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Mitschrift des Telefonats von Egon Krenz und Helmut Kohl, 26. Oktober 1989

Mitschrift des Telefonats von Egon Krenz und Helmut Kohl, 26. Oktober 1989

Abschrift

Ton-Aufzeichnung eines Telefonats zwischen Egon Krenz und Helmut Kohl, 26.10.1989, 8.30 - 8.44 Uhr

[1]

Berlin, den 26. Oktober 1989

Gespräch zwischen dem
Generalsekretär des ZK der SED, Genossen Egon K r e n z,
und dem Bundeskanzler der BRD, Herrn Helmut K o h l,
am 26. Oktober 1989, von 8.30 Uhr bis 8.44 Uhr.



Generalsekretär Krenz:
Ja, guten Morgen, Herr Bundeskanzler.

Herr Kohl:
Ja, guten Morgen.

Generalsekretär Krenz:
Hier ist Krenz. Ich freue mich, Sie zu hören zu so früher Stunde.

Herr Kohl:
Das ist unser erstes Gespräch, und ich hoffe, daß diesem Gespräch viele gute Gespräche folgen werden. Das erste, was ich sagen will, Herr Staatsratsvorsitzender, ich wünsche Ihnen für diese wichtige und sehr, sehr schwierige Aufgabe - in etwa kann ich mir vorstellen, was Ihnen alles bevorsteht, was Sie zu tun haben - eine glückliche Hand und Erfolg. In unserem Interesse, im Interesse der Bundesregierung und auch vor allem in meinem Interesse ist nicht, daß sich die Entwicklung in der DDR in einer Weise darstellt, daß eine ruhige, vernünftige Entwicklung unmöglich gemacht wird.

Generalsekretär Krenz:
Herr Bundeskanzler, ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Worte. Sie haben mir ja in Ihrem Telegramm Kraft gewünscht und jetzt eine gute Hand. Beides brauch' ich im Interesse der Menschen in diesem Land. Und ich denke, wenn wir vernünftig miteinander umgehen, dann wird es auch für beide deutschen Staaten gut sein.

Herr Kohl:
Also, mein erster Wunsch ist, um das gleich vorweg zu sagen, daß wir schon regelmäßig miteinander telefonieren, und auf meiner Seite, das hat sich jetzt beim ersten Mal halt anders entwickelt, besteht überhaupt nicht der Wunsch, daß wir das jedes Mal publizieren.

Generalsekretär Krenz:
Aha.

Herr Kohl:
Wenn wir glauben, es sei vernünftig, zum Telefonhörer zu greifen und einfach miteinander reden.

Generalsekretär Krenz:
Das ist eine gute Idee. Da bin ich sehr aufgeschlossen. Miteinander reden ist immer besser, als übereinander reden.

Herr Kohl:
Es ist inzwischen so möglich, daß ich, um einmal ein Beispiel zu nennen, ganz selbstverständlich gleicherweise zum Telefonhörer greife und den Generalsekretär in Moskau anrufe oder umgekehrt. Und das wünsche ich mir auch, daß das zwischen uns in dieser Weise geschieht.

Generalsekretär Krenz:
Also abgemacht, Herr Bundeskanzler. Wenn Sie Probleme haben, würde ich sagen, greifen Sie zum Hörer, wenn ich Probleme habe, greife ich zum Hörer, und wir werden dann sicherlich Wege finden, um das, was wir im Gespräch andeuten, durch unsere Beauftragten näher noch beraten zu lassen.

Herr Kohl:
Also, das ist das Thema Kontakte. Zu dem Punkt, glaube ich, ist es auch ganz nützlich, wenn der Bundesminister Seiters etwa gegen Ende November, zweite Novemberhälfte, einen Termin vereinbart und zu Ihnen kommt.

Generalsekretär Krenz:
Ja, ich wäre einverstanden. Ich nehme an, Herr Bundeskanzler, Sie haben sich informieren können über den Inhalt meiner beiden Reden, die ich gehalten habe. Ich habe von einer Wende gesprochen und meine das ernst.

Herr Kohl:
Auf das Thema will ich gleich noch mal kommen. Ich wollt nur noch zu dem Thema „Kontakt" sagen -.

Generalsekretär Krenz:
Ja.

Herr Kohl:
Also ich wollte sagen, und das sollt man jetzt auch noch gar nicht sagen, sondern soll's sagen, wenn's dann so weit ist und der Termin vereinbart ist, daß Herr Seiters rüberkommt und daß man dann - daß Sie mal mit ihm noch einmal reden können, was ja ein bissel besser ist als am Telefon.

Generalsekretär Krenz:
Unbedingt. Durch meinen Beauftragten wurden ja Vorschläge übermittelt, ich nehme an, Sie sind informiert.

Herr Kohl:
Ja.

Generalsekretär Krenz:
Es wäre also wünschenswert, baldmöglichst dazu die Positionen der Bundesregierung zu erfahren. Und dazu könnten dann auch offizielle Verhandlungen zwischen Bundesminister Seiters und Außenminister Fischer geführt werden, und sicherlich bei der Gelegenheit auch ein Gespräch mit mir.

Herr Kohl:
Für mich ist vor allem wichtig das Letztere.

Generalsekretär Krenz:
Ja.

Herr Kohl:
- er die Gelegenheit hat, Sie zu treffen

Generalsekretär Krenz:
Ja. Es wäre vor allem wünschenswert, Herr Bundeskanzler, möglichst bald auch Ergebnisse zu erreichen, die darauf hinweisen, daß beide Seiten bestrebt sind, die Beziehungen auf eine - ich darf das wohl so sagen - auf eine neue Stufe zu heben.

Herr Kohl:
Ja, ich hab da durchaus Interesse dran. Ich hab mit großem Interesse natürlich Ihre Reden gelesen und ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß jetzt sich viele Hoffnungen an das alles knüpfen. Ich will paar Beispiele nennen, die für uns natürlich, aus unserer Sicht besonders wichtig sind. Das ist das Thema zur Neuregelung der Reisefreiheit. Das ist natürlich ein ganz erheblicher Punkt. Das ist das Thema der in Aussicht genommenen Amnestie für Leute, die wegen illegalen Grenzübertritts zur Republikflucht verurteilt wurden. Das ist das Thema wegen der weiteren Verfolgung von Leuten, die bei Ausschreitungen, bei Demonstrationen festgenommen wurden. Und dann ein ganz, ganz wichtiger Punkt aus unserer Sicht - das werden Sie wohl verstehen - daß von Ihrer Seite die Bereitschaft besteht, eine positive Lösung für die sogenannten Botschaftsflüchtlinge - die Leute brauchen ja dann ihre Urkunden, die Frage von Umzugsgut und vergleichbare Sachen, Zeugnissen.

Wenn man hier, und da sage ich Ihnen ganz offen, mit Ihrem Namen einen großzügigen Schritt verbinden kann - ich sag bewußt auch mit Ihrem Namen - einen großzügigen Schritt verbinden kann, wird es eine ganz erhebliche Wirkung nicht nur hier haben, sondern ich bin sicher, auch in der DDR.


Generalsekretär Krenz:
Hm, hm. Also, was meine Rede betrifft, die Sie genannt haben, Herr Bundeskanzler, so möchte ich sagen, daß ich mit vollem Bewußtsein die Wende angesprochen habe. Wende bedeutet aber jedoch keinen Umbruch, da hoffe ich, stimmen Sie mit mir überein, daß eine sozialistische DDR auch im Interesse der Stabilität in Europa ist.

Herr Kohl:
Also, Herr Generalsekretär, ich kann nur wiederholen, was ich Gorbatschow bei jeder Gelegenheit sage: Wir haben das deutsche Problem, aber das deutsche Problem ist ein wichtiger Teil der europäischen und der Weltprobleme. Und ich will alles tun, und ich hoffe, wir alle wollen das tun, daß jetzt die Abrüstungsverhandlungen in Wien und anderswo ein wesentliches Stück weiterkommen. Wir werden eine vernünftige Entwicklung der Abrüstung und Entspannung nur bekommen, wenn wir regionale Spannungen nicht verstärken, sondern versuchen, zu minimieren. Und in diesem Sinne will ich schon sagen, daß das, was Sie angekündigt haben, von ganz großer Bedeutung ist, und daß wir auch in diesem Sinne - glaube ich - eine vernünftige Lösung finden müssen, wenn Probleme auftreten.

Generalsekretär Krenz:
Ich bin Ihnen für diese Worte sehr dankbar, zumal ich davon ausgehe, daß wir beide Interesse daran haben, daß man alles tun sollte, daß man die gegenseitige Schuldzuweisung sozusagen abbaut, daß man auch nicht gegenseitig sich Ratschläge erteilt, die nicht annehmbar sind.

Durch meinen Beauftragten habe ich ja in dieser Beziehung auf informellem Wege die Haltung der DDR dazu deutlich gemacht, und ich glaube, es ist im Interesse der Menschen und auch der Sicherung des Friedens, alle Möglichkeiten zu finden, das in den gegenseitigen Beziehungen Erreichte nicht nur zu bewahren, sondern zielstrebig auszubauen. Dazu möchte ich meine prinzipielle Bereitschaft, die Bereitschaft auch der Führung, sowohl des Politbüros wie des Staatsrates, bekräftigen, und dabei gehe ich davon aus, was ich auch gestern mit Herrn Mischnik besprochen habe, unbeschadet grundsätzlicher Unterschiede in politischen Grundfragen die Zusammenarbeit auf vielen Gebieten auszubauen und auch auf den Gebieten, Herr Bundeskanzler, die Sie angesprochen haben. Wir haben schon in voller Souveränität unseres Landes die Frage der Reisefreiheit besprochen. Wir werden ein entsprechendes Gesetz ausarbeiten. Ich verhehle nicht, daß es uns nicht ganz leicht fallen wird. Wir gehen aber mit Ernsthaftigkeit und mit Intensität an diese Arbeit und wollen noch, daß vor Weihnachten dieses Gesetz in Kraft tritt. Allerdings hat die neue Regelung für die DDR erhebliche zusätzliche ökonomische Belastungen. Seitens der DDR muß nachgedacht werden, aber vielleicht kann auch seitens der BRD nachgedacht werden, ob nicht zumindest einige praktische Fragen zukünftig so gehandhabt werden, daß die Respektierung der Staatsbürgerschaft der DDR deutlicher wird. Ich formuliere absichtlich „deutlicher wird". Denn wenn wir ein großzügiges Reisegesetz haben, gibt es ein paar praktische Maßnahmen, über die man durchaus nachdenken kann, Herr Bundeskanzler.

Herr Kohl:
Herr Staatsratsvorsitzender! Ich will jetzt in dem Zusammenhang einfach mal wiederholen, was ich damals Ihrem Vorgänger gesagt habe, und das war, glaube ich, eine ganz wichtige Arbeitsgrundlage. Es gibt in unseren Beziehungen eine Reihe von Grundfragen, wo wir aus prinzipiellen Gründen nicht einig sind, und nie einig werden. Wir haben da zwei Möglichkeiten. Das eine, daß wir uns über diese Themen unterhalten und zu keinem Ergebnis kommen, das ist relativ fruchtlos. Oder aber - und das schätze ich sehr viel mehr, und das glaube ich, ist auch der richtige Weg -, daß man eben die gegenseitigen Ansichten respektiert und in allen Feldern, wo man vernünftig zusammenarbeiten kann, die Zusammenarbeit zum Wohle und im Interesse der Menschen sucht. Denn, diese Grundlage muß ja wichtig sein. Es sind ja jetzt, kein Selbstzweck, sondern was für die Menschen zu tun. Und in diesem Sinne glaube ich, ist es jetzt sehr wichtig, daß wir unseren, nach diesem Gespräch jetzt beginnenden Gesprächskontakt intensiv pflegen und aufbauen. Es sind viele Erwartungen und übrigens natürlich nicht nur in Deutschland, sondern auch bei unseren Nachbarn in West und Ost, ob wir fähig sind, eine vernünftige Linie der Zusammenarbeit fortzusetzen. Es gibt ja gute Anfänge.

