerikanischen Raketen statt. Das Politbüro hatte mich beauftragt, am zweiten Tag in der Diskussion aufzutreten. In meiner Rede auf dem Plenum bin ich von der Erklärung der sowjetischen Führung ausgegangen und habe betont, daß es darauf ankommt, die Einheit und Geschlossenheit der sozialistischen Staatengemeinschaft zu festigen, den Kampf um die Sicherung der Entspannung und des Friedens zu verstärken und sofort entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Das haben unsere Bürger verstanden und unterstützt. Man kann sagen, daß wir auf dem Plenum eine gründliche Analyse der Lage vorgenommen haben. Dies war auch erforderlich, um gegen bestimmte pazifistische Stimmungen Stellung zu nehmen.
Was die Formel von einer Koalition der Vernunft betrifft, so bezieht sie sich nicht allein auf das Verhältnis zur BRD, sondern ist für das Auftreten in der ganzen internationalen Arena gedacht und hat weltumfassende Bedeutung. Es ging uns dabei darum, aktiv dafür zu wirken, breiteste Kreise in der Welt gegen die Politik der USA zu mobilisieren und in diesem Rahmen natürlich auch gegen den Hauptverbündeten der USA in Westeuropa, die BRD. In diesem Sinne führte ich auch meine Gespräche mit Trudeau, Papandreou, Palme, Craxi und anderen westlichen Politikern. Es ging also - um das noch einmal zu unterstreichen - bei dieser Formel nicht um die Hervorhebung der besonderen Rolle der deutschen Staaten, sondern wir sind auch dabei von der Position der Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus ausgegangen.
Ich möchte auch daran erinnern, daß bei der Abstimmung der Deklaration, der Dokumente der Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses der Warschauer Vertragsstaaten eine Reihe von vorgeschlagenen Formulierungen, z.B. der Gegenmaßnahmen der Stationierung operativ-taktischer Raketen großer Reichweite auf dem Territorium der DDR und der CSSR, auf Grund der Opposition des Genossen Ceausescu nicht angenommen wurden.
Von Ihnen, Genosse Konstantin Ustinowitsch, ist die Frage im Juni aufgeworfen worden, ob mein Besuch in der BRD von Nutzen wäre. Zunächst muß man feststellen, daß die Frage des Besuches schon länger steht und wir auf Grund früherer Gespräche mit der sowjetischen Führung von der gemeinsamen Auffassung ausgingen, daß aufgeschoben nicht aufgehoben ist. Wie schon gesagt, haben wir bis zum jetzigen Zeitpunkt im Politbüro noch keinen Beschluß zu dieser Frage gefaßt. Ich habe auch in der letzten Sitzung am Dienstag die Genossen des Politbüros gebeten, zur Frage des Besuches noch keinen Beschluß zu fassen, bevor ich mich nicht mit Dir, Genosse Konstantin Ustinowitsch, abgestimmt habe. Bekanntlich gab es viele Spekulationen über den Besuch in der westlichen Presse. Unsere prinzipielle Position auch im Zusammenhang mit einem möglichen Besuch in der BRD ist in meinem Brief an Kohl dargelegt. Es gibt einen Auftrag an das Außenministerium zu sondieren, was bei einem Besuch in der BRD raus kommen könnte.
Welche Entwicklung vollzieht sich nun in der BRD?
Bekanntlich ist vor kurzem Apel mit der Feststellung aufgetreten, daß es keine offene deutsche Frage mehr gebe. Hinsichtlich der Grenzen zur BRD kann man sagen, daß die Gemeinsame Grenzkommission den Grenzverlauf bis auf die 90 km Grenze an der Elbe markiert hat. Bezüglich dieser 90 km stützt sich die BRD auf Dokumente der englischen Besatzungsmacht und versucht ihre Forderung nach Grenzmarkierung entlang des Ostufers der Elbe damit zu begründen. Wir haben uns unsererseits schon an das sowjetische Außenministerium mit der Bitte gewandt zu prüfen, ob es irgendwelche Unterlagen der ehemaligen sowjetischen Kommandantur in diesem Gebiet gibt, die uns eine Hilfe bei der Durchsetzung unserer Forderung in dieser Frage sein könnten. Wir haben festgestellt, daß im Kreis Boizenburg der damalige sowjetische Kommandant den Engländern das Angeln nur bis Mitte des Stromes genehmigt hatte.

