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Ansprache von Bundeskanzler Konrad Adenauer am „Tag der Deutschen Einheit", 17. Juni 1961

Ansprache von Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer beim Staatsakt anlässlich des "Tages der Deutschen Einheit" im Plenarsaal des Bundeshauses, 17. Juni 1961

Abschrift

Den Tag der Deutschen Einheit begehen wir dieses Jahr mit besonderem Ernst. Wir begehen ihn mit besonderem Ernst, weil der schwere Druck auf die Deutschen in der Zone sich wiederum gesteigert hat. Die ständig steigende Zahl der Deutschen, die aus der Zone zu uns fliehen, beweist es. Wir begehen ihn mit besonderem Ernst, weil, wenn nicht alle Zeichen trügen, im Laufe dieses Jahres, insbesondere auch nach Chruschtschows Rundfunkrede am letzten Donnerstag, neue Verhandlungen über Berlin von Sowjetrußland verlangt werden.

Die Zahl der Deutschen, die aus der Zone zu uns fliehen, steigt fast von Woche zu Woche. Diese Menschen, die zu uns flüchten, tun das unter Gefahr schwerster Strafen, wenn sie auf ihrer Flucht von den Polizisten der Zone erfaßt werden. Sie tun das unter Zurücklassung aller ihrer Habe, sie verlassen ihre Heimat, ihre Freunde, ihre Verwandten, weil sie den in der Zone herrschenden Druck, diese Unfreiheit, diese seelische und oft auch körperliche Not nicht länger ertragen können, weil sie in Freiheit leben wollen. Seitdem das Gebiet der Zone unter sowjetrussischer Herrschaft und später unter der Herrschaft deutscher Helfershelfer Sowjetrußlands steht, sind über drei Millionen Menschen zu uns in die Freiheit geflüchtet.

Sie flohen - das lassen Sie mich noch einmal wiederholen - unter Gefahr für Leib und Leben, unter Hinterlassung ihrer ganzen Habe. Es ist mir unverständlich, warum die Sowjetunion an ihrer Haltung in der Berlin-Frage und der Zonenfrage festhält.

Herr Chruschtschow selbst hat wiederholt die Berlin-Frage als einen Gefahrenherd für den Frieden der Welt erklärt. Er hat auch wiederholt erklärt, daß die Sowjetunion Frieden will. Warum hält die Sowjetunion an der Haltung in der deutschen Frage fest, die sie nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches in Jahre 1945 eingenommen hat? Chruschtschow sieht doch aus der steigenden Zahl der aus der Zone Fliehenden, daß die kommunistische Staatsform nicht die Staatsform ist, die die Bewohner der Sowjetzone wollen. Wenn man 1945 in etwa verstehen konnte, daß die Sowjetunion sich dadurch, daß sie sich die Zone und den Ostsektor von Berlin aneignete, eine Schutzzone gegen ein neuerstehendes, kriegslüsternes, Revanche verlangendes Deutschland schaffen wollte, so ist einem jetzt, nach den vergangenen zwölf Jahren, ihre Haltung nicht verständlich. Die Bundesrepublik Deutschland besteht jetzt zwölf Jahre. Sie hat bewiesen, daß sie ein überzeugter Gegner eines Angriffskriegs ist. Wie groß stünde die Sowjetunion vor der Welt und vor der Geschichte dieser Zeit, wenn sie die Hand zu einer guten Lösung der deutschen Frage böte. Sie würde auch damit beweisen, daß sie auch mit Taten zu der von ihr feierlich unterschriebenen These des Selbstbestimmungsrechts der Völker steht.

Wenn aber in der Sowjetunion noch irgendwelche Besorgnisse hinsichtlich ihrer Sicherheit bei einer Ordnung der deutschen Frage auf Grund des Selbstbestimmungsrechts der Völker vorhanden sein sollten - so weise ich hin auf die Erklärung, die von dem damaligen Präsidenten für die Vereinigten Staaten und von mir für die Bundesrepublik anläßlich meines Besuchs in den Vereinigten Staaten am 28. Mai 1957 abgegeben wurde. Sie lautet: Der Präsident und der Bundeskanzler bekräftigen ihre Überzeugung, daß die Beendigung der unnatürlichen und ungerechten Teilung Deutschlands ein Hauptziel der Außenpolitik ihrer beiden Regierungen ist. Deutschland muß mit friedlichen Mitteln auf freier und demokratischer Grundlage wiedervereinigt werden.

Wenn die sowjetischen Führer wirklich den Frieden und die internationale Entspannung wollen, so können sie dies nicht besser beweisen als dadurch, daß sie die Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen zulassen.

Der Präsident und der Kanzler erklären nachdrücklich, daß die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands der Sowjetunion keinen Anlaß zu Besorgnissen für ihre eigene Sicherheit bietet. Es ist nicht die Absicht ihrer Regierungen, aus der Wiedervereinigung Deutschlands einen einseitigen militärischen Vorteil zu ziehen. In Verbindung mit der Wiedervereinigung sind sie - ebenso wie dies schon auf den beiden Genfer Konferenzen im Jahre 1955 festgestellt wurde - nach wie vor bereit, Sicherheitsvereinbarungen für Europa zu treffen, die der Sowjetunion weitgehende Garantien auf dem Gebiet der Sicherheit geben würden.

Diese Erklärung hat auch jetzt noch Gültigkeit. Den Deutschen in Berlin und in der Zone aber rufe ich zu: Haltet fest an der sicheren Hoffnung auf Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit, haltet fest an dem festen Glauben an die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands.

Quelle: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 110, Bonn, den 20. Juni 1961, S. 1061 ff.
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