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Mündliche Botschaft Michail Gorbatschows an Helmut Kohl, 10. November 1989

Mündliche Botschaft von KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow an Bundeskanzler Helmut Kohl, 10. November 1989

[Erläuterung: Die mündliche Botschaft Michail Gorbatschows übermittelte der sowjetische Botschafter in Bonn, Julij Kwizinskij, am 10. November 1989 während der Kundgebung vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin an Kohls Berater Horst Teltschik (vgl. Kwizinskij 1993, S. 15; Teltschik 1991, S. 19/20 ). Der SED-Führung wurde die schriftliche Ausfertigung dieser Mitteilung von der sowjetischen Botschaft in Ost-Berlin mit Datum vom 13. November 1989 überstellt.]

Abschrift

13.11.1989
4 Ex.

Mündliche Botschaft Michail Gorbatschows an Helmut Kohl



Wie Ihnen natürlich bekannt ist, hat die Führung der DDR einen Beschluß gefaßt, der den Bürgern dieses Landes die Möglichkeit der freien Ausreise über die Grenzen zur BRD und zu Berlin (West) ermöglicht. Es ist verständlich, daß dieser Beschluß der neuen Führung der DDR durchaus nicht leichtgefallen ist. Zugleich bestätigt er aufs neue, daß gegenwärtig in der DDR tiefe und bedeutsame Veränderungen vor sich gehen. Die Führung der Republik handelt zielstrebig und dynamisch im Interesse des Volkes, sie entfaltet einen breiten Dialog mit verschiedenen Gruppen und Schichten der Gesellschaft.

Erklärungen aus der BRD, die vor diesem politischen und psychologischen Hintergrund abgegeben werden, die unter Losungen der Unversöhnlichkeit gegenüber der realen Existenz zweier deutscher Staaten Emotionen und Leidenschaften anheizen sollen, können kein anderes Ziel verfolgen, als die Lage in der DDR zu destabilisieren und die sich dort entwickelnden Prozesse der Demokratisierung und Erneuerung aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zu untergraben.

Wir haben die Mitteilung erhalten, daß heute in Berlin (West) ein Meeting stattfinden wird, an dem offizielle Vertreter aus der BRD und Berlin (West) teilnehmen werden. Zur gleichen Zeit ist auch ein Meeting in der Hauptstadt der DDR geplant.

Bei den gegenwärtig faktisch offenen Grenzen und den gewaltigen Menschenströmen in beiden Richtungen kann eine chaotische Situation mit unübersehbaren Folgen entstehen.

Angesichts der Kürze der Zeit und der zugespitzten Situation habe ich es für notwendig erachtet, Sie im Geiste der Offenheit und des Realismus zu ersuchen, Ihrerseits die notwendigen und äußerst dringlichen Maßnahmen zu treffen, damit eine Komplizierung und Destabilisierung der Situation nicht zugelassen wird.

Quelle: SAPMO-BA, DY 30/IV 2/2.039/319, Bl. 15/16.
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