(Genosse Tschernenko: Unsere Genossen werden diese Frage studieren.)

In den anderen Fragen wirken wir aktiv darauf ein, die öffentliche Meinung im Sinne unserer Forderungen zu verändern. In den Verhandlungen führen wir harte Diskussionen, um unseren Standpunkt durchzusetzen.
Auf der Tagung der ZK-Sekretäre in Prag haben Genosse Hager und Herrmann unsere Position bekanntlich dargelegt, und alle anderen waren damit einverstanden. Wenn es irgendwelche Fragen gegeben hat, dann hätte man sie beraten können.
Sie, Genosse Konstantin Ustinowitsch, haben über den ersten und zweiten Artikel der „Prawda" gesprochen. Was den ersten Artikel betrifft, so hat man mich informiert und ich habe entschieden, das er veröffentlicht wird, weil er die Position der DDR in der Auseinandersetzung mit der BRD aufzeigt. Den zweiten Artikel haben wir nicht abgedruckt, weil er sich gegen einige Positionen des ZK unserer Partei richtete. Wir sind der Meinung, daß eine offene Polemik nicht den Normen in den Beziehungen zwischen unseren Parteien entspricht. Wir sind gegen eine Polemik mit der KPdSU, und alle Fragen, die es gibt, können wir unter uns beheben. Deshalb habe ich Sie an diesem Montag angerufen, um deutlich zu machen, daß öffentliche Angriffe unterlassen werden, denn diese schaden uns und der gesamten Gemeinschaft. Über diese Fragen hätte man wirklich in Prag sprechen können.
Ich möchte nochmals sagen, daß ich es gut fand, einen offenen Meinungsaustausch zu führen. Natürlich gibt es noch eine Reihe von Mißverständnissen, die ausgeräumt werden müssen. Ich schlage vor, daß wir in unserem Politbüro über alle hier aufgeworfenen Fragen weiter gründlich nachdenken und uns mit Euch über die jeweiligen Schritte abstimmen. Ich möchte unbedingt den Eindruck ausräumen, daß es zwischen uns Meinungsverschiedenheiten und Differenzen gibt. Vielleicht wollen noch andere Genossen sprechen. Ich möchte unsererseits danken für den Beschluß über die Entsendung einer Partei- und Regierungsdelegation zum 35. Jahrestag unter Leitung des Genossen Gromyko.

Genosse Hager: Genosse Honecker hat hier den einheitlichen Standpunkt des Politbüros zur Einschätzung der Lage und zur Entwicklung der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD dargelegt. Unsere Partei hat stets, ich möchte sagen im Thälmannschen Geist, für die unverbrüchliche Freundschaft mit der KPdSU, für die engste Zusammenarbeit zwischen unseren Parteien und Staaten gewirkt. Deshalb ist es klar, daß man keine Gegensätze und Meinungsverschiedenheiten zwischen unseren Parteien zulassen darf. Wir werden die Bemerkungen des Genossen Konstantin Ustinowitsch sehr sorgfältig überdenken. Gleichzeitig möchte ich -wenn Sie gestatten- einige Fragen aufwerfen.
Zur ersten Frage: Es gibt unter uns keine Meinungsverschiedenheiten über die Politik des USA-Imperialismus, die Raketenstationierung und die Rolle der BRD in den Plänen des US-Imperialismus, ihre Verantwortung, die sie mit der Zustimmung zur Raketenstationierung übernommen hat und den Revanchismus. Zweifellos ist die Politik des Imperialismus auf die Unterminierung des Sozialismus nicht nur in der DDR, sondern in allen sozialistischen Ländern gerichtet. Aber eine Frage ist, was die Imperialisten wollen, welches Ziel sie haben, und die andere Frage ist, was sie können. Deshalb möchte ich die Frage stellen, ob es Fakten gibt, die belegen können, daß die DDR unterminiert ist, daß wir Zugeständnisse an die BRD machen oder ob es eine ähnliche Lage wie seinerzeit in Polen bei uns gibt. Ich möchte meinerseits sagen, die DDR ist kein schwacher sozialistischer Staat, man kann sie auch nicht mit Polen vergleichen oder sagen, daß Zugeständnisse gemacht wurden. Wir haben viele Jahre mit Millionen Besuchern aus der BRD und Westberlin, die auf Grund der bekannten abgeschlossenen Vorträge zu uns reisen können, zu tun. Das hat nicht zu einer Annäherung der DDR an die BRD geführt. Eine zweite Bemerkung meinerseits bezieht sich auf die Frage des Revanchismus. Wir sehen bei uns keine Zurückhaltung in dieser Frage. Auf jeder ZK-Tagung, in vielen Reden unserer führenden Genossen nehmen wir dazu Stellung. Ich möchte an das Interview des Genossen Honecker mit der französischen Zeitschrift „Revolution", an das Interview mit der italienischen Zeitung und der Wiener Zeitung erinnern, wo klar gegen den Revanchismus Front gemacht wurde, daß es keine Annäherung zwischen Kapitalismus und Sozialismus geben kann. Die DDR ist ein stabiler sozialistischer Staat. Sie verfolgt einen klaren Kurs und die Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Deshalb verwundert es mich, daß in Ihren Veröffentlichungen die Dinge anders dargestellt wurden. Es wäre gut, wenn es vor der Veröffentlichung eine Abstimmung zwischen uns gegeben hätte.

