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Ein ikonischer Moment – Der sozialistische Bruderkuss

Zu den Feierlichkeiten des 30. Jahrestags der Gründung der DDR pflegten die Staatschefs Leonid Breschnew und Erich Honecker das Ritual des sozialistischen Bruderkusses. Aus der Momentaufnahme wurde das meistfotografierte Kunstwerk der East Side Gallery.von Jan-Niklas Welling und Catarina Medeiros de Brito Pontes


Das Bild zeigt das Gemälde der küssenden Politiker auf der Mauer. Im unteren Bereich steht der Titel des Kunstwerkes auf russisch und auf deutsch.
“Mein Gott, hilf mir, diese tödliche Liebe zu überleben” – was meint der Künstler Dmitri Wrubel damit? Diese Frage stellt man sich vor dem bei Tourist:innen äußerst beliebten Kunstwerk, welches von der Oberbaumbrücke gesehen das 25. Bild der East Side Gallery (ESG) ist. Wie kam es zu dieser Abbildung?

Anlässlich des 30. Jahrestags der Gründung der DDR trafen viele Staatschefs der Ostblockstaaten zu mehrtägigen Festlichkeiten in Ost-Berlin ein. Am 5. Oktober 1979 kam es nach dem Abschluss eines Wirtschaftsabkommens zwischen der UdSSR und der DDR zu einem ikonischen Moment: Breschnew und Honecker vollzogen den sozialistischen Bruderkuss auf ihre innige Weise.

Das Ritual hat seinen Ursprung wahrscheinlich als Osterkuss in der russisch-orthodoxen Kirche und wurde später innerhalb der Arbeiterklasse zum Symbol der Kommunistischen Internationalen. Die Chefs der realsozialistischen Länder wollten damit, im Gegensatz zum “kalten” westlichen Handschlag, sowohl Solidarität und Brüderlichkeit als auch die friedliche Zusammenarbeit zwischen ihren Staaten verdeutlichen.

Der Bruderkuss vom 5. Oktober 1979 wurde vom Pressefotografen Régis Bossu in schwarz-weiß festgehalten und von einer der größten französischen Presseagenturen unter dem Titel “Le Baiser” (dt. „Der Kuss“) vielfach verbreitet. Das Bild wurde sehr breit rezipiert und verschiedentlich verwendet. Es war z.B. im Boulevardblatt “Paris Match” auf einer ganzen Doppelseite zu finden. Das Motiv entwickelte sich unmittelbar zu einem Symbol im Kalten Krieg und wurde zu einer popkulturellen Ikone.

Es finden sich verschiedene Angaben Wrubels dazu, wie er auf das Motiv gestoßen ist. Eine davon lautet, dass er von einem Freund auf das Bild hingewiesen wurde. Außerdem äußerte er sich in einem Interview zu der von ihm hinzugefügten Beschriftung auf russisch und auf deutsch: “Mein Gott, hilf mir, diese tödliche Liebe zu überleben”. Diese beziehe sich auf seine damalige Lebenssituation, in der er sich zwischen zwei Frauen entscheiden musste. Die konkrete Verbindung zum Bildmotiv sowie die Farbgebung in Rosa und gelblichem Grün bleiben aber unklar.

Bei den Tourist:innen ist das Motiv sehr beliebt: sie ahmen den Kuss oft nach, und die Bilder verbreiten sich in den sozialen Medien. Das führt dazu, dass das farbige Motiv an der ESG heute vermutlich weitaus weiter verbreitet ist als die schwarz-weiße, historische Originalaufnahme.

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