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Aus einer Tagebuchaufzeichnung von Heinrich Krone, Bundesminister für besondere Aufgaben, 30./31. Dezember 1961

Aus einer Tagebuchaufzeichnung von Heinrich Krone, Bundesminister für besondere Aufgaben, 30./31. Dezember 1961

Abschrift

Einige Feststellungen am Jahres-Ende

In Berlin sind die Menschen nicht mehr so erregt wie die Wochen und Monate vorher. Sie sind aber besorgt, sehr besorgt. Sie stellen die Frage, wann sie gehen sollten. Die Zahl derer, die Berlin verlassen, wächst. Es sind nicht die kleinen Leute. Das Pendel kann wieder zur anderen Seite ausschlagen, wenn kommende Verhandlungen die Gewähr für Stabilität und Gesichertheit in Berlin bieten. Doch kommt es dazu? Man glaubt es nicht; man ist nicht mehr des Glaubens, daß die Amerikaner es schaffen.

Der 13. August ist in der Bevölkerung der Tag der großen Ernüchterung und Enttäuschung. Bis dahin glaubte und traute man den Amerikanern blindlings.

Wir müssen vom Bund aus alles für Berlin tun, was dieser Stadt moralisch, kulturell und wirtschaftlich Hilfe und Stütze ist. Doch - ich befürchte - wir können Berlin nicht vor der Auszehrung bewahren. Berlin vergreist. Erst wenn die deutsche Frage gelöst ist, wenn wir wieder ein ganzes Volk sind, ist auch die Berlin-Frage gelöst. Doch wann? Wir sind weit von dieser glücklichen Stunde entfernt.

Der 13. August ist ein Schicksalstag des deutschen Volkes. Wie ein Blitzstrahl das Dunkel erleuchtet, daß es taghell vor uns liegt, so hat dieser August-Tag das Dunkel der Stunde erhellt und uns für alle sichtbar den Blick in die deutsche Zukunft ermöglicht. An der Mauer entlang ist Deutschland getrennt, verläuft die Grenze des kommunistischen Ostens gegen die freie Welt. Und - was wir immer nicht glauben wollten - die amerikanische Politik nimmt diese Grenze zur Kenntnis. Was später einmal ist, daß die Westmächte uns in Verträgen versprochen haben, daß sie nicht rasten würden, bis Deutschland wieder ein Volk und Land ist, das alles hat im Augenblick keine aktive Bedeutung. Wir wissen jetzt alle, wo heute die Grenze verläuft, bis zu der sich die Amerikaner engagieren. Dieser Rückzug auf diese Linie hat viel an Vertrauen erschüttert. In Berlin. Für Westberlin kann es zu einem Kriege kommen. Die Amerikaner wären bereit, wenn wir bereit sind. Doch wer kann im Letzten den Krieg riskieren?

Es kommt um Berlin zu keinem Krieg. Dessen bin ich sicher. Entweder bleibt es bei dem, was ist, oder es kommt zu Verhandlungen mit neuen Vereinbarungen. Dann müssen wir mit einem neuen Status für Berlin rechnen, der den politischen Zusammenhang Berlins mit der Bundesrepublik stark abschwächte und uns hoffentlich dafür einen echten freien Zugang von uns nach Berlin brächte.

Der Kanzler rechnet mit Verhandlungen und mit einem neuen Status-Vertrag. Das wäre ein Erfolg der Sowjetpolitik, der Weltkommunismus hätte wiederum seine Macht ein Stück weiter in den Westen hinein verschoben. Die Konsequenzen für Berlin und die Berliner lägen auf der Hand.

Traurige Weihnachten in der Zone. Briefe, die ich bekam, legen dafür erschütterndes Zeugnis ab. Das freie Deutschland muß sich zu einer viel stärkeren und kraftvolleren Haltung aufraffen. Wir müssen aufhören zu schlafen. Wir verfetten in unserem Wohlstand, und drüben hungern die Deutschen an Leib und Seele. Wir müssen Fanal sein, das in die Zone leuchtet. Die Stunde kommt, wo wir wieder eins werden. Bonn, sein gesamtdeutsches Ministerium, die Kirchen, die Schulen, die Volksverbände sind gerufen. Doch, sagen wir es offen, der deutsche Westen ist in Gefahr, seinen Teil für das Ganze zu halten. Erst wenn wir im Westen versagen, hört Deutschland an der Mauer auf; erst wenn wir im Westen versagen, sind die Deutschen hinter der Mauer verloren.

Krieg? Ich glaube nicht, daß es zum Krieg kommt; es sei denn, daß einer die Nerven verliert. Man will auf beiden Seiten keinen Krieg, und die Chinesen sind noch nicht so weit. Es bleibt bei dem geteilten Deutschland. Noch lange. Der Westen findet sich mit dem geteilten Deutschland ab. Wir müssen ihn daran erinnern, daß es in den mit ihm abgeschlossenen Verträgen anders lautet. Sie steigen aus den Verträgen auch nicht aus; doch es ist keine Kraft in dem Wort Wiedervereinigung, Selbstbestimmungsrecht. Man sucht Koexistenz auf dem Boden des Status quo. Wir müssen der Welt immer wieder sagen, daß der Weltkommunismus keine Koexistenz kennt.

Quelle: Adenauer-Studien III, S. 165 f., dok. in: Dokumente zur Deutschlandpolitik, IV. Reihe/Band 7, zweiter Halbband, 2. Oktober - 31. Dezember 1961, hg. v. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Frankfurt/Main 1976, S. 1222/1223.
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