Genosse Ustinow: Woher entnehmen Sie, daß diese Artikel gegen die DDR polemisieren? Der erste Artikel richtete sich gegen die Politik der USA, der NATO und der BRD. Der zweite Artikel richtete sich speziell gegen die Politik der BRD. Können Sie uns Fakten nennen, die Ihre Feststellungen belegen?

Genosse Hager: Natürlich kann ich weitere Fakten anführen. Ich möchte auf die Frage der Schadensbegrenzung verweisen, von der unser Generalsekretär auf dem 7. Plenum gesprochen hat. Das ist offensichtlich eine übergeordnete Frage, über die noch zu reden sein wird. Oder weiter. Sie stellen im „Prawda"-Artikel fest, die DDR wird untermininiert. Es wird in dem Artikel aber nicht davon gesprochen, da die DDR eine Unterminierung nicht zuläßt.

(Genosse Gorbatschow: Das können ja Sie schreiben).

Genosse Hager: Und was den Revanchismus betrifft, so möchte ich sagen, daß die Entlarvung des Revanchismus nur eine Seite ist, eine andere Frage aber, welch ein Weg wird gewiesen zur Mobilisierung breitester Kräfte gegen den Revanchismus, für die Sicherung des Friedens.

Genosse Ustinow: Wir sind zwei Gruppen der Politbüros unserer beiden Parteien. Wir haben offen gesprochen, Je offener, ehrlicher und konkreter wir heute sprechen, um so besser wird es für die zukünftige Zusammenarbeit sein.

Genosse Honecker: Richtig, Genosse Ustinow, aber deshalb wäre es möglich gewesen, uns vor der Veröffentlichung der „Prawda"-Artikel abzustimmen und darüber zu sprechen. Damit hätten wir Mißverständnisse ausräumen können und dem Gegner keinen Spielraum für seine Spekulationen gelassen. Leider ist das auch nicht in Prag geschehen.
Genossen!
Unsere Soldaten, die ihrer Partei und ihrem Staat treu ergeben sind, die uns fest vertrauen, stellen uns Fragen und diese Fragen müssen wir beantworten. Dazu wäre es nicht gekommen, wenn wir uns abgestimmt hätten.

Genosse Ustinow: Und warum haben Sie danach den ungarischen Beitrag aus „Nepszava" veröffentlicht?

Genosse Honecker: Weil er objektiv und konstruktiv gewesen ist.

