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Rede von Erich Honecker in Gera, 13. Oktober 1980

Rede von SED-Generalsekretär Erich Honecker in Gera, 13. Oktober 1980

Abschrift

Es ist kein Zufall, daß gerade in dem Augenblick, in dem unsere polnische Bruderpartei vor der Aufgabe stand, mit komplizierten, nicht aufschiebbaren Problemen fertig zu werden, und in dem sie daranging, bestimmte Korrekturen in ihrer Politik vorzunehmen, die imperialistischen Massenmedien und ihre Hintermänner, insbesondere in der BRD, einen Hetzfeldzug ohnegleichen gegen das sozialistische Polen in Gang setzen.

Dabei ging es nicht, wie so manche westliche Politiker behaupten, um das Recht der Polen, ihre auf die Tagesordnung gesetzten Fragen selbst zu lösen. Vielmehr stachelten sie die in der VR Polen auf den Plan getretenen antisozialistischen, konterrevolutionären Kräfte an. Sie versorgten sie erwiesenermaßen nicht nur en gros mit verschiedensten „Ratschlägen" zur Veränderung des gesellschaftlichen Systems in Polen, zur Ersetzung des, wie sie sich ausdrückten, „sowjetischen Modells" des Sozialismus durch ein polnisches, sondern schleusten zu diesem Zweck auch große Geldmittel über die verschiedensten Kanäle in die Volksrepublik Polen. Das geschah nicht etwa, um den Sozialismus „menschlicher" zu gestalten, sondern um den Sozialismus zu beseitigen, der auch dem polnischen Volk unveräußerliche Menschenrechte brachte, das Recht auf Arbeit, auf Freiheit, das Recht, sein Leben selbst zu gestalten.

So werden wir in diesen Tagen und Wochen wieder einmal Zeugen, daß waschechte Kapitalisten und Profitmacher sowie deren Handlanger „ihr Herz für den Sozialismus" entdecken. Wie die Pharisäer und Schriftgelehrten des biblischen Zeitalters versuchen sie, im trüben zu fischen. Ihre Rechnung geht jedoch nicht auf. Für Volkspolen ist ebenso wie für die DDR und die anderen sozialistischen Bruderländer die Freundschaft mit der Sowjetunion der Garant für eine friedliche Zukunft in Glück und Wohlstand. Die polnischen Menschen werden nie vergessen, daß ihr neues Leben erst durch den gemeinsamen Kampf gegen den Hitlerfaschismus, durch den Sieg über ihn ermöglicht wurde. Sie werden nie vergessen, daß ihr Land erst in der Gemeinschaft der sozialistischen Bruderstaaten für immer gesicherte Grenzen erhielt, daß nur der Sozialismus ihre Zukunft vor den Revanchegelüsten der deutschen Militaristen, die das polnische Volk in der Geschichte schon so viele Opfer kosteten, zuverlässig schützt.

Vor kurzem hat sich wieder bestätigt, daß die Revanchistenorganisationen in der BRD ihre Aktivitäten verstärken und neue Zentralen einrichten, die der Intensivierung ihrer ideologischen Tätigkeit dienen. So soll nahe Bonn ein „Haus Schlesien" entstehen und - wie verkündet wurde - „den jungen Schlesiern geistige Nahrung auf dem Weg nach Schlesien" sein. In Lübeck wird ein „Haus der Danziger" aufgebaut, um - wie es heißt - das angebliche „historische Anrecht auf die Heimat" aufrechtzuerhalten. In Travemünde ist für denselben Zweck ein „Pommernzentrum" geplant. All das sind bezeichnende Tatsachen.

Eines steht fest: Die Volksrepublik Polen ist und bleibt ein sozialistisches Land. Sie gehört untrennbar zur Welt des Sozialismus. Das Rad der Geschichte kann niemand zurückdrehen.


Liebe Genossinnen und Genossen!

Die Stärke der sozialistischen Staatengemeinschaft, ihre Einheit und Geschlossenheit, ihr abgestimmtes Handeln in der Weltarena sind das Unterpfand dafür, eine dauerhafte Friedenssicherung zu erreichen. Zur Lösung dieser Lebensfrage der Menschheit gehen wir mit allen zusammen, die aufrichtig daran interessiert sind, den Völkern die Schrecken neuer Kriege zu ersparen. Dabei spielt keine Rolle, welche Unterschiede nach sozialer Stellung, politischer Ansicht, weltanschaulicher Überzeugung oder konfessionellem Bekenntnis es jeweils geben mag. Das übergeordnete Interesse der Völker und jedes vernünftigen, realistisch denkenden Politikers und Staatsmannes ist und kann nur sein, daß der Frieden, das höchste Gut der Menschheit, bewahrt wird. Der Kampf um den Frieden ist bekanntlich in eine Phase schärferer Auseinandersetzungen getreten. Gegenüber dem Anfang der siebziger Jahre, als der Entspannungsprozeß eingeleitet werden konnte, gegenüber der Zeit danach, in der es gerade auch in Europa zu vielen positiven Veränderungen kam, hat sich die internationale Lage erheblich verschlechtert. Bei meinem Treffen mit Genossen Leonid Breschnew auf der Krim gelangten wir zu der Feststellung, daß diese Lage weiterhin kompliziert und angespannt ist. Allerdings erreichen die reaktionärsten imperialistischen Kreise und die Pekinger Hegemonisten mit ihrem Kurs, die internationalen Spannungen anzuheizen, nicht die Ziele, die sie sich vorgenommen haben.

Die Ursachen für die Verschlechterung der Weltsituation sind eindeutig. Bestimmte imperialistische Kreise, insbesondere der USA, haben dem Kurs der Konfrontation den Vorzug vor dem Kurs der Entspannung gegeben und setzen alle Mittel ein, um ihre NATO-Verbündeten in seinen Sog zu ziehen. Sie beschleunigen unentwegt das Wettrüsten und versuchen sich ein militärisches Übergewicht über die sozialistische Gemeinschaft zu verschaffen. Hand in Hand damit geht ihre ständige Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder, ob im Mittleren und Nahen Osten oder auch in Europa. Dabei ist die imperialistische BRD an vorderer Stelle mit von der Partie. Als engster Verbündeter der USA, ihrer aggressivsten Kreise, übernimmt sie immer neue Aufgaben, damit die USA auch anderswo in der Welt ihre Droh- und Boykottpolitik gegen die Völker fortsetzen können. Dafür sprechen die Tatsachen, an denen auch noch so schöne Reden über Frieden und Entspannung nichts ändern.

Es bestätigt sich also, daß der Imperialismus sein aggressives Wesen niemals abgelegt hat. Von der Entspannung, deren Zustandekommen sie seinerzeit trotz heftigster Gegenwehr hinnehmen mußten, haben sich mächtige Kreise des Monopolkapitals im Sinne ihrer antisozialistischen, gegen die Interessen der Völker gerichteten Absichten etwas anderes versprochen, als tatsächlich herausgekommen ist. Ihnen paßt die ganze Richtung der friedlichen Koexistenz von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung nicht, weil sie ihrer Profitsucht, ihrem Gewaltstreben, ihrem Ausdehnungsdrang direkt zuwiderläuft. Auf abenteuerlichste Weise gefährden sie mit ihrem Konfrontationskurs letztlich alles, was den Völkern auf dem Wege der Entspannung bisher soviel Nutzen gebracht und die Perspektiven des Friedens verbessert hat.

Westliche Fernseh- und Rundfunkstationen und auch Besucher aus der BRD haben das Märchen in die Welt gesetzt, die sowjetische Hilfsaktion für das befreundete, revolutionäre Afghanistan sei an der Verschärfung der internationalen Lage schuld. Märchen können jedoch nicht über die Wahrheit hinwegtäuschen. Es wird immer deutlicher, daß die Schuld an der Verschärfung der internationalen Situation eindeutig jene Staaten der NATO tragen, die unter dem Schlagwort „Nachrüstung" die größte Hochrüstung in der Geschichte der kapitalistischen Welt betreiben.

Auch dürfte nicht unbekannt sein, daß das westliche Geschrei über die angebliche „Bedrohung aus dem Osten", über die sogenannte „sowjetische Gefahr" zu einer Zeit besonders laut angestimmt wurde, als die imperialistischen Pläne für die Abkehr von der Politik der Entspannung, für die Hochrüstung der NATO, für neue und aggressive „euro-" und nuklearstrategische Maßnahmen der USA und ihrer Bündnispartner schon längst bereit lagen. Das im Mai 1978 vom NATO-Rat in Washington verabschiedete Langzeitprogramm, der mit großem Einsatz der BRD durchgebrachte Brüsseler Raketenbeschluß von Ende vorigen Jahres und die jetzt verkündete neue Nuklearstrategie der USA sind Beweise dafür. Beweis ist auch die Nichtratifizierung des SALT 11-Vertrages vom Juni 1979, der für die Begrenzung der strategischen Rüstung und für weitere Schritte zu weltweiter Abrüstung von großer Bedeutung wäre.

Eine Sprengladung nach der anderen hat der Imperialismus in jüngerer Vergangenheit an die mühevoll erreichten Ergebnisse der Entspannung gelegt. Ihm sitzt die Krise seines Systems im Nacken. Er kann nicht verkraften, daß der Sozialismus erstarkt und sein internationaler Einfluß wächst. Zudem macht ihm der Aufbruch der Völker zur nationalen und sozialen Befreiung zu schaffen.

Die „Kanonenbootpolitik" aus fernen Tagen findet heute ihre Wiederbelebung bei der imperialistischen Jagd nach Herrschaftsgebieten und Rohstoffquellen. Der Imperialismus versucht, die Völker durch Boykott, Gewaltandrohung und Erpressung unter Druck zu setzen. Er tritt ihre Souveränität, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung mit Füßen, pfeift auf ihre Rechte. Obwohl die Staatsmänner der USA, der BRD und weiterer NATO-Staaten in der Schlußakte von Helsinki gerade auch das Prinzip der Nichteinmischung unterschrieben haben, versuchen sie, ihre Nase und ihre Finger immer wieder in die inneren Angelegenheiten anderer Länder zu stecken.

Da führt der Imperialismus einen nicht erklärten Krieg gegen das revolutionäre Afghanistan und entrüstet sich zugleich über dessen Verteidigung. Im Iran war ihm der Sturz des verhaßten Schahregimes und der Sieg der Volksrevolution von Anfang an ein Dorn im Auge, daher antwortete er, wie man weiß, mit politischer Diskriminierung, militärischem Aufmarsch und abenteuerlichen Manövern. Unverfroren erklärt er, der dortzulande nichts zu suchen hat, aber den Verlust seines Einflusses in dieser wichtigen Ölregion nicht verschmerzen kann, den Persischen Golf zu seinem „Interessengebiet". Er forciert den Aufbau spezieller Eingreiftruppen, mit denen er auch anderswo in der Welt seine Positionen wiedergewinnen oder erhalten möchte. Jetzt glaubt der Imperialismus, aus dem bewaffneten Konflikt zwischen dem Irak und dem Iran Kapital schlagen zu können, einem Konflikt, der nach Ansicht aller am Weltfrieden interessierten Staaten und Kräfte, aller, welche die Rechte der Völker respektieren, durch Verhandlungen der beiden beteiligten Seiten beigelegt werden muß.

Die Ereignisse der jüngsten Zeit erhärten die im Programm unserer Partei enthaltene Einschätzung des Imperialismus und seiner Aggressivität. Sie machen deutlich, daß man an die Beurteilung der Großwetterlage ohne Illusionen herangehen muß, um die erforderlichen Schlußfolgerungen für die erfolgreiche Weiterführung unserer Politik des Friedens und der Sicherheit zu ziehen. Es versteht sich, daß wir in der revolutionären Wachsamkeit nicht nachlassen und die Verteidigungsfähigkeit unserer Republik in der sozialistischen Militärkoalition des Warschauer Vertrages jederzeit auf dem notwendigen Niveau gewährleisten. Das Manöver „Waffenbrüderschaft 80" war ein überzeugender Beweis dafür, daß der Sozialismus und der Frieden über einen zuverlässigen Schutzschild verfügen. Aggressoren haben keine Chance.


Liebe Genossinnen und Genossen!

Auf der Tagesordnung der Weltpolitik steht heute als wichtigster Punkt, im Interesse der Friedenssicherung vor allem dem Wettrüsten ein Ende zu bereiten und die politische Entspannung durch die Abrüstung zu ergänzen. Das ist aktueller denn je. Damit die internationale Lage gesundet, muß es gerade während der achtziger Jahre auf diesem Feld zu einer Wende kommen. Hier Zeit zu verlieren, kann nur denjenigen willkommen sein, die mit ihrer imperialistischen Konfrontationspolitik darauf aus sind, die Spannungen zu erhalten, aufzuladen und das Risiko einzugehen, daß die Menschheit in ein atomares Inferno gestürzt wird.

