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Brief des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy an den Regierenden Bürgermeister von West-Berlin, Willy Brandt, 18. August 1961

Brief des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy an den Regierenden Bürgermeister von West-Berlin, Willy Brandt, vom 18. August 1961

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Brandt!

Ich habe Ihr persönliches, inoffizielles Schreiben vom 16. August sehr sorgfältig gelesen und möchte Ihnen dafür danken. In diesen Tagen, die uns auf die Probe stellen, ist es für uns wichtig, in engem Kontakt zu stehen. Deshalb schicke ich Ihnen meine Antwort durch den Vizepräsidenten Johnson. Er kommt zusammen mit General Clay, der den Berlinern wohlbekannt ist. Beide sind von mit autorisiert, unser Problem mit Ihnen in aller Offenheit zu besprechen.

Die von der sowjetischen Regierung und ihren Marionetten in Ostberlin ergriffenen Maßnahmen haben hier in Amerika heftige Reaktionen ausgelöst. Diese Demonstration dessen, was die sowjetische Regierung unter Freiheit für eine Stadt und Frieden für ein Volk versteht, beweist die Falschheit der sowjetischen Absichten; und die Amerikaner verstehen, daß dieses Vorgehen zwangsläufig einen besonderen Schlag für die Bevölkerung von Westberlin darstellt, da sie weiterhin auf unzählige Arten mit ihren Berliner Mitbürgern im Ostsektor verbunden sind.

Daher verstehe ich völlig die tiefe Beunruhigung und Sorge, die Anlaß Ihres Schreibens waren.

Aber so ernst diese Angelegenheit auch ist, so stehen uns doch, wie Sie sagen, keine Maßnahmen zur Verfügung, die eine wesentliche Änderung der Sachlage in der derzeitigen Situation bewirken können. Da dieses brutale Schließen der Grenze ein deutliches Bekenntnis des Versagens und der politischen Schwäche darstellt, bedeutet dies offensichtlich eine grundlegende sowjetische Entscheidung, die nur durch Krieg rückgängig gemacht werden könnte. Weder Sie noch wir noch irgendeiner unserer Verbündeten haben jemals angenommen, daß wir an diesem Punkt einen Krieg beginnen müßten.

Doch der sowjetische Schritt ist für unangemessenen Reaktionen zu ernst. Mein eigener Einwand gegen die meisten der vorgeschlagenen Maßnahmen - selbst gegen die meisten der in Ihrem Brief gemachten Vorschläge - ist der, daß sie lediglich Bagatellen sind im Vergleich zu dem, was getan worden ist. darüber hinaus scheinen einige davon selbst nach Ihrem eigenen Wortlaut kaum erfolgversprechend zu sein. Zum Beispiel urteilen wir zur Zeit so über die Frage eines sofortigen Appells an die Vereinten Nationen, obwohl wir diese Möglichkeit weiterhin ständig fest im Auge behalten sollten.

Nach sorgfältiger Überlegung habe ich selbst beschlossen, daß die beste Sofortreaktion eine wesentliche Verstärkung der westlichen Garnisonen ist. Die Bedeutung dieser Verstärkung ist symbolischer Natur - aber nicht nur symbolisch. Wir wissen, daß die Sowjetunion weiter besonderen Nachdruck auf ihre Forderung nach Aufhebung des alliierten Schutzes für Westberlin legt. Wir glauben, daß selbst eine bescheidene Verstärkung unsere Zurückweisung dieses Gedankens unterstreichen wird.

Zugleich - und das ist von grundsätzlich größerer Bedeutung - werden wir die umfassende Erhöhung der militärischen Stärke des Westens, die wir beschlossen haben und als notwendige Reaktion auf die langfristige sowjetische Bedrohung Berlins und von uns allen betrachten, fortsetzen und beschleunigen.

Innerhalb Berlins, bei den unmittelbaren Angelegenheiten der Stadt, mag es andere, besonders geeignete Schritte geben, die man ergreifen kann. Diese werden wir so schnell und verständnisvoll wie möglich prüfen, und ich hoffe, Sie werden Ihre eigenen Ansichten über derartige Maßnahmen zweifellos in aller Offenheit gegenüber Vizepräsident Johnson und seiner Begleitung zum Ausdruck bringen. Maßnahmen, die wirksam unser anhaltendes Engagement für die Freiheit in Berlin demonstrieren, werden unsere Unterstützung haben.

Mit besonderer Aufmerksamkeit habe ich Ihren Vorschlag über einen Dreimächtestatus für Westberlin erwogen. Mein Urteil ist, daß eine offizielle Verkündigung eines derartigen Status eine Schwächung der Viermächte-Beziehungen mit sich bringen würde, auf denen unser Widerstand gegen das Schließen der Grenze beruht.

Wie auch immer die unmittelbaren Pläne aussehen mögen, ich bin nicht der Meinung, daß wir so zweigleisig fahren sollten. Ich stimme in dem Punkt völlig überein, daß die Garantien, die wir Westberlin gewährt haben, immer wieder bestätigt und neu bestätigt werden sollen, und genau dieses tun wir auch. Darüber hinaus befürworte ich Ihren Vorschlag einer angemessenen Volkentscheidung, durch die bewiesen wird, daß Westberlin nach wie vor davon überzeugt ist, daß sein Schicksal in einer Freiheit in Verbindung mit dem Westen liegt.

Allgemeiner gesagt möchte ich Ihnen dringend ans Herz legen, daß wir uns nicht durch das Vorgehen der Sowjetunion, das in sich ein Beweis von Schwäche ist, aus der Fassung bringen lassen dürfen. Westberlin ist heutzutage wichtiger denn je, und seine Mission, für die Freiheit einzustehen, ist niemals so wichtig wie heute gewesen. Die Verbindung Westberlins zur freien Welt ist keine rhetorische Angelegenheit. So wichtig auch die Verknüpfung zum Osten gewesen sein mag, so schmerzhaft ihre schändliche Behandlung, so läuft doch das Leben dieser Stadt, wie ich es verstehe, in erster Linie zum Westen hin - ihr wirtschaftliches Leben, ihre moralische Basis und ihre militärische Sicherheit. Es wäre gut, wenn Sie konkrete Möglichkeiten vorschlagen, wie diese Bindung in einer Weise erweitert werden kann, damit sich die Bürger von Westberlin aktiver ihrer Rolle bewußt werden, und zwar nicht nur als Vorposten der Freiheit, sondern als lebendiger Teil der freien Welt und all ihrer Unternehmungen. In dieser doppelten Mission sind wir Partner, und es ist meine eigene Zuversicht, daß wir auch weiterhin uns in der Zukunft so sicher aufeinander verlassen können, wie wir es in der Vergangenheit getan haben.

Mit warmherzigen Grüßen

Hochachtungsvoll
John Kennedy

Quelle: U.S. Department of State (Hg.), 1994: Foreign Relations of the United States, Vol. XV: Berlin Crisis, 1962-1963, Washington, S. 345/46
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