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Mitschnitt eines Telefonats zwischen Egon Krenz und Helmut Kohl, 11. November 1989, 10.13 - 10.22 Uhr

Mitschnitt eines Telefonats zwischen SED-Generalsekretär Egon Krenz und Bundeskanzler Helmut Kohl, 11. November 1989, 10.13 - 10.22 Uhr

Abschrift

Persönliche Verschlußsache
ZK 02 652

Gespräch zwischen dem
Generalsekretär des ZK der SED, Genossen Egon Krenz,
und dem
Bundeskanzler der BRD, Herrn Helmut Kohl
am 11. November 1989, 10.13 Uhr bis 10.22 Uhr





Generalsekretär Krenz:
Ja, Guten Morgen, Herr Bundeskanzler.

Herr Kohl:
Ja, Guten Morgen.


Generalsekretär Krenz:
Hier ist Krenz. Obwohl die Atmosphäre zwischen uns beim ersten Gespräch sehr gut war, verhindert jetzt offensichtlich die Technik unsere konstruktive und schnelle Arbeit.

Herr Kohl:
Nein, das glaube ich nicht, ich glaube, das klappt schon sehr gut. Also, Herr Generalsekretär, ich wollte erstens einmal sagen, daß ich sehr, sehr begrüße, diese sehr wichtige Entscheidung der Öffnung.


Generalsekretär Krenz:
Das freut mich sehr.

Herr Kohl:
Das, was jetzt hier möglich ist, trägt, glaube ich, sehr, sehr zu einer positiven Entwicklung bei und vor allem einer Entwicklung, die, was ich noch einmal nachdrücklich unterstreichen will, ich habe das ja auch am Donnerstag im Bundestag gesagt, es ist nicht unser Ziel, und schon gar nicht mein Ziel, daß möglichst viele Leute aus der DDR rausgehen, sondern unsere gemeinsame Politik muß sein, daß die Leute zufrieden sind und in ihrer eigenen Heimat bleiben, aber daß sie rüber und 'nüber gehen können, sich besuchen, miteinander sprechen, ist ganz wichtig. Ich glaube, wir stehen jetzt in einem ganz wichtigen Zeitabschnitt, ein Zeitabschnitt, in dem sehr viel Vernunft und gar keine Aufgeregtheit am Platz ist, sondern eine ruhige Gelassenheit, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich habe dieser Tage gesagt, ich habe den dringenden Wunsch, daß ich in einer sehr nahen Zukunft mit Ihnen zusammentreffe und möchte einfach heut früh vorschlagen, - ich muß heute noch wieder zurück nach Polen, ich habe den Besuch unterbrochen, und ich darf auf keinen Fall in der schwierigen Lage, die aus der Geschichte heraus mit Polen besteht, dort den Eindruck erwecken, daß wir die polnischen Dinge gering achten. Mein Vorschlag ist, daß zur Vorbereitung unseres Gesprächs, Ende der jetzt beginnenden Woche, Herr Seiters zu Ihnen kommt, daß man dann einmal den Rahmen absteckt, daß wir dann bald darauf einen Termin ausmachen - wobei ich Ihnen gleich sagen will, ich komme auf keinen Fall nach Ostberlin, aber an einen anderen Ort drüben in der DDR. Ich möchte bei der Gelegenheit auch, wenn es geht, den neuen Ministerpräsidenten, den Sie ja wahrscheinlich in den nächsten Tagen wählen werden, kennenlernen, und daß wir dann mit, ohne zeitlich in Bedrängnis zu sein, sehr intensiv das tun, was die Diplomaten eine tour d'horizon nennen, aber wir beide sind keine Diplomaten, sondern in einem offenen und direkten Gespräch einmal überlegen, was geht und was nicht geht. Und ich glaube aber, es ist gut, wenn Seiters, den Sie aber auch, glaube ich, gar nicht kennen - den Termin könnten wir dann im Detail ausmachen - unsere Vorstellung ist, weil wir ja hier noch einem Haufen Dinge zu erledigen haben, die gar nichts mit dieser Sache zu tun haben, wenn ich nicht da bin, daß der vielleicht im letzten Drittel der nächsten Woche rüberkommt, wie er das vorher ja auch gemacht hat - den Termin kann man ja dann ausmachen, und daß er auch bei dieser Gelegenheit den Ministerpräsidenten, den Sie, glaube ich, am Montag oder Dienstag wählen werden, kennenlernt.