Die DDR ist gemeinsam mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Bruderländern bestrebt, die Friedensoffensive unseres Bündnisses weiter zu entfalten. Das kommt in der Deklaration der Maitagung des Politischen Beratenden Ausschusses des Warschauer Vertrages zum Ausdruck. Die darin unterbreiteten Vorschläge sind mit ihrer Vernunft, ihrem Realismus und ihrer Konstruktivität eine tragfähige Grundlage für die internationale Verständigung über neue Fortschritte zur friedlichen Koexistenz von Staaten unterschiedlicher sozialer Ordnung. Die DDR sieht ihre Verantwortung insbesondere darin, dazu beizutragen, daß von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgeht. Ihre Haltung zur Lösung der Grundfragen unserer Zeit läßt keinen Zweifel zu, daß sie es mit ihren verschiedenen Aktivitäten entsprechend der abgestimmten Politik der Staaten des Warschauer Vertrages ernst meint. Das imperialistische Konzept der Konfrontationspolitik muß durchkreuzt und es müssen weitere Fortschritte auf dem Weg der Entspannung erreicht werden. Es muß gelingen, das Gebäude einer europäischen Friedensordnung durch effektive Abrüstungsmaßnahmen bei gleicher Sicherheit für alle zu untermauern. Daher halten wir es für wichtig, daß auf dem bevorstehenden Madrider Nachfolgetreffen zu Helsinki die Einberufung einer gesamteuropäischen Konferenz über Entspannung und Abrüstung vereinbart und eingeleitet wird.

Selbstverständlich ist die Erhaltung des Weltfriedens ein Problem, dessen Lösung noch weiterreichende Schritte verlangt. Wir begrüßen voll und ganz die neuen Vorschläge der Sowjetunion vor der Organisation der Vereinten Nationen, dargelegt im Memorandum „Für Frieden und Abrüstung, für Garantien der internationalen Sicherheit". Um die Hindernisse für Verhandlungen zu beseitigen, die durch den Brüsseler NATO-Beschluß errichtet wurden, setzt sich die UdSSR dafür ein, unverzüglich an die Erörterung der Frage der Raketenwaffen mittlerer Reichweite in Europa sowie der Frage der vorgeschobenen amerikanischen Kernwaffen heranzugehen.

Beides soll gleichzeitig und organisch verbunden geschehen. Die eventuellen Vereinbarungen sollen nach dem Inkrafttreten von SALT II verwirklicht werden.

Diese Initiative der Sowjetunion und ihre darüber hinaus unterbreiteten Vorschläge zur Reduzierung der Rüstungen sind erneut ein Ausdruck ihrer konsequenten Friedenspolitik. Durch die Realisierung würde den Interessen der Menschheit ein gewaltiger Dienst geleistet. Man darf erwarten, daß die sowjetischen Vorschläge bei allen, an die sie gerichtet sind, ein konstruktives Echo finden.

Von Berlin aus verkündete Genosse Leonid Breschnew vor nunmehr einem Jahr seine weltweit beachtete Friedensinitiative. Seitdem hat die UdSSR nicht wenige Maßnahmen getroffen und Schritte unternommen, den toten Punkt hinsichtlich der Abrüstung zu überwinden, den die NATO durch ihr Vorgehen herbeigeführt hat. Wie von Genossen Breschnew in Aussicht gestellt, wurden 20 000 Soldaten und 1 000 Panzer sowie anderes militärisches Gerät der sowjetischen Streitkräfte aus der DDR abgezogen. Eine ähnliche Vorleistung hat die NATO bis auf den heutigen Tag nicht erbracht. So beantwortet sich auch hier die Frage von selbst, wie es jeweils um die Übereinstimmung der Worte über den Frieden mit den entsprechenden Taten bestellt ist.

Damit die Wiener Verhandlungen über eine gegenseitige Reduzierung von Streitkräften und Rüstungen in Mitteleuropa endlich vorankommen, hat die Sowjetunion im Namen der sozialistischen Teilnehmerländer neue Vorschläge unterbreitet. Sie sehen vor, unter Berücksichtigung der zahlenmäßigen Stärke der in Mitteleuropa stationierten Streitkräfte der Sowjetunion und der USA, in der ersten Etappe 20 000 sowjetische und 13 000 amerikanische Militärangehörige abzuziehen. Das soll ungeachtet der Tatsache geschehen, daß 20 000 sowjetische Soldaten bereits aus der DDR abgezogen wurden. Angesichts der weitreichenden positiven Bedeutung des von der Sowjetunion in Wien vorgeschlagenen Schrittes für die Abrüstung ist klar, daß wir seine Unterstützung durch die Teilnehmerstaaten der Konferenz, einschließlich der BRD, erwarten.


Liebe Genossinnen und Genossen!

