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Bestimmungen über den Schußwaffengebrauch für das Kommando Grenze der Nationalen Volksarmee der DDR, 6. Oktober 1961

Bestimmungen über den Schusswaffengebrauch für das Kommando Grenze der Nationalen Volksarmee der DDR, 6. Oktober 1961

Abschrift

REGIERUNG
DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK
BEFEHL
DES MINISTERS FÜR NATIONALE VERTEIDIGUNG
Nr. 76/61

Geheime Verschlußsache!
... Ausfertigungen
1. Ausfertigung 4 Blatt


06. Oktober 1961
Strausberg

Inhalt: Bestimmungen über Schußwaffengebrauch für das Kommando Grenze der Nationalen Volksarmee

Die Verbände, Truppenteile und Einheiten des Kommandos Grenze der Nationalen Volksarmee haben die Aufgabe, die Unantastbarkeit der Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik bei jeder Lage zu gewährleisten und keinerlei Verletzungen ihrer Souveränität zuzulassen. Zur weiteren Sicherung der Staatsgrenzen der Deutschen Demokratischen Republik

BEFEHLE ICH:
  1. Für die Wachen, Posten und Streifen der Grenztruppen der Nationalen Volksarmee gelten ab sofort die Bestimmungen über Schußwaffengebrauch der DV-10/4 (Standortdienst- und Wachvorschrift) der Nationalen Volksarmee (Anlage 1). In Erweiterung dieser Bestimmungen sind die Wachen, Posten und Streifen der Grenztruppen der Nationalen Volksarmee an der Staatsgrenze West und Küste verpflichtet, die Schußwaffe in folgenden Fällen anzuwenden:
    • zur Festnahme, Gefangennahme oder zur Vernichtung bewaffneter Personen oder bewaffneter Banditengruppen, die in das Gebiet der DDR eingedrungen sind bzw. die Grenze nach der Westzone zu durchbrechen versuchen, wenn sie die Aufforderung zum Ablegen der Waffen nicht befolgen oder sich ihrer Festnahme oder Gefangennahme durch Bedrohung mit der Waffe oder Anwendung der Waffe zu entziehen versuchen;

    • zur Abwehr von bewaffneten Angriffen bzw. Überfällen auf das Territorium der Deutschen Demokratischen Republik, auf die Bevölkerung im Grenzbereich, auf Grenzposten oder Angehörige anderer bewaffneter Organe der Deutschen Demokratischen Republik im Grenzgebiet;

    • zur Festnahme von Personen, die sich den Anordnungen der Grenzposten nicht fügen, indem sie auf Anruf »Halt - stehenbleiben - Grenzposten« oder nach Abgabe eines Warnschusses nicht stehenbleiben, sondern offensichtlich versuchen, die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik zu verletzen und keine andere Möglichkeit zur Festnahme besteht;

    • zur Festnahme von Personen, die mittels Fahrzeugen aller Art die Staatsgrenzen offensichtlich zu verletzen versuchen, nachdem sie vorschriftsmäßig gegebene Stoppzeichen der Grenzposten unbeachtet ließen oder auf einen Warnschuß nicht reagierten bzw. nachdem sie Straßensperren durchbrochen, beiseite geräumt oder umfahren haben und andere Möglichkeiten zur Festnahme der betreffenden Personen nicht mehr gegeben sind.
  2. Die Anwendung der Schußwaffe gegen Grenzverletzer darf nur in Richtung Staatsgebiet der DDR oder parallel zur Staatsgrenze erfolgen.

  3. Von der Schußwaffe darf nicht Gebrauch gemacht werden
    • gegenüber Angehörigen ausländischer Armeen und Militärverbindungsmissionen;
    • gegenüber Angehörigen diplomatischer Vertretungen;
    • gegenüber Kindern.
  4. Bei unbewaffneten Provokationen, Zusammenrottungen und Unruhen jeglicher Art an der Grenze sowie Zerstörungen von Grenzsicherungsanlagen durch Personengruppen sind Nebelkerzen »rot« (Tränengasmittel) einzusetzen.

  5. Die Anwendung der Schußwaffe auf Flugzeuge fremder Nationalität, die die Lufthoheit der Deutschen Demokratischen Republik verletzen, ist nur auf meinen Befehl gestattet.

  6. Der Chef des Kommandos Grenze der Nationalen Volksarmee meldet mir über die Einführung dieser Bestimmungen in allen Einheiten, Truppenteilen und Verbänden des Kommandos Grenze bis zum 10. Oktober 1961 Vollzug.

    Bis dahin sind in allen Einheiten, Truppenteilen und Verbänden des Kommandos Grenze der Nationalen Volksarmee aktenkundige Belehrungen über die Bestimmungen des Schußwaffengebrauchs vorzunehmen.

  7. Der Befehl Nr. 39/60 des Ministers des Innern und die dazu erlassenen Ergänzungen und Durchführungsbestimmungen sowie Kap. XI der Dienstvorschrift 111/2 werden mit gleichem Termin außer Kraft gesetzt.

  8. Dieser Befehl behält bis auf Widerruf Gültigkeit.
Hoffmann
- Armeegeneral -

Anlage 1: Schußwaffengebrauch
  1. Die Wachen, Posten und Streifen der Nationalen Volksarmee können in Ausübung ihres Dienstes von der Waffe Gebrauch machen:
    1. um einen Angriff abzuwehren oder den Widerstand zu brechen, wenn sie in Erfüllung ihrer Aufgaben angegriffen werden;

    2. wenn Verbrecher, insbesondere Spione, Saboteure, Agenten, Provokateure, der Festnahme bewaffneten Widerstand entgegensetzen oder flüchten.
  2. Die Waffe darf insoweit gebraucht werden, wie es für die zu erreichenden Zwecke erforderlich ist.

  3. Die Angehörigen der Nationalen Volksarmee sind jederzeit zum Waffengebrauch berechtigt, wenn sie in Ausübung ihres Dienstes zum Schutz der Deutschen Demokratischen Republik eingesetzt sind.


Quelle: Werner Filmer/Heribert Schwan, Opfer der Mauer. Die geheimen Protokolle des Todes, München 1991, S. 381/82.
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