Generalsekretär Krenz:
Also, Herr Kohl, zunächst danke ich Ihnen, daß Sie unsere Maßnahmen, die wir zum Reiseverkehr getroffen haben, so hoch einschätzen. Wir haben sie als Bekräftigung unserer Politik der Erneuerung getroffen, im Interesse der Menschen, und ich glaube, es wäre sehr gut, wenn wir auch bei der praktischen Durchführung überall Sachlichkeit, Berechenbarkeit und guten Willen an den Tag legen, überall, auch bei Organen, die sozusagen unmittelbar die Dinge zu lenken und zu leiten haben. Denn nach wie vor bleibt ja die Grenze. Und die Grenze soll durchlässiger gemacht werden. Wir haben also sehr viele Vorschläge dazu bereits unterbreitet. Dazu gehören auch die direkte Öffnung von Grenzübergängen. Also ich wäre sehr, sehr dafür, Herr Bundeskanzler, wenn wir vor allem bestimmte Emotionen ausräumen, bei Leuten, die nun am liebsten alles über Nacht beseitigen möchten. Aber die Grenze durchlässiger zu machen, bedeutet ja noch nicht, die Grenze abzubauen. Da wäre ich Ihnen also sehr dankbar, wenn Sie in dieser Beziehung beruhigend einwirken könnten.

Herr Kohl:
Na ja, ich hab ja gestern mehrmals mit Berlin gesprochen. Und ich habe immer wieder darauf hingewiesen, daß das, was meine Politik, daß jede Form von Radikalisierung gefährlich ist.


Generalsekretär Krenz:
Jede Form von Radikalisierung ist gefährlich. Da stimme ich Ihnen vollkommen zu.

Herr Kohl:
Wir werden uns nicht zu unterhalten brauchen, was für Gefahren das sein könnten, das kann sich jeder leicht ausrechnen.


Generalsekretär Krenz:
Ja. Denn ich gehe ja davon aus, Herr Bundeskanzler, daß wir bei einer Frage absolut übereinstimmen. Wenn auch die Zielstellungen unterschiedlicher Art sind, aber daß gegenwärtig die Wiedervereinigung Deutschlands nicht auf der Tagesordnung steht.

Herr Kohl:
Ja, das ist natürlich vom Grundverständnis her - sind wir da ganz anderer Meinung. Weil wir halt auf die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland vereidigt sind, und da steht ja das Selbstbestimmungsrecht drin. Wir interpretieren natürlich das Ergebnis des Selbstbestimmungsrechts anders wie Sie. Bloß das ist jetzt nicht das Thema, das uns im Augenblick am meisten beschäftigt. Sondern im Moment muß uns beschäftigen, daß wir zu vernünftigen Beziehungen zueinander kommen. Und daß die Menschen dies auch akzeptieren.


Generalsekretär Krenz:
Ja, und wir sind für diese Beziehungen bereit. Und zwar auf allen Gebieten: Auf dem Gebiet der Wirtschaft, des Umweltschutzes, des Verkehrs, des Post- und Fernmeldewesens, der Kultur und auch im humanitären Bereich. Und deshalb begrüße ich sehr Ihren Vorschlag, daß Herr Seiters noch in dieser Woche zu uns kommt.

Herr Kohl:
Also, das wird, wollen wir mal so sagen, gegen Ende der Woche sein.


Generalsekretär Krenz:
Gegen Ende der Woche wird bei uns die Volkskammertagung sein, aber ich werde sicherlich die Möglichkeit finden, aus der Volkskammer -

Herr Kohl:
Wann ist die Volkskammertagung?


Generalsekretär Krenz:
Die Volkskammertagung wird mit großer Wahrscheinlichkeit zur Regierungsbildung und Regierungserklärung am Freitag und Sonnabend sein. Und am Donnerstag werde ich möglicherweise in der CSSR sein.

Herr Kohl:
Nein, nein, ich finde, es wäre ganz falsch, wenn Seiters vor der Volkskammer da wäre. Da lassen Sie uns doch mal überlegen, daß er vielleicht am Tag danach kommt.


Generalsekretär Krenz:
Daß Seiters vielleicht, sagen wir mal, am folgenden Montag kommt, also Montag in einer Woche.

Herr Kohl:
Ja, das ist sehr gut. Das können wir schon ausmachen.


Generalsekretär Krenz:
Ja. Montag in einer Woche.

Herr Kohl:
Lassen Sie mich einmal eine Sekunde in meinen Kalender gucken. Das wäre dann der 20.


Generalsekretär Krenz:
Das wäre der 20. Ja.

Herr Kohl:
Also können wir bongen.


Generalsekretär Krenz:
Ja.

Herr Kohl:
Die Uhrzeit ist, sagen wir mal -. Wir können, wir lassen heute beide raus, daß der Seiters am Montag, dem 20. kommt.


Generalsekretär Krenz:
Jawohl.

Herr Kohl:
Uhrzeit brauchen wir nicht zu sagen.