In letzter Zeit war viel von der Entwicklung des Verhältnisses zwischen der DDR und der BRD die Rede. Für uns versteht sich von selbst daß unsere Vertragspolitik mit der BRD ein Teil der abgestimmten Politik unseres Bündnisses der Staaten des Warschauer Vertrages zur Friedenssicherung ist. Dies nochmals deutlich zu machen, entspricht den Erfordernissen unserer Zeit. Niemand soll doch ernsthaft glauben, er könne aktiv die Politik des westlichen Bündnisses vertreten, aus Solidarität mit den USA die Olympischen Spiele in Moskau boykottieren, als Erfinder und Einpeitscher des Brüsseler Raketenbeschlusses auftreten und gleichzeitig so tun, als brauche man mit der DDR nur über „Reiseerleichterungen" zu sprechen. Wer das tut, geht an den Lebensfragen der Menschen vorbei. Er übersieht geflissentlich, daß die Fragen von Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit entsprechend der Schlußakte von Helsinki nur in ihrer Wechselbeziehung zu lösen sind.

Vor einer Woche wurde in der BRD ein neuer Bundestag gewählt. Die bisherige SPD/FDP-Koalition stellt demnach, wie wir erwarteten, für weitere vier Jahre die Bundesregierung. Diese Tatsache ist durchaus positiv zu bewerten. Wie der Bundeskanzler der BRD, Helmut Schmidt, zu erkennen gab, will die Koalition in Bonn ihre Ostpolitik, gestützt auf das westliche Bündnis, fortsetzen. Dazu gehöre auch die Verbesserung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten, ein wesentliches Moment der Entspannungs- und Friedenspolitik in Europa. Eine Politik im Sinne weiterer Entspannung in Europa ist durchaus begrüßenswert. Allerdings kann man die Widersprüchlichkeit der BRD-Politik nicht übersehen.

Die Deutsche Demokratische Republik strebt nach gutnachbarlichen Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland, und ebenso wie gegenüber anderen westlichen Staaten ist ihre Politik auch hier die Politik der friedlichen Koexistenz. Davon ausgehend, haben wir in der Vergangenheit vieles unternommen, um Fortschritten in den Beziehungen zwischen der DDR und der BRD den Weg zu ebnen. Zahlreiche Verträge und Abkommen konnten geschlossen werden, die im wesentlichen funktionieren. Damit entstanden wichtige Voraussetzungen für eine gleichbleibende und gegenseitige vorteilhafte Zusammenarbeit.

Natürlich kann man nicht übersehen, daß zwischen der DDR und der BRD weiterhin viele Probleme bestehen und wir von einer umfassenden Normalisierung noch ein beträchtliches Stück entfernt sind. Die Hauptursache dafür sind fortgesetzte Versuche der BRD, in den Beziehungen zur DDR, unter Verletzung des Grundlagenvertrages, entscheidende Prinzipien der Souveränität unseres Staates zu mißachten. In diesen Beziehungen kann sich aber nur dann etwas vorwärtsbewegen, wenn ohne jeden Vorbehalt von der Existenz zweier souveräner, voneinander unabhängiger Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung ausgegangen wird. Jegliches Streben nach einer Revision der europäischen Nachkriegsordnung muß die Normalisierung des Verhältnisses zwischen beiden deutschen Staaten belasten, ja in Frage stellen.

Ganz wesentlich ist, daß das Prinzip der Nichteinmischung sowohl im bilateralen Verhältnis als auch in den Beziehungen zu dritten Staaten von beiden Seiten uneingeschränkt akzeptiert und eingehalten wird. Dazu verpflichtet übrigens der Grundlagenvertrag. Die Mißachtung gerade des Prinzips der Nichteinmischung, das ja auch von der BRD in Helsinki unterschrieben wurde, ist mit einer Normalisierung der Beziehungen auf keinen Fall zu vereinbaren.

Weitergehenden Regelungen verschiedener Art, die den Bürgern der BRD und der DDR nützlich wären, werden von seiten der BRD noch immer schwerwiegende Hindernisse entgegengestellt. Wir haben oft auf ihre Beseitigung gedrungen, aber kein Entgegenkommen gefunden. Das gilt vor allem für die Anerkennung der Staatsbürgerschaft der DDR. Da die BRD an völkerrechtswidrigen Konzeptionen festhält und sich weigert, die Staatsbürgerschaft der DDR zu respektieren, wird die Personalhoheit unseres Staates geleugnet. Aber Tatsache ist doch, daß es zwei souveräne, voneinander unabhängige Staaten gibt. Es gibt, und auch das ist Tatsache, Bürger der sozialistischen DDR und Bürger der kapitalistischen BRD.

Wir halten es für notwendig, daß sich die BRD in der Frag der DDR-Staatsbürgerschaft endlich auf die Realitäten besinnt, was ihr auf Dauer ohnehin nicht erspart bleibt. Das würde es auch erleichtern, die dringendsten praktischen Fragen im Reiseverkehr, im Rechtshilfeverkehr und auf verschiedenen anderen Gebieten zu regeln. Überfällig ist die Auflösung der sogenannten „Zentralen Erfassungsstelle" Salzgitter. Schluß gemacht werden muß mit der Ausstellung vorläufiger Reiseausweise der BRD für Bürger der DDR bei deren zeitweiligem Aufenthalt in der BRD, ebenso mit der Ausstellung von BRD-Pässen für Bürger der DDR durch Botschaften der BRD in dritten Staaten. Wir halten auch die Zeit für gekommen, auf diplomatischem Gebiet, so wie es den Beziehungen zwischen zwei souveränen, voneinander unabhängigen Staaten zukommt, Botschafter auszutauschen, das heißt, die Ständigen Vertretungen der DDR und der BRD in das zu verwandeln, was dem Völkerrecht entspricht - in Botschaften. Das wäre ein sichtbarer Schritt zur Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten.

Von großer Bedeutung ist die Lage an der Staatsgrenze DDR-BRD, die zugleich die Trennlinie zwischen den Staaten des Warschauer Vertrages und der NATO darstellt. Die gemeinsame Grenzkommission beider deutscher Staaten hat eine positive Arbeit geleistet, und es kam zu wichtigen Vereinbarungen. Den Interessen des Friedens und der guten Nachbarschaft würde es dienen, möglichst bald eine Regelung des Grenzverlaufs auf der Elbe entsprechend dem internationalen Recht herbeizuführen, die bisher an unannehmbaren Standpunkten der BRD scheitert.

Was das Abkommen über den Transitverkehr zwischen der BRD und Berlin (West) betrifft, so erbringt die DDR große Leistungen, um diesen Verkehr in der einfachsten, schnellsten und günstigsten Weise abzuwickeln. Die Zahlen belegen das.

Allein im Jahr 1979 wurden die Transitwege zwischen der BRD und Berlin (West) in beiden Richtungen von mehr als 6 243 500 Kraftfahrzeugen mit über 19 688 300 Personen benutzt. Aber noch immer gibt es von westlicher Seite Aktivitäten zum Mißbrauch des Transitabkommens, obwohl in diesem Abkommen der Regierung der BRD und dem Senat von Berlin (West) eindeutige Verpflichtungen auferlegt sind. Die DDR tut, was notwendig ist, um den Mißbrauch und die ständigen Verletzungen des Transitabkommens zu unterbinden. Ein entsprechendes Verhalten erwarten wir auch von der anderen Seite.

Für uns bleibt es beim Kurs der friedlichen Koexistenz, zu dem es keine annehmbare Alternative gibt. Die Gestaltung normaler Beziehungen zwischen der DDR und der BRD geht weit über bilaterale Fragen hinaus. Sie ist von wesentlicher Bedeutung für Frieden und Entspannung in Europa. Ungeachtet aller Schwierigkeiten und Probleme halten wir neue, positive Ergebnisse auf dem Wege zur Normalisierung der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD für möglich, wenn die Prinzipien uneingeschränkt respektiert werden, die für die Beziehungen zwischen souveränen Staaten üblich sind.

Fortschritte in den wirtschaftlichen Beziehungen sind auch nach unserer Ansicht gut und richtig. Aber mit der gebotenen Deutlichkeit muß man hinzufügen, daß die Sicherung des Friedens vor allem eine politische Frage ist. Sie zielt auf solche Schritte, die direkt zur Lösung der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit, zum Stopp des Wettrüstens und zur Abrüstung führen. Darin besteht die solideste Untermauerung von Beziehungen zwischen Staaten unterschiedlicher sozialer Ordnung. Gerade für die Friedenssicherung tragen beide deutsche Staaten kein geringes Maß an Verantwortung. Die DDR wird nicht nachlassen, ihren aktiven und konstruktiven Beitrag zu Frieden und Sicherheit in Europa zu leisten.

Quelle: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hg.), Innerdeutsche Beziehungen 1980-1986. Bonn 1986, S. 74-77; Neues Deutschland, 14. Oktober 1980.
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