Generalsekretär Krenz:
Ja, ich bin da vollkommen Ihrer Meinung. Ich habe ja auf dem Zentralkomitee meiner Partei formuliert: „Unsere Hand ist ausgestreckt." Ich habe das gestern wiederholt. Wir sind bereit, das Unsere zu tun, neue Formen, sowohl der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu entwickeln und zu fördern und auch sehr konstruktiv heranzugehen an alle Gebiete der Zusammenarbeit, zum Beispiel für den Umweltschutz, für das Verkehrswesen, für das Post- und Fernmeldewesen bis hin zum Tourismus, und auch die Fragen, die Sie im Zusammenhang mit den Bürgern angesprochen haben, die unser Land auf diese oder jene Weise verlassen haben, werde ich die Justizorgane unseres Landes bitten, auf der Grundlage vorhandener Gesetze und auf der Grundlage neu zu schaffender Regelungen und Gesetze, entsprechende Lösung zu finden. Sie haben völlig Recht, man muß diese Dinge so regeln, daß sie im Interesse der Menschen liegen.

Herr Kohl:
Ja. Also Herr Generalsekretär! Machen wir das so, wie besprochen.

Generalsekretär Krenz:
Ja.

Herr Kohl:
Und wenn irgendwas anliegt, warten wir nicht lange ab und reden miteinander.

Generalsekretär Krenz:
Jawohl. Und ich bitte Sie einfach, daß der Herr Seiters mit meinem Beauftragten Kontakt aufnimmt, um eventuell einen Termin zu vereinbaren, damit dann die Dinge schnell in Gang gesetzt werden können.

Herr Kohl:
Ja.

Generalsekretär Krenz:
Denn der Zeitfaktor spielt ja in der Politik immer eine große Rolle, Herr Bundeskanzler.

Herr Kohl:
Noch eine Schlußbemerkung. Ich denke, wir sollten beide das Gespräch heute öffentlich bestätigen.

Generalsekretär Krenz:
Ja.

Herr Kohl:
Und wir sollten zum zweiten sagen, jetzt nicht Details, da halte ich gar nichts davon, denn da werden nur Erwartungen erweckt und ein Druck erweckt, die uns beiden gar nicht hilft, daß wir die Gespräche fortsetzen, daß wir ankündigen, daß in absehbarer Zeit auch die Beauftragten intensiv die Gespräche fortsetzen. Da würde ich aber keinen Zeitplan öffentlich nennen, sondern nur die allgemeine Ankündigung und daß unser gemeinsames Interesse ist, im Sinne des Dienstes an den Menschen in der DDR und in der BRD, die notwendigen Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Menschen zu helfen. Je mehr Details wir bekannt geben, um so mehr Druck erzeugen wir, weil wir dann jeden Tag gefragt werden, was habt ihr getan.

Generalsekretär Krenz:
Ja. Ich bin Ihnen dankbar dafür, Herr Bundeskanzler. Wir werden eine solche Information auch unseren Presseorganen geben. Auf Details werden wir verzichten. Und ich werde sicherlich hinzufügen, daß der erste Kontakt, den wir miteinander hatten, doch ein recht aufrichtiger war und in einer sehr angenehmen Atmosphäre verlaufen ist.

Herr Kohl:
Ja, sehr einverstanden.

Generalsekretär Krenz:
Ja?

Herr Kohl:
Ja.

Generalsekretär Krenz:
Ich danke Ihnen, Herr Bundeskanzler. Ich wünsche Ihnen auch alles, alles Gute und auch bei den Problemen, die Sie zu bewältigen haben, wie Sie zu Beginn sagten, eine gute Hand, viel Kraft. Ich hoffe, Sie sind in bester Gesundheit.

Herr Kohl:
Ja, Gott sei Dank, ja.

Generalsekretär Krenz:
Und wünsche Ihnen, daß alles, alles gut verläuft. Ich meine, Sie haben ja die Operation überstanden; wenn das alles gut gelaufen ist, gute Kraft weiterhin, Herr Bundeskanzler.

Herr Kohl:
Ja. Danke schön. Wiedersehen.

Generalsekretär Krenz:
Wiedersehen. Alles Gute!

Herr Kohl:
Danke schön!

Quelle: SAPMO-BA, DY 30/IV 2/2.039/324.
[1] Das Dokument trägt auf der ersten Seite den handschriftlichen Rückvermerk von Egon Krenz: „Mitgliedern und Kandidaten des PB. 26.10./Egon Krenz.“
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