„Hands” von Margaret Hunter und Peter Russell
Unter den weltbekannten Gemälden der East Side Gallery sticht ein Bild besonders heraus, weil es das einzige mit der originalen Oberfläche von 1990 ist: „Hands” von Margaret Hunter und Peter Russell. von Victoria Bischoff und Nick SnipesIm Juni 1990 rief die Organisatorin der East Side Gallery (ESG), Christine MacLean, die schottische Künstlerin Margaret Hunter an und fragte sie, ob sie an dem Kunstprojekt teilnehmen wolle. Laut Hunter, die seit 1985 abwechselnd in West-Berlin und Schottland lebte, war es ein Privileg, an dem Projekt mitzuwirken, da die Arbeit ihr eine Gelegenheit bot, ihre Gedanken zur Wiedervereinigung auszudrücken. Sie erzählte dem ebenfalls schottischen Künstler Peter Russell von der ESG und stellte den Kontakt zwischen ihm und MacLean her. Hunter und Russell erhielten mehrere Mauerabschnitte zur Bemalung und begannen im Juli 1990 nebeneinander ihre Arbeit an der ESG.
Währenddessen verhandelten die DDR und die Bundesrepublik über die kommende Wiedervereinigung. Im Juni hatte der offizielle Abbau der Mauer begonnen, am 1. Juli trat die Währungsunion in Kraft und an den Grenzen endeten die Personenkontrollen. Hunter beschrieb ihren Eindruck folgendermaßen: “Ich fühlte mich sehr demütig und erinnerte mich an das historische Gewicht dieses Ortes und daran, dass wir in der DDR arbeiteten, was vor einigen Monaten unvorstellbar war”.
Mit diesen komplexen Gedanken arbeitete Hunter weiter. Zunächst malte sie das Bild „Joint Venture“. Sie stellte währenddessen fest, dass sie nicht alle Mauerstücke bearbeiten konnte, die ihr zugeteilt worden waren. Deshalb gab sie Abschnitte an die Künstlerin Birgit Kinder ab, als diese mit einem Trabi an der Mauer vorbeifuhr und fragte, ob auch sie auf den noch unbemalten Stücken etwas malen könne. Als Hunter und Russell mit ihren Gemälden fertig waren, blieb noch ein weiteres Teilstück zwischen Kinders Trabi-Bild „Test the Best“ und Peter Russells „Himmel und Sucher“ übrig. Auf diesem Stück entstand „Hands“. Es war eine gemeinsame Arbeit, welche ganz spontan erfolgte und schnell voranging. Hunter malte zunächst die Hände und Russell danach den Hintergrund.
Die Idee zu „Hands“ war Margaret Hunter am Tag des Mauerfalls gekommen. Zu diesem Zeitpunkt war sie gerade in Schottland. Ihr Ehemann, der aus Deutschland stammte, kam in das Atelier geeilt, um ihr die Neuigkeit zu überbringen. Sofort übermalte sie das Bild, an dem sie gerade arbeitete. Hunter malte bis in die tiefe Nacht hinein, um ihre überwältigenden Gefühle in ihrem Werk widerzuspiegeln. Sie wählte ein einfaches Motiv: nach oben gestreckte Arme und Hände. Dies war ein Symbol für die Hoffnung. Es erinnerte sie an die Montagsdemonstrationen, die im Herbst 1989 in zahlreichen ostdeutschen Städten stattgefunden hatten. Das Bild erhielt den Titel „Berlin 9.11.89”, und von diesem Bild übernahm sie später die Idee für „Hands”.
20 Jahre nach den Protesten und dem Mauerfall kehrten viele Künstler:innen im Jahr 2009 zur ESG zurück, um ihre Bilder zu erneuern. Seit ihrer Entstehung waren zahlreiche Bilder durch Graffiti beschädigt worden. Deshalb sollten sie von den Künstler:innen noch einmal gemalt werden. Der Projektleiter der Sanierung, Helmut Schermeyer, entschied sich jedoch dafür, dass „Hands” nicht übermalt, sondern konserviert werden sollte, nachdem bereits im Jahr 2000 durch Studierende der Fachhochschule Potsdam eine Teilsanierung durchgeführt worden war. Hunter vermutete im Interview, dass ihr Bild wegen dieser früheren Konservierung oder wegen der kleineren Größe des Bildes ausgewählt worden sei. Die Bearbeitung wurde innerhalb von drei Wochen von den professionellen Restauratoren Andreas Schudrowitz und Franziska Brühns durchgeführt. Dadurch wurde das Gemälde zum einzigen Bild der ESG, dessen originale Oberfläche erhalten blieb. Zum 30. Jahrestag der ESG im Jahr 2020 wurde das Bild “Hands” erneut konserviert.
Als Margaret Hunter im Sommer 1990 ihre Bilder malte, war sie nicht sicher, wie lange ihre Kunstwerke und die ESG existieren und ob die Mauerstücke an der Mühlenstraße in ein oder zwei Jahren abgerissen werden würden. Nach fast 33 Jahren steht die East Side Gallery jedoch noch immer und gehört zu den beliebtesten Attraktionen der Stadt.
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 4.0" veröffentlicht. Sie dürfen den Text unter Nennung der Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 und der Autoren/-innen teilen. Urheberrechtliche Angaben zu den Bildern finden sich direkt bei den Abbildungen.