Generalsekretär Krenz:
Montag, 20. Alles andere kann durch unsere Beauftragten geklärt werden, Herr Bundeskanzler. Herr Kohl:
Und wenn noch irgend etwas ist, Herr Krenz, um das klar zu sagen jetzt, das ist ja eine Situation, die leicht dramatisch werden könnte, dann greifen Sie zum Telefon und ich umgekehrt.


Generalsekretär Krenz:
Ja, unbedingt, Herr Bundeskanzler.

Herr Kohl:
Das ist jetzt sehr wichtig.


Generalsekretär Krenz:
Ich bin sehr froh, daß Sie weiter heute nach Polen fahren werden, denn Polen ist unser östlicher Nachbar, mit dem uns sehr viel verbindet. Wenn Sie den Herrn Präsidenten sehen und den Herrn Ministerpräsidenten und die anderen Persönlichkeiten, sagen Sie ihnen ruhig, daß wir telefoniert haben.

Herr Kohl:
Ja, werde ich ihm gerne erzählen.


Generalsekretär Krenz:
Ja, und sagen Sie ihm auch auf diesem Wege einen herzlichen Gruß.

Herr Kohl:
Ja, mache ich gern.


Generalsekretär Krenz:
Und alle anderen Fragen, wie gesagt, können dann Seiters und die entsprechenden Herren besprechen, und ich bin gerne bereit, mit Herrn Seiters Punkt für Punkt durchzugehen, weil ja doch eine Reihe Fragen, die jetzt mit dem Reiseverkehr in Verbindung stehen, noch konkret besprochen werden müssen. Und es wäre sicherlich nicht gut, wenn jetzt die Dinge sich dramatisch entwickeln. Was uns betrifft, haben Sie sicherlich gehört, daß wir eine Tagung des Zentralkomitees unserer Partei hatten, die Führung der Partei sehr, sehr verjüngt haben. Das ist sicherlich ein guter Schritt. Wir sind zu radikalen Reformen bereit. Wir arbeiten zusammen mit anderen politischen Kräften, auch mit den Kräften der Kirche. Also, wir bringen eine Reihe von Vorleistungen, Herr Bundeskanzler, die Sie ja auch immer unterstrichen haben in Ihren Gesprächen mit uns. Und ich denke, es ist eine gute Atmosphäre entstanden, um auch Dinge zu klären, die auch mit dem ökonomischen Bereich zusammenhängen, für den Reiseverkehr.

Herr Kohl:
Ja.


Generalsekretär Krenz:
Denn diese Dinge können wir allein nicht lösen. Und da bitte ich um Ihr Verständnis und auch um Ihre Vorschläge, wie das ja zwischen unseren Beauftragten bereits andiskutiert worden ist.

Herr Kohl:
Ja. Also machen wir es so?


Generalsekretär Krenz:
Machen wir es so, Herr Bundeskanzler. Ich wünsche Ihnen für Ihre Kabinettsrunde Erfolg und alles Gute und dann einen erfolgreichen Abschluß Ihrer Visite nach Polen.

Herr Kohl:
Also, wiedersehen dann.


Generalsekretär Krenz:
Herr Bundeskanzler, wie wollen wir mit der Veröffentlichung verfahren?

Herr Kohl:
Sagen wir jetzt ganz einfach, wir haben ein intensives Gespräch gemacht.


Generalsekretär Krenz:
Ein intensives Gespräch.

Herr Kohl:
Sie können auch ruhig sagen, daß ich begrüßt habe, daß die Grenzen jetzt geöffnet sind.


Generalsekretär Krenz:
Sie haben begrüßt, daß die Grenzen geöffnet sind.

Herr Kohl:
Das ist ein wichtiger Wunsch von uns. Und daß wir das Gespräch fortsetzen. Wo es notwendig, telefonisch.


Generalsekretär Krenz:
Fortsetzen, telefonisch.

Herr Kohl:
Daß am 20. Seiters zu Ihnen kommt.


Generalsekretär Krenz:
Daß am 20. Seiters kommt.

Herr Kohl:
Daß wir uns dann anschließend in der DDR treffen. Aber ich muß noch einmal sagen, nicht in Ostberlin.


Generalsekretär Krenz:
Ja, ist in Ordnung. Daß wir uns in der DDR treffen, und Sie meinen, nicht in der Hauptstadt.

Herr Kohl:
Ja, ist gut.


Generalsekretär Krenz:
Ist in Ordnung.

Herr Kohl:
Bitte schön.


Generalsekretär Krenz:
Danke schön, wiederhören!

Quelle: SAPMO-BA, DY 30/IV 2/2.039/328, Bl. 55-61.
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