Material > Dokumente > 1961 > August > Bericht der nach West-Berlin geflohenen VP-Unterwachtmeister Rudolf K. und Reinhard R. über ihren Einsatz am 13. August 1961 und danach, 25. August 1961

Bericht der nach West-Berlin geflohenen VP-Unterwachtmeister Rudolf K. und Reinhard R. über ihren Einsatz am 13. August 1961 und danach, 25. August 1961

Bericht der nach West-Berlin geflohenen VP-Unterwachtmeister Rudolf K. und Reinhard R. über ihren Einsatz am 13. August 1961 und danach, 25. August 1961

Abschrift

Der Polizeipräsident in Berlin
S 1g
Berlin, den 26.8.1961
App. 2933

Betr.: Aussagen der ehem. VP-Uwm. K., Rudolf, 1943 geb., und R., Reinhard, 1943 geb., beide letzte Dienststelle: 3. Kp., I. Abt. Niederschönhausen, Brigade Berlin, am 25.8.1961.
  1. Einsatz anläßlich der Grenzsperrmaßnahmen ab 13.8.1961

    Die Abt. wurde vorzeitig aus dem Sommerlager Groß-Schönebeck (etwa 25 km nördlich Berlin in der Schorfheide) am 11.8.1961 in die Unterkunft Niederschönhausen ohne Angaben von Gründen zurückverlegt. Die Ausbildung im Sommerlager, die sich im wesentlichen auf Geländeausbildung, Schießen und Übungen mit SPW (Schützenpanzerwagen) bezog, war bis zum 15.8.1961 vorgesehen.

    Bei der Rückkehr in die Unterkunft wurden Stacheldrahtrollen und Betonpfähle auf dem Hof festgestellt; sie sollen am 10.8.1961 aus Fürstenberg nach Niederschönhausen gebracht worden sein.

    Sofort nach Rückkehr in die Unterkunft wurde - ebenfalls ohne Angabe von Gründen Ausgangssperre verhängt. In den Abendstunden des 12.8.1961 wurden Stacheldraht und Betonpfähle auf Lkw (Bezeichnungen: H 3 A und S 4001) verladen und MG-Munition gegurtet. Es wurde befohlen, daß niemand unangezogen schlafen gehen dürfe. Fragen nach dem Grund der Ausgangssperre sowie des Verladens des Stacheldrahtes und der Betonpfähle wurden von Vorgesetzten ausweichend beantwortet („es ist notwendig").

    Am 13.8.1961, zwischen 01.00 und 01.30 Uhr, wurde alarmiert. Es wurde feldmarschmäßiges Ausrücken angeordnet. Etwa gegen 02.00 Uhr war Abmarsch in Richtung Sektorgrenze (gegenüber PI Wd [Polizeiinspektion Wedding, d. Hg.]). Stacheldraht und Betonpfähle wurden mitgeführt. Die 3. Kp. wurde in der Turnhalle des Jahnsportparkes untergebracht. Die Abschnittsgrenzen der 3. Kp. konnten von den Überläufern nicht angegeben werden.

    Der Überläufer K. war bis 13.8.1961, 11 Uhr, als sMG-Schütze (Schütze 1) auf einem SPW in der Eberswalder Str., etwa 100 m von der Sektorgrenze entfernt, eingeteilt. R. wurde an verschiedenen Stellen gegenüber PI Wd zum Ausheben von Löchern, Setzen von Betonpfählen und Anbringen von Stacheldraht eingesetzt.

    Beide Überläufer wurden anschließend zum Postendienst an der Sektorgrenze eingeteilt. K. mußte von 11.00 – 18.00 Uhr Postendienst ohne Ablösung an der Sektorgrenze versehen. Einsatzorte waren Swinemünder Str., Ruppiner Str. und Strelitzer Str. Bis zum 15.8.1961, 20.00 Uhr, war die 3. Kp. in der Turnhalle des Jahnsportparkes untergebracht. Am 15.8.1961, 20.00 Uhr, wurde die Kp. aus dem Sektorgrenzdienst bis zum 16.8.1961, 8.00 Uhr, herausgelöst und befand sich in der Unterkunft Niederschönhausen. Ausgangssperre blieb verhängt.

    Der Sektorgrenzdienst ab 16.8.1961 wird wie folgt durchgeführt:
    4 Std. Postendienst, anschließend
    4 Std. Bereitschaft, anschließend
    4 Std. Freizeit, die wegen bestehender Alarmstufe illusorisch ist.

    Als besondere Weisung für den Einsatz an der Sektorgrenze wurde Schießbefehl auf Flüchtlinge gegeben. Der frühere Befehl, nicht in Richtung Berlin (West) zu schießen, ist nicht erneuert worden. Er ist nur denjenigen bekannt, die den aufgelösten vier Bereitschaften angehörten. Zusammen mit der 3. Kp. wurden Angehörige der SED-Kampftruppe des Verlages „Neues Deutschland" eingesetzt.

    Nach der Flucht des VP-Ow. Schumann am 15.8.1961 wurde vom Kp.-Chef und den Zugführern geäußert, daß er von der „Stupo hinübergezogen" wurde. Der Überläufer R. trat dieser Meinung offen und entschieden entgegen, weil er zusammen mit Sch. Dienst zur Fluchtzeit versah und weiß, daß Sch. aus eigenem Entschluß geflüchtet ist.

    Die Stimmung bei der 3. Kp. bezeichneten beide Überläufer als schlecht. Niemand könne jedoch etwas sagen, „weil es doch keinen Zweck habe". Ebenfalls wurde die Verpflegung als schlecht bezeichnet; am 13.8.1961 hätte es erst abends und nur kalte Verpflegung gegeben.

    Beide Überläufer äußerten im Laufe der Unterhaltung, daß Nachrichtensendungen von Berlin (West) an der Sektorgrenze zweckmäßig seien, damit die Vopo über die wahre Situation informiert würden. „Man zweifele drüben an der Aufrichtigkeit der Nachrichtensendungen des Ostens."

  2. Angaben zur I. Abt. Niederschönhausen und 3. Kp.
    1. Die I. Abt. ist eine der 4 Abteilungen der „Mot.Brigade Berlin". Sie gliedert sich in folgende 5 Kompanien:
      1. Kp. – Schützen-Kp.
      2. Kp. – Schützen-Kp.
      3. Kp. – SPW (Schützenpanzerwagen)-Kp.
      4. Kp. – schwere Kp. mit Granatwerfern (Kal. 4,5cm) und sMG in unbekannter Anzahl
      5. Kp. – Stabs-Kp. mit Transportzug, Pionierzug und Kommandantenzug.

      (Der Kommandantenzug ist Verkehrsregelungszug. Die Angehörigen dieses Zuges tragen eine rote Armbinde mit einem schwarzen „R" auf weißem Kreis.)

    2. Die 3. Kp. gliedert sich in 3 Züge á 3 Gruppen. Stärke der Kp. ca. 125 Mann.
  3. Beide Überläufer besaßen keine „Dienstbücher", sondern „Dienstausweise", die während der Probedienstzeit Gültigkeit haben. Die Dienststelle war aus den Ausweisen nicht ersichtlich.
(Namenskürzel)

Quelle: Polizeihistorische Sammlung des Polizeipräsidenten in Berlin. - Anonymisierung durch die Herausgeber.
Zum Seitenanfang