Genosse Gorbatschow: An diesem Stadium unseres Treffens angekommen, möchte ich eindeutig sagen, daß unsere gemeinsame Meinung davon ausgeht, daß es nicht um eine Krisensituation in unseren Beziehungen geht. Davon hat auch Genosse Konstantin Ustinowitsch gesprochen. Er sagte, es gibt Fragen, in die man Klarheit hineinbringen muß. Auch Sie, Genosse Honecker, haben vorhin im Auto und ihren Ausführungen davon gesprochen, daß es Zeit ist, die Uhren zu vergleichen. Unser Treffen sollte zu einer Verständigung führen und Vertrauen bringen. Es sollte vor allem deshalb zur Verständigung beitragen, damit keine Risse in unseren Beziehungen entstehen, denn solche sucht der Gegner. Selbst der italienische Botschafter in Washington hat aus seinen Gesprächen im State Department die Schlußfolgerung abgeleitet, daß in Osteuropa im Zusammenhang mit dem Besuch des Genossen Honecker in der BRD sich neue Prozesse vollziehen, die man aufmerksam beobachten muß, daß die Politik der Differenzierung Ergebnisse zeitigt.
Wir gehen davon aus, daß man dies berücksichtigt. Ich möchte noch einmal sagen, es geht nicht um eine Krisensituation. Sie haben betont, daß die Politik der DDR darauf gerichtet ist, auch die Kohl-Regierung zu zwingen, Verträge einzuhalten, daß es darauf ankommt, realistische Kräfte zu ermuntern. Das ist alles richtig, jedoch gibt es ein Moment. Dieses Besteht darin, daß diese Position der DDR die Lage in der Welt und in der BRD berücksichtigen muß. Anders geht es nicht. Das ist die Position unserer Führung, wie sie im Gespräch am 14. Juni und auch heute zum Ausdruck gebracht wurde. Jetzt ist die internationale Situation verschärft aufgrund der Politik der Reagan-Administration und der BRD als Hauptverbündeten der USA. Nehmen wir nur den letzten „Scherz" Reagans. Wie man bei uns sagt, was man im nüchternen Zustand im Kopf hat, hat der Besoffene auf der Zunge. Das zeigt sich doch bei diesem „Scherz" Reagans sehr eindeutig.

Genosse Honecker: Wir kennen das. Wir haben die TASS-Erklärung in unserem „Neuen Deutschland" auf der ersten Seite veröffentlicht.

Genosse Gorbatschow: Im Programmentwurf der Republikanischen Partei steht, daß der Kurs der Konfrontation und des Drucks verstärkt werden muß, wird die Sowjetunion als ein unnatürlicher Staat hingestellt, als die zentrale Gefahr für die USA. Daneben gibt es Erklärungen der BRD, zum Beispiel vom 13.8. in Westberlin, und dort waren Leute zusammen, die Sie bei einem Besuch in der BRD empfangen mußten. Der Bundespräsident, Windelen, Mertens haben Erklärungen abgeben der Art, daß Berlin die Hauptstadt Deutschlands sei. Sie sprachen von der Ungelöstheit der deutschen Frage. Sie übten Kritik an Apel und seiner Erklärung, auf die Sie Ihrerseits gerade hingewiesen haben. Böhnisch erklärte in der „Bild-Zeitung", daß es absolut keinen Zweifel darüber gebe, daß die deutsche Frage offen sei. Das ist die Politik der BRD. Dies dürfen wir nicht berücksichtigt lassen. Als die Raketen aufgestellt wurden, die Sozialdemokraten der Stationierung zustimmten, haben wir erklärt, daß, wenn nichts geschieht, ein neues Element in der Lage entsteht und daß es nicht so weitergehen kann wie vorher. Daß das seine Auswirkung haben wird auf die Beziehungen auch zwischen beiden Staaten. Und was geschieht jetzt? Die Kontakte werden erweitert, der Besuch wird vorbereitet, es werden Kredite gewährt. Dies vereinbart sich nicht mit unseren Erklärungen. Die Situation hat sich so geändert, daß es sich lohnt, über all dies sorgfältig nachzudenken. Was den Artikel betrifft, so kann man jede seiner Thesen belegen.

Genosse Axen: Ich möchte die Ausführungen des Generalsekretärs, Erich Honecker, unterstreichen. SED und KPdSU bleiben immer eng zusammen. Selbstverständlich werden wir die Empfehlungen gründlich beraten. Hinsichtlich der Frage, die Genosse Tschernenko und Genosse Gorbatschow gestellt haben zur Koallition der Vernunft, so sehen wir das nicht aus dem Blickwinkel beider deutscher Staaten, sondern der Klassenauseinandersetzung zwischen Imperialismus und Sozialismus an der Hauptgrenze Europa. Nur so ist auch die Feststellung des Genossen Honecker als der DDR als Bastion des Friedens und des Sozialismus Europa zu verstehen. Unsere Politik ist darauf gerichtet, den Konfrontationskurs an unserer Grenze nicht zum Zuge kommen zu lassen. Dabei steht die Frage, wie und was man dabei tut. Es geht erstens um die Festigung des Sozialismus, um die Durchführung Gegenmaßnahmen. Es geht zweitens um die Entfaltung einer breiten Friedensbewegung und dabei um die Durchkreuzung aller revanchistischer Pläne. Ich möchte dabei betonen, daß zwischen der DDR und der BRD sich eine ständige soziale Konfrontation vollzieht. Zweifellos ist die BRD der Hauptverbündete der USA. Man darf jedoch nicht die tiefen sozialen und politischen Veränderungen übersehen, die sich in der BRD seit den 50er Jahren vollzogen haben. Der USA-Imperialismus kann wichtige Aufgaben seines Konfrontationskurses ohne die BRD nicht lösen. Gerade deshalb gilt es, alles zu tun, um der BRD zu erschweren, ihre Rolle als Hauptverbündeter der USA zu erfüllen. Wir wollen es ihnen schwer machen, der USA treue Gefolgschaft zu leisten. Und noch eins möchte ich unterstreichen: Es gibt nicht nur die Einwirkung der BRD auf die DDR, sondern auch die DDR wirkt auf die BRD ein, und ich bin der Meinung, daß wir heute auf die BRD stärker als sie auf uns. Alles was zur Einheit zwischen unseren Staaten gesagt wurde, ist klar. Es gibt keine Krise in unseren Beziehungen. Ich halte es jedoch nicht den Normen entsprechend, wenn ein Bruderorgan eine Feststellung eines Generalsekretärs einer Bruderpartei und einer ZK-Tagung, wie z.B. unseres 7. Plenums über die Schadensbegrenzung, öffentlich angreift.

Genosse Honecker: Liebe Genossen! Im Namen unseres ganzen Politbüros und unseres Zentralkomitees bitte ich, keine Vergleiche zwischen Polen und uns anzustellen. Alle wie wir hier sitzen, haben dafür gekämpft, daß die Konterrevolution in Polen nicht durchkommt. Wir wissen Bescheid in Polen. Mehr als eine Milliarde Valuta an materieller und finanzieller Unterstützung hat allein die DDR für Polen gegeben. Ich möchte auch an die Kinderaktionen erinnern, die von großer politischer Wirksamkeit waren und noch sind. Und schließlich sollten wir auch nicht den materiellen Schaden vergessen, der uns aus der Lage in Polen entstanden ist. Das sind nicht weniger als 4 Milliarden Mark. Als die konterrevolutionäre Entwicklung 1980 ausbrach, kam es uns darauf an, alles zu tun, daß die DDR fest steht, und das ist uns gelungen. Wir haben es nicht mit einem Sender „Freies Europa", sondern mit 35 Sendern zu tun, die stündlich auf unsere Bevölkerung einhämmern. Wir gehen davon aus, die DDR ist stabil. Das zeigt sich auch bei unseren Treffen mit den Werktätigen und allen Schichten der Bevölkerung. Wir werden nicht nachlassen, alles zu tun, um den ersten Arbeiter- und Bauernstaat, die sozialistische DDR, weiter zu festigen und keinerlei Risse in unserem Freundschaftsbund zuzulassen. Im Hinblick auf den 35. Jahrestag der DDR gewinnt das besondere Bedeutung.

Genosse Ustinow: Unser Treffen ist eine gute Sache für den Meinungsaustausch, und wir führen ihn auf der Grundlage von Faktenmaterial. Ich möchte eine Sache hier offen - und damit nichts unausgesprochen bleibt - sagen: Es fehlt Ihnen etwas an Härte in den Beziehungen mit der BRD.
Konstantin Ustinowitsch sagte, daß die BRD militärisch der Hauptvollstrecker der USA-Politik in Europa ist. Die USA haben den Kreuzzug ausgerufen, und Bonn hat sich sofort dieser Politik angeschlossen. Es erklärte die deutsche Frage für offen, die Forderung der Grenzen von 1937.All das kennen Sie, und ich bin der Meinung, daß man unter Freunden über diese Dinge offen sprechen muß. Bonn ist der Hauptinitiator der Stationierung der US-Raketen in Europa. Ja, es ist faktisch die rechte Hand der USA.
Wir haben eine große Partei, ein großes Volk. Sie überlegen auch, wohin geht das jetzt. Was sollte man in den „Prawda"-Artikeln gesehen haben. Man sollte sehen, daß sie uns und Ihnen helfen. Natürlich kennen wir die Erklärung von Kohl, daß nie von deutschem Boden eine Gefahr für den Frieden ausgehen dürfe. Aber wir wissen doch nur zu gut, daß diese Erklärung nur Heuchelei, nur ideologische Tarnung ist. Wir sind doch Realisten und wollen kameradschaftlich über die anstehenden Fragen diskutieren.
Ich möchte noch einmal betonen, daß die BRD der Hauptvollstrecker der USA-Politik in Europa ist. Die Bundeswehr ist aus einer Armee, die nach den Grundgesetzbuch der BRD zu Verteidigungszwecken formiert wurde, zur Hauptstoßkraft der NATO geworden.

Genosse Honecker: Genosse Ustinow, wir wissen über das, was Sie sagen, wohl sehr gut Bescheid. Ich habe erst kürzlich zwei Genossinnen ausgezeichnet, die im NATO-Stab gearbeitet haben. Wir wissen sehr wohl, wie die Sache läuft. Was die BRD und die Rolle der NATO in der USA-Politik betrifft, so habe ich das auch Genossen Ceausescu gesagt, der das nicht wahrhaben wollte. Sie können sich weitere Bemerkungen dazu ersparen.

Genosse Ustinow: Es wäre gut, wenn sie, Genosse Honecker, während Ihres Besuches in Rumänien daran erinnern würden. Es gibt weitere Fakten. Die Bundeswehr stellt 50 Prozent der Landstreitkräfte der NATO und 30 Prozent der Luftstreitkräfte. Ich erwähne dies hier nur, um deutlich zu machen, worum es uns geht. Sie sollten uns das nicht übel nehmen.

Genosse Honecker: Ich kenne dies alles, Genosse Ustinow, und habe mich täglich damit zu befassen. Eben deshalb habe ich gestern Genossen Heinz Hoffmannn die Eckziffern der NVA für den Fünfjahresplan 1986-90 bestätigt, die die Grundlage für die Beratung mit der SPK bilden.

Genosse Ustinow: Ich weiß, daß Euch das bekannt ist, Genosse Honecker. Worum es uns geht, das ist die BRD, die NATO-Linie zu entlarven. Deshalb ist es wichtig, mit den Fakten zu arbeiten, auch mit solchen z. B., daß es Heimatvertriebenenverbände mit 2,4 Mio. Mitgliedern, Soldatenverbände mit 4 Mio. Mitgliedern, 80 nazistische Organisationen, Verbände von Reservisten etc. gibt.

Genosse Honecker: Nun, das ist alles klar, Genosse Ustinow, und zu diesen Fragen brauchen wir uns hier nicht gegenseitig zu überzeugen. Ich denke, daß es richtig ist, davon auszugehen, daß es keine Artikel dieser Art geben sollte, ohne vorherige Abstimmung zwischen uns. Es ist doch ohne weiteres möglich, daß der Chefredakteur der „Prawda" über Wtsch in Berlin den Chefredakteur des „Neuen Deutschland" anruft, zwischen beiden gibt es ja eine gute Verbindung, und sagt, hör mal, Günter, wir haben vor, das und das zu tun, wir müßten darüber sprechen und uns abstimmen und man könnte gemeinsam überlegen, welche Formulierungen die günstigsten sind.
Was die zwischen uns behandelten Fragen betrifft, so denke ich, daß wir zu Schlußfolgerungen kommen können, daß es Sache der SED ist, über die Frage des Besuches in der BRD zu entscheiden.
Ich erinnere mich noch sehr gut an die Zeit des Vertragsabschlusses über Berlin (West). Wir trafen uns damals in Warschau. Man fragte mich, ob die Unterschriftsleistung bereits erfolgt ist. Ich mußte das verneinen. Daraufhin sagtet Ihr, das macht nichts, sie wird schon noch möglich werden. Ohne meine Zustimmung erfolgte dann in Berlin die Vereinbarung, daß jeder Westberliner das Recht hat, 30 mal im Jahr die DDR zu besuchen. Der Mindestumtauschsatz wurde auf 6,50 DM festgelegt. Jetzt bezahlen die Rentner 15,- DM und 10,- DM Visagebühren, d. h. alle Einreisenden im Alter bis zu 14 Jahren und ab 65 Jahren zahlen 25,- DM.

Genosse Ustinow: Wir möchten darauf aufmerksam machen, daß mit den größeren Möglichkeiten des Zutritts von Bürgern der BRD zur DDR die Gefahr der Spionage steigt. Wir fragen auch, ob, wenn man das Tor weiter aufmacht, keine Auswirkungen auf die Soldaten entstehen.

Genosse Honecker: Erstens haben wir das nicht weiter aufgemacht, zweitens, zwischen Kredit und Reiseerleichterungen gibt es kein Junktim.
Natürlich müssen wir in dieser Frage ideologisch weiter arbeiten. Es gibt nur wenig Bürger der DDR, die keine Verwandten in der BRD haben. Das muß man sehen, und was die Kinder aus der BRD betrifft, die zu uns kommen, so werden die uns nicht umschubsen können, und die Rentner, die von uns nach drüben fahren, kommen alle wieder zurück.

Genosse Russakow: Ich möchte noch etwas zu den Artikeln bemerken.

Genosse Tschernenko: Vielleicht haben wir genug über die Artikel gesprochen und können diese Frage abschließen.

Genosse Russakow: Ich möchte nur darauf hinweisen, daß dieser Artikel nicht an mir vorbeigegangen ist, d. h. ich möchte damit sagen, ich stelle mich dieser Frage offen. Bevor ich zustimmte, daß dieser Artikel veröffentlicht wird, habe ich mich an die Rede des Genossen Hager in Prag und seine Ausführungen über den Revanchismus erinnert und habe den Auftrag erteilt, mir eine Zusammenstellung vorzulegen, was im „Neuen Deutschland" zur Auseinandersetzung mit dem Revanchismus veröffentlicht wurde. Die Prüfung ergab, daß seit April bis 10. August diesen Jahres im „Neuen Deutschland" insgesamt 11 Aussagen aus Reden des Genossen Honecker und anderen führenden Genossen sowie 9 Materialien aus der Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern veröffentlicht wurden. Jedoch gab es keinen einzigen Artikel von der SED. Das ist das, was mir vorgelegt wurde. Wenn das nicht stimmen sollte, bitte ich um Korrektur.

Genosse Honecker: Leider sind Sie, Genosse Russakow, falsch informiert. Ich werde das beweisen können.

Genosse Russakow: Uns geht es darum, daß Worte auf dem Sekretärstreffen nicht Worte bleiben dürfen, und im übrigen möchte ich darauf verweisen, daß der 2. Artikel mit einem Zitat des Genossen Honecker begann, in dem er feststellte, daß Sozialismus und Kapitalismus sich ebenso wenig vereinbaren lassen wie Feuer und Wasser.

Genosse Mielke: Genosse Konstantin Ustinowitsch, ich möchte vor allen Dingen sagen: Man muß Vertrauen zur DDR, zu uns haben. Wir könne als Organe der Staatssicherheit unsere Aufgaben nicht erfüllen, wenn wir keine klare Politik haben, diese Klarheit vermittelt unser Generalseketär und das Politbüro unserer Partei, und das ist die Grundlage unserer Arbeit. Und ich möchte das nicht nur erklären für die Organe der Staatssicherheit, das gilt gleichermaßen für die Organe der Nationalen Volksarmee, die Organe des Innenministeriums und die Kampfgruppen.
Nebenbei bemerkt, Genosse Gorbatschow, die Informationen haben wir natürlich auch, und vielleicht hast Du Deine von uns bekommen.
Ich möchte darauf verweisen, daß für die Arbeit, die unsererseits zu wichtigen Fragen geleistet wurde, ich auch von der KPdSU Orden verliehen bekommen habe. Und hier über Dinge zu sprechen, auf die wir zum Teil vor 20 und mehr Jahren hingewiesen haben, sollte man nicht tun. Ich habe im Verlauf meiner Tätigkeit 12 polnische Minister auf meinem Gebiet erlebt. Seit 30 Jahren sagen wir ihnen schon, sie sollen die politische und ideologische Zersetzung mehr beachten. Aber das haben sie nicht getan. Wir verfügen über Erfahrungen, die eindeutig sagen, eine Untergrabung des Sozialismus in der DDR wird es nicht geben.

Genosse Tschernenko: Gestattet, Genossen, daß ich noch zu einer Frage Stellung nehme, die Genosse Hager hier aufgeworfen hat. Es ging ihm dabei um die Frage, was wollen sie und was können sie. Zur Frage, ‚was wollen sie', möchte ich hier nichts sagen. Das ist alles klar, und wenn ich dazu Ausführungen machen würde, würde das in ein Politgespräch ausarten.
Aber zu der Frage, ‚was können sie', möchte ich sagen, sie können vieles, vor allem dann, wenn wir den Kampf gegen den Revanchismus nicht verstärken. Dann würden wir ihnen nämlich helfen. Man darf diese Frage nicht unterschätzen. Es gilt, in großen wie in kleinen Fragen den Revanchismus an den Pranger zu stellen. Das ist unsere Hauptaufgabe. Das ist es, was ich noch zu dieser Frage sagen wollte.
Und nunmehr, Genossen, glaube ich, das wir zum Abschluß kommen.

Genosse Honecker: Genosse Konstantin Ustinowitsch, ich möchte noch einmal danken und bedauern, daß Du Deinen Urlaub unterbrechen mußtest. Ich möchte die Genossen bitten, daß sie Dir noch die Möglichkeit gewähren, Deinen Urlaub zu beenden. Wir haben keine Illusionen über unsere Feinde und werden nie zulassen, daß man uns trennt.

Genosse Tschernenko: Vieles ist durch dieses Gespräch klarer geworden. Jetzt kommt es darauf an, daß wir das Parteiaktiv entsprechend orientieren und im Sinne der jüngsten Dokumente unsere Arbeit durchführen. Ich bin beauftragt, im Namen der Politbüro-Mitglieder, sowohl der anwesenden als auch der abwesenden, zu erklären, daß wir treue Freunde der SED waren und dies in allen Fragen auch bleiben werden. Ich möchte Danke sagen für das offene Gespräch und besonders dem Genossen Honecker für die große Aufmerksamkeit, die er unseren Beziehungen geschenkt hat. Ich wünsche Erfolg und gute Gesundheit, und was die Urlaubsunterbrechung betrifft, so möchte ich sagen, im Interesse der Freundschaft ist uns nichts zu schade. Das meine ich sowohl im gesellschaftlichen als auch im persönlichen Sinne.

Genosse Honecker: Ich danke Ihnen herzlichst, Genosse Konstantin Ustinowitsch, für den Meinungsaustausch. Er war jedenfalls nützlich. Wir werden die Fragen im Politbüro behandeln. Dabei gehen wir davon aus:
  1. Der Besuch in der BRD ist eine Sache, die in der Führung der SED zu entscheiden ist.
  2. Bei der Entscheidung werden wir im Politbüro Ihre dazu gemachten Bemerkungen einbeziehen.
  3. Die Beziehungen zwischen der SED und der KPdSU werden sich weiterhin im Geiste der Freundschaft


Quelle: SAPMO-BA, DY 30/J IV 2/2A/2678, auszugsweise aus SAPMO-BA, DY 30/IV 2/2039/280, dok. in: Detlef Nakath/Gerd-Rüdiger Stephan (Hg.), Die Häber-Protokolle. Schlaglichter der SED-Westpolitik 1973-1985, Berlin 1999, S. 398-421. - Unterstreichungen im Original.
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