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Kommuniqué über die Tagung des NATO-Ministerrates in Paris, 15. Dezember 1961

Kommuniqué über die Tagung des NATO-Ministerrates in Paris, 15. Dezember 1961

Abschrift
  1. Der Nordatlantikrat trat vom 13. bis 15. Dezember 1961 in Paris zu einer Ministertagung zusammen. Die Probleme, denen das Bündnis gegenübersteht, wurden einer gründlichen Prüfung unterzogen. Die Minister befaßten sich in erster Linie mit der weltweiten Bedrohung der Freiheit durch den Kommunismus und mit dem Problem der Beziehungen zwischen der nordatlantischen Allianz und dem Sowjetblock, insbesondere mit der Berlin-Frage.

  2. Das Ziel der Völker der atlantischen Gemeinschaft ist eine stabile Ordnung, in der kein einzelner und keine Nation um ihre Existenz, ihre Freiheit oder ihre Zukunft zu fürchten brauchen. Der Weltfrieden kann nicht für unbegrenzte Zeit auf einem labilen Gleichgewicht des Schreckens beruhen.

  3. Die Allianz erstrebt Frieden und Abrüstung. Die Verwirklichung dieses Wunsches ist jedoch durch den Sowjetblock ständig vereitelt worden. Die Westmächte haben eine Reihe von Plänen für eine allgemeine und vollständige Abrüstung vorgelegt. Die Sowjetregierung hat es jedoch bisher abgelehnt, ein wirksames und allgemein anwendbares System der internationalen Kontrolle anzunehmen, ohne das keine Nation Vertrauen in ein Abrüstungsabkommen haben kann. Sie ist nur bereit, eine Kontrolle der zerstörten Waffen ins Auge zu fassen, während sie eine Kontrolle der verbleibenden Waffen ablehnt. Die Allianz hegt nach wie vor die aufrichtige Hoffnung, daß Abrüstungsverhandlungen nach ihrer Wiederaufnahme trotz früherer Enttäuschungen brauchbare Ergebnisse bringen werden.
  4. In der Frage der Einstellung der Kernwaffenversuche hat die Sowjetunion seit über drei Jahren und auf mehr als 300 Sitzungen Argumente und Ausflüchte benutzt, um Obstruktion zu betreiben. Während die Sowjetunion behauptete, in gutem Glauben zu verhandeln, muß sie viele Monate lang heimlich die längste Kernwaffenversuchsserie vorbereitet haben, die bisher durchgeführt wurde und in deren Verlauf die bisher größte Kernwaffenexplosion stattfand.

  5. Zur gleichen Zeit, in der die Sowjetunion versucht, die Völker der freien Welt mit Demonstrationen ihrer nuklearen Macht einzuschüchtern, hat sie ihre Bemühungen verstärkt, ganz Berlin in die Hand zu bekommen, Deutschland einen diskriminierenden Status aufzuzwingen, seine Teilung aufrechtzuerhalten und das atlantische Bündnis zu zerschlagen. In Verfolg dieser Zielsetzung hat die UdSSR künstlich die Berlin-Krise hervorgerufen. Unter Mißachtung der von ihr übernommenen Verpflichtungen hat sie Berlin in zwei Teile geteilt. Die Einmauerung der von der Sowjetunion beherrschten Bevölkerung hat der Welt einmal mehr die wahre Natur des kommunistischen Systems und die unwiderstehliche Anziehungskraft einer freien Gesellschaft vor Augen geführt. Die Minister haben ihr Mitgefühl für all jene erklärt, für die die Errichtung der Mauer in Berlin die Zerreißung ihrer Familien bedeutet und den Fluchtweg in die Freiheit abschneidet. Sie brachten ferner ihre Bewunderung für den Mut und die Freiheitsliebe der Berliner Bevölkerung zum Ausdruck und bekräftigten erneut ihre Überzeugung, daß eine gerechte und friedliche Lösung des Deutschland-Problems einschließlich der Berlin-Frage auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts gefunden werden muß.

  6. Im Geiste der gemeinsamen Politik des Bündnisses bestätigten die Minister erneut ihr Kommunique vom 16. Dezember 1958 und bekräftigten ihre Entschlossenheit, die Freiheit West-Berlins zu schützen und zu verteidigen und seiner Bevölkerung die Bedingungen für ein Leben in Freiheit und Wohlstand zu sichern.

  7. Wohlbegründete Rechte und Verpflichtungen, die in internationalen Abkommen feierlich bestätigt worden sind, können nicht einseitig mit einem Federstrich beseitigt werden - durch die Unterzeichnung eines "Friedensvertrages" zwischen der Sowjetregierung und einem Regime, das niemand anderen als seine sowjetischen Herren vertritt. Die drei Westmächte, die eine besondere Verantwortung für Berlin tragen, stehen weiter zu ihrer eindeutigen Verpflichtung, jene zu schützen, die ihr Vertrauen in sie gesetzt haben. In enger Zusammenarbeit mit ihren NATO-Verbündeten haben sie die notwendigen Maßnahmen getroffen, um ihre Rechte aufrechtzuerhalten und ihren Verpflichtungen nachzukommen. In Bestätigung ihrer einmütigen Politik in dieser Frage bekräftigen die Mitglieder der Allianz die Verantwortung, die jeder Mitgliedstaat für die Sicherheit und das Wohlergehen Berlins sowie für die Aufrechterhaltung der Position der drei Westmächte in dieser Stadt übernommen hat. Sie vereinbarten, ihre enge Konsultation in dieser Frage fortzuführen.

  8. Der Rat nahm von den Außenministern der am unmittelbarsten betroffenen Staaten Erklärungen über Berlin entgegen und wurde vorn der Absicht in Kenntnis gesetzt, erneut diplomatische Kontakte mit der Sowjetunion aufzunehmen in Übereinstimmung mit den Zielen, die der Westen zur Erhaltung des Weltfriedens verfolgt, und in der Hoffnung, daß diese Kontakte dazu dienen möchten, festzustellen, ob eine Verhandlungsgrundlage gefunden werden könnte. Ihre Kollegen billigten die Wiederaufnahme diplomatischer Kontakte und gaben der Hoffnung auf eine ausgehandelte Lösung Ausdruck. Nach eingehender Erörterung der Lage stellte der Rat übereinstimmend fest, daß die Allianz ihren entschlossenen Kurs weiterverfolgen und dabei Stärke und Zielstrebigkeit mit der Bereitschaft verbinden muß, Lösungen auf friedlichem Wege zu erreichen.

  9. Die Minister nahmen die von den Mitgliedstaaten vorgenommene Erhöhung ihrer militärischen Beiträge zur Kenntnis. Sie ist vor allem eine Folge der verstärkten militärischen Bedrohung, die sich aus der Verschlechterung der Lage in Berlin ergibt. Militärische Einheiten sind verstärkt, ihre Kampfbereitschaft ist erhöht worden. Eine bewegliche Eingreiftruppe wurde aufgestellt. In den Gemeinschaftsprogrammen für Verteidigungsforschung und -produktion sowie bei den Nachrichtenmitteln und in der Infrastruktur wurden Fortschritte erzielt. Die Minister nahmen ferner Kenntnis von den Fortschritten, die der Rat bei der Untersuchung der langfristigen Probleme gemacht hat, die bei den Bemühungen um die Verbesserung der Abschreckungs- und Verteidigungskraft des Bündnisses entstehen. Sie wiesen den Ständigen Rat an, die Prüfung dieser dringenden Fragen in naher Zukunft fortzusetzen.

  10. Das NATO-Bündnis bedroht niemanden. Im Hinblick auf die ständig wachsende militärische Kraft des kommunistischen Blocks und in Anbetracht seiner erklärten Absicht, seinen Herrschaftsbereich auszudehnen, muß das Bündnis jedoch in der heutigen Welt mehr denn je auf seine Verteidigung achten. Solange der kommunistische Block nicht bereit ist, einer echten Abrüstung zuzustimmen, müssen die Staaten des Bündnisses ihre Streitkräfte weiter verstärken und die Ausrüstung modernisieren, um jeder Form eines Angriffs begegnen zu können. Nur durch erhöhte Verteidigungsbereitschaft kann die Allianz weiterhin einen kommunistischen Angreifer abschrecken. Dies erfordert noch größere Hingabe und Anstrengungen der NATO-Staaten. Die eindeutige, ständig wachsende Bedrohung, der sie gegenüberstehen, läßt keine andere Wahl.

  11. Bei der Prüfung der zivilen Notstandsplanung, insbesondere des Schutzes der Zivilbevölkerung, war sich der Rat darüber klar, daß diese Maßnahmen einen wesentlichen Faktor der Verteidigungsanstrengungen der NATO-Staaten darstellen.

  12. Auf wirtschaftlichem Gebiet nahm der Rat zur Kenntnis, daß gemäß einem auf der letzten Ministertagung gefaßten Beschluß eine Gruppe hochgestellter Persönlichkeiten gebildet worden ist, die Mittel und Wege untersuchen soll, um die Bemühungen Griechenlands und der Türkei zur Beschleunigung ihrer Entwicklungsprogramme und zur Erhöhung ihres Lebensstandards zu unterstützen. Die Gruppe wird dem Rat bis Ende April 1962 Bericht erstatten.

  13. Die Minister betonten, wie wichtig es für die Mitgliedstaaten ist, nicht nur den Lebensstandard ihrer Völker zu heben und gleichzeitig eine Wirtschaftsstruktur beizubehalten, die als Grundlage für ein angemessenes Verteidigungssystem dienen kann, sondern auch die Hilfe für die Entwicklungsländer zu verstärken. Die Volkswirtschaften der NATO-Staaten sind jetzt weit stärker als bei der Gründung des Bündnisses. Die Minister unterstrichen die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit zwischen allen Mitgliedstaaten zu verstärken und zu vertiefen, damit dieser Fortschritt anhält.

  14. Die nächste Ministertagung des Rats findet vom 3. bis 5. Mai 1962 in Athen statt.


Quelle: Dokumente zur Deutschlandpolitik, IV. Reihe/Band 7, zweiter Halbband, 2. Oktober - 31. Dezember 1961, hg. v. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Frankfurt/Main 1976, S. 1169-1171.
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