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Bericht des VP-Wachtmeisters Burghardt A. über seine Flucht nach West-Berlin am 28. August 1961, 6. September 1961

Bericht des VP-Wachtmeisters Burghardt A. über seine Flucht nach West-Berlin am 28. August 1961, 6. September 1961

Abschrift

Der Polizeipräsident in Berlin
I 4 – K I 1 - Berlin-Tempelhof, den 6. Sept. 1961

Betr.: Angaben des ehem. VP-Wachtmeisters Burghardt A., 1943 in Berlin geboren, bei der 1. Mot.Brigade Berlin-Basdorf/5.Abt./1.Komp. seit 3.7.61 eingesetzt, geflüchtet am 28.8.61 in Treptow.



Zur Zeit wohnhaft Berlin-Buckow-West, bei Ruth K.

Burghardt A. wurde hier bei seiner kriminalpolizeilichen Überprüfung informatorisch zu seinen Fluchtgründen befragt und er erklärte, daß er seine Einheit bzw. den Sowjetsektor verlassen hat, weil sich seine politische Einstellung nicht mit der in der SBZ gültigen Politik deckt. A. führte aus, daß ein großer Teil seiner Kameraden die gleiche Einstellung hat wie er, daß diese aber aus verschiedenen Gründen, d.h. familiären und anderen Gründen wie Angst, den Schritt nach Berlin (West) scheuen.

Beim Politunterricht, der sich zur heutigen Zeit über 4 Stunden am Tag erstreckt, werden die Angehörigen der 1. Mot.Bereitschaft dahingehend unterrichtet, daß sie von Westberlin aus – sollten sie sich zu dem Schritt entschlossen haben zu flüchten – wieder an die Organe der "DDR" ausgeliefert werden. Außerdem müssen die Geflüchteten sogenannte Spionagezentren durchlaufen, wo sie, wie ihnen vorgehalten wurde, "fertig gemacht werden". Sollte dies alles überstanden sein, schaltet sich noch in der Bundesrepublik der Fremdenlegionwerbedienst ein. Diese Hinweise in den politischen Schulungen bewirken, daß der größte Teil der Uniformierten es vorzieht, bei ihrem Truppenteil zu bleiben, den sie als das kleinere Übel ansehen. Bestärkt werden sie von einem kleinen Teil der Kameraden, die politisch fest gebunden sind, d.h. der SED angehören oder engsten Kontakt mit der FDJ haben.

Der Obengenannte ist gebürtiger Berliner und kennt die Lebensweise in Berlin (West) dadurch genauer, weil er hier eine verheiratete Schwester hat und diese öfter besuchen konnte. A. versuchte, auch Kameraden von seiner Einstellung und seiner Kenntnis über Berlin (West) zu überzeugen, was ihm nach seiner Meinung auch teilweise gelungen ist. Die Tatsache, daß nur er alleine von seiner Kompanie geflüchtet ist, begründet er damit, daß laufend die Kompanien und in den Kompanien wieder die Kompanie-Angehörigen ausgewechselt werden, sodaß sie sich immer untereinander fremd bleiben. Dies ist ein Unsicherheitsfaktor des einzelnen Uniformierten und er hat deshalb keinen Mut, sich seinem nächsten Kameraden voll und ganz zu offenbaren.

Der Einsatz zum 13.8.1961 erfolgte um 01.00 Uhr. Um 01.30 Uhr befand sich die 1. Komp. der 5. Abteilung Mot.Brigade Berlin am Brandenburger Tor und bildete dort eine sogenannte Reserve. Am Abend des gleichen Tages war die 1. Kompanie in der Bernauer Straße zur Absperrung. Anschließend ging es zum Potsdamer Platz, gleichfalls zur Absperrung. Die Kompanie hatte den Auftrag, Ost- und Westberliner von der Grenze "zurückzujagen", und zwar mit Bajonetten. Bis 25.8. behielt die Kompanie den Abschnitt Potsdamer Platz, wo sie zu verschiedenen Tätigkeiten im Grenzdienst, wie Absperrung, Ausweiskontrolle und dergleichen herangezogen wurde. Vom 26.8. bekam die Kompanie einen Abschnitt in Treptow zugewiesen. Bei der Verdrahtung der Straßen kam es dann zu kleinen Zwischenfällen zwischen der Westberliner Bevölkerung und der Kompanie. Westberliner spuckten und warfen mit Steinen und traten mit Füßen auf die Hände der Bereitschaftspolizisten, als sie den Draht zogen. Die Bereitschaftspolizei setzte sich durch Abwerfen von Nebelkerzen zur Wehr. Diese Abwehr wurde vorher schon in einem Befehl als gerechtfertigt herausgestellt. Später wurden dann auch Wasserwerfer eingesetzt, die dann auch Ruhe an der Grenze brachten.

Ein Schießbefehl auf Zivilisten, ganz gleich, ob aus Ost oder West, ist bis zum 28.8.61, dem Tag der Flucht des A., nicht ausgegeben worden. Es bestand jedoch ein Schießbefehl auf Uniformierte des Sowjetsektors. Es sollte erst ein Anruf und dann ein Warnschuß erfolgen. Sollte der Warnschuß keinen Erfolg zeigen, sollte ein Zielschuß angewendet werden. In keinem Fall war es erlaubt, in den Westsektor zu schießen. Dieser Befehl galt nach Angaben des A. für die sogenannten "Grünen", d. h. ehem. Bereitschaftspolizei, jetzige 1. Mot.Brigade Berlin. Es wäre außerdem noch zu bemerken, daß die Grenzstreifenposten ein leeres Magazin in der Waffe trugen und nur im Ernstfall scharfe Munition laden durften. Dem Informanten ist weiter bekannt, daß für die Kampftruppeneinheiten ein anderer Schießbefehl bestand, und zwar der, daß die Waffen dieser Personen immer geladen sind. Angehörige der 1. Mot.Bereitschaft glaubten, daß die Kampftruppen dazu eingesetzt waren, sie zu bewachen, was die Kampfgruppenangehörigen in Diskussionen jedoch abgestritten haben.

Eine besondere "sportliche Leistung" glaubten die Angehörigen der 1. Mot.Bereitschaft darin zu sehen, wenn man einen Westberliner Polizisten in den Sowjetsektor hinüberziehen könnte, und zwar dann, wenn er dicht an den Grenzpfählen seinen Dienst versieht, dies hätte dann eine Beförderung nach sich gezogen.

Die Moral innerhalb der 1. Mot.Bereitschaft ist nicht als sehr hoch zu bewerten, es herrscht angeblich keine Einsatzfreudigkeit, da sich der Dienst über 8 Stunden im Straßendienst erstreckt.

A. erklärte weiter, daß von den Einheitsführern in den Appellen mitgeteilt wird, daß schon wieder ein Angehöriger der 1. Mot.Bereitschaft von "Zivilisten und Stummpolizisten" in den Westsektor hinübergezogen worden ist.

Der Informant erklärte, daß er keinen Weg sieht, seine zurückgebliebenen Kameraden, die heute noch an der Lauterkeit der Bundesrepublik zweifeln, auf irgendeine Weise ansprechen zu können, daß sie den Weg nach Berlin (West) dem Dienst in den bewaffneten Organen der SBZ vorziehen.

Fiebke, KM.

Quelle: Polizeihistorische Sammlung des Polizeipräsidenten in Berlin. - Anonymisierung durch die Herausgeber.
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