Todesopfer > Kroboth, Siegfried

Todesopfer

Zurück zur Übersicht
Den Opfern der Mauer: Fenster des Gedenkens der Gedenkstätte Berliner Mauer; Aufnahme 2010

Siegfried Kroboth

geboren am 23. April 1968
ertrunken am 14. Mai 1973


in der Spree nahe der Brommybrücke
an der Sektorengrenze zwischen Berlin-Kreuzberg und Berlin-Friedrichshain
Am Vormittag des 14. Mai 1973 spielt der Junge mit einem Freund am Kreuzberger Ufer nahe der im Krieg zerstörten Brommybrücke. Sie haben sich zur Kaimauer vorgewagt. Plötzlich rutscht der Fünfjährige aus und fällt ins Wasser. Sein Freund ruft sofort um Hilfe, ein 12-jähriges Mädchen rennt zu einem 200 Meter entfernten Feuermelder und löst um 11.55 Uhr Alarm aus.Siegfried Kroboth, geboren am 23. April 1968 in West-Berlin, lebt mit seinen Eltern und einem 13-jährigen Bruder im West-Berliner Stadtteil Kreuzberg. Die Familie ist Jahre zuvor aus dem Ostteil der Stadt in den Westen geflüchtet.

Am Vormittag des 14. Mai 1973 spielt der Junge mit einem Freund am Kreuzberger Ufer nahe der im Krieg zerstörten Brommybrücke. Sie haben sich zur Kaimauer vorgewagt. Plötzlich rutscht der Fünfjährige aus und fällt ins Wasser. [1] Sein Freund ruft sofort um Hilfe, ein 12-jähriges Mädchen rennt zu einem 200 Meter entfernten Feuermelder und löst um 11.55 Uhr Alarm aus. Wenige Minuten später trifft der erste Funkwagen der West-Berliner Polizei an der Unglücksstelle ein. Siegfried Kroboth hält sich noch auf dem Wasser und versucht, die Luft anzuhalten, indem er sich eine Hand auf den Mund hält. Doch dann verlassen ihn die Kräfte; kurz vor der Schillingbrücke geht er unter. [2] Vielleicht hätte noch eine Chance bestanden, das Kind zu retten. [3] Doch die Polizisten sind nicht befugt, einzugreifen, da die Spree an diesem Grenzabschnitt in voller Breite zu Ost-Berlin gehört. Um 12.07 Uhr erreicht ein Wasserrettungsfahrzeug der West-Berliner Feuerwehr den Unglücksort. Die Taucher sind startklar, aber nicht ermächtigt, ins Wasser zu gehen. Tatenlos müssen sie am Gröbenufer verharren. [4]

Das Unglück ist offenbar auch von der Besatzung eines DDR-Grenzbootes bemerkt worden. Als das Boot sich der Unglücksstelle nähert, ruft die West-Berliner Funkwagenstreife den Grenzsoldaten zu, wo der Junge ins Wasser gefallen ist und wie sie ihn möglicherweise bergen könnten. Doch die Grenzer reagieren nicht. Unter Tränen muss die inzwischen herbeigeeilte Mutter mit ansehen, wie sich die Bergung ihres Sohnes immer weiter verzögert.

Erst als es dem Einsatzleiter der West-Berliner Feuerwehr gelingt, an der Oberbaumbrücke einen DDR-Grenzoffizier zu informieren, schicken die DDR-Grenztruppen ein weiteres Boot zur Unglücksstelle, diesