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Stellungnahme von Bundeskanzler Helmut Kohl: Verpflichtung zur solidarischen Hilfe für die Menschen in der DDR, 31. Januar 1990

Stellungnahme von Bundeskanzler Helmut Kohl: Verpflichtung zur solidarischen Hilfe für die Menschen in der DDR, 31. Januar 1990

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bulletin Nr. 19, 2.2.1990



Verpflichtung zur solidarischen Hilfe für die Menschen in der DDR


Stellungnahme des Bundeskanzlers vor dem Bundeskabinett zur deutschlandpolitischen Situation

    Der Sprecher der Bundesregierung, Bundesminister Hans Klein, teilte am 31. Januar 1990 mit:
Als „ermutigend" bezeichnete Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl in der Sitzung des Bundeskabinetts am 31. Januar 1990 die Erklärung von Generalsekretär Michail Gorbatschow zur deutschen Einheit. Sie trage den historischen Entwicklungen der letzten Monate innerhalb der DDR und in den innerdeutschen Beziehungen Rechnung. Dabei hob der Bundeskanzler hervor, daß diese Entwicklungen ohne Gorbatschows Reformpolitik der Umgestaltung und der Öffnung nicht in Gang gekommen wären. „Jetzt kommt es darauf an", so der Bundeskanzler wörtlich in seiner umfassenden Stellungnahme zur deutschlandpolitischen Situation, die vom Kabinett ausdrücklich mit Zustimmung zur Kenntnis genommen wurde, „zusammen mit allen unseren Nachbarn in West und Ost vertrauensvoll auf eine konstruktive Lösung der deutschen Frage hinzuarbeiten, die die berechtigten Sicherheitsinteressen aller einbezieht."

In diesem Zusammenhang beurteilte der Bundeskanzler die am Runden Tisch getroffene Entscheidung, die Volkskammerwahlen auf den 18. März vorzuziehen, als „Chance, die Situation in der DDR zu stabilisieren". Dieses Urteil fuße freilich auf einer Güterabwägung. Denn natürlich müsse man auch die Probleme sehen, die mit dem frühen Wahltermin insbesondere für die neuen und die kleineren Oppositionsgruppen verbunden seien. „Ich habe großes Verständnis für die Sorgen dieser Gruppen, daß die Zeit bis zur Wahl für inhaltliche Darstellung und politische Auseinandersetzung sehr knapp wird."

„In der DDR gibt es", erklärte der Bundeskanzler, „einen dramatischen Verfall des Vertrauens. Diesen Vertrauensverlust hat die SED mit ihrer jahrzehntelangen Politik der Unterdrückung und Mißwirtschaft zu verantworten. Nur durch eine rasche und grundlegende Erneuerung von Staat und Wirtschaft kann eine Besserung der Lage erreicht werden. Deshalb ist es jetzt richtig, die Zeitspanne bis zu den ersten freien Wahlen in der DDR abzukürzen.

Wir hoffen, daß ein möglichst baldiger demokratischer Neuanfang einen Stimmungsumschwung bewirken und zu der dringend notwendigen Stabilisierung der Verhältnisse in der DDR beitragen wird.

Wir hoffen auch, daß die Menschen, die jetzt noch an eine Abwanderung denken, danach neuen Mut zu einer Zukunft in ihrer Heimat fassen.

Ein früher Wahltermin gibt den Menschen in der DDR eine konkrete und absehbare Perspektive. Ein frei gewähltes Parlament ist die Voraussetzung für eine Zukunft in Freiheit und Demokratie und insbesondere für eine demokratisch legitimierte und handlungsfähige Regierung.

Beides wird in der DDR dringend für die Bewältigung der schwierigen Aufgaben benötigt: eine wirkliche Volksvertretung und eine Regierung, die vom Willen des Volkes getragen wird.

Damit wird auch die entscheidende Voraussetzung geschaffen für eine umfassende Hilfe und intensive Zusammenarbeit. Jeder Bürger in der DDR soll wissen, daß wir ihn nicht allein lassen, sondern in enger Solidarität beim Aufbau und bei der Modernisierung mitarbeiten werden.

Auch wenn wir in der Bundesrepublik selbst noch viele Aufgaben zu lösen haben, so werden wir uns unserer nationalen Verpflichtung nicht entziehen.

Dabei wird es darauf ankommen, daß wir eng und verständnisvoll zusammenwirken. Schließlich haben die Deutschen hüben wie drüben auf Grund ihres unterschiedlichen Schicksals und ihrer jeweiligen historischen Erfahrung einander vieles zu geben.
Wir wollen, daß alle Menschen in der DDR ihre Lebenschance in ihrer angestammten Heimat finden. Die Umsiedlung muß der letzte Ausweg bleiben. Arbeit und Wohnung stehen auch in der Bundesrepublik nur begrenzt zur Verfügung.''

Ministerpräsident Hans Modrow, dessen bemerkenswerte Moskauer Aussage über „Deutschland, einig Vaterland" vom Bundeskanzler zitiert wurde, habe in seiner jüngsten Regierungserklärung ein düsteres Bild von der politischen und wirtschaftlichen Lage in der DDR gezeichnet. Es liege deshalb auch in unserem Interesse, daß sich die Situation in der DDR schnell verbessere.

Deshalb komme es jetzt entscheidend darauf an, daß der Prozeß der Demokratisierung und der wirtschaftlichen Reformen keine Rückschläge erleide, sondern entschlossen und kraftvoll vorangetrieben werde.

Auch in der Zeit bis zu den vorgezogenen Wahlen am 18. März werde die Bundesregierung alles tun, was jetzt möglich ist. Der Bundeskanzler wörtlich:

„Wir werden die Sachgespräche mit den Verantwortlichen in der DDR weiterführen, und es wird bei dem für den 13. und 14. Februar vorgesehenen Besuch von Ministerpräsident Modrow in Bonn bleiben, bei dem die Opposition beteiligt sein wird. Wir werden dabei auch über weitere konkrete Hilfsmaßnahmen sprechen.

Wer nicht will, daß unsere Landsleute in der DDR in wachsender Zahl hierher übersiedeln, der muß bereits jetzt aktiv dazu beitragen, daß ihnen eine schnelle und überzeugende Perspektive für ihre politische und wirtschaftliche Zukunft gegeben wird.

Bei allen praktischen Maßnahmen zur Unterstützung der DDR darf es jetzt keine Pause geben. Humanitäre Soforthilfe, vor allem im Bereich der medizinischen Versorgung, und Hilfen bei der Verbesserung der zerrütteten Infrastruktur sind Probleme, die unabhängig von Wahlterminen bestehen und gelöst werden müssen."

Koordinierung der Aktivitäten von Bund und Ländern in der Zusammenarbeit mit der DDR



Der Sprecher der Bundesregierung, Bundesminister Hans Klein, teilte am 30. Januar 1990 mit:

Der Chef des Bundeskanzleramtes, Bundesminister Rudolf Seiters, hat am 30. Januar 1990 den Chefs der Staats- und Senatskanzleien über den Stand der Gespräche und Verhandlungen mit der DDR berichtet, dabei auch über seine jüngsten Gespräche mit Ministerpräsident Modrow in Ost-Berlin und die Vorbereitung des für den 13. und 14. Februar vorgesehenen Treffens zwischen dem Bundeskanzler und dem DDR-Ministerpräsidenten.

Der Chef des Bundeskanzleramtes hat in diesem Zusammenhang den Ländern eine umfassende Unterrichtung über alle anstehenden Fragen zugesichert und eine enge Zusammenarbeit angeboten.

In der Sitzung haben das Bundesministerium für Wirtschaft, das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, das Bundesministerium für Verkehr, das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und das Bundesministerium für innerdeutsch Beziehungen eingehend über den Stand aus ihren Sachbereichen informiert, sowie die Länder über ihre Aktivitäten im Hinblick auf die DDR.

Beide Seiten waren sich einig in der Notwendigkeit, die einzelnen Aktivitäten eng miteinander zu koordinieren. Es wurde vereinbart, daß die Chefs der Staats- und Senatskanzleien in kurzen regelmäßigen Abständen vom Chef des Bundeskanzleramtes eingeladen werden.

Der nächste Termin ist für den 2. März angesetzt worden. Zuvor wird Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl mit den Regierungschefs der Länder - auch zur Thematik DDR - am 15. Februar 1990 zusammentreffen.

Quelle: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 19, 2.2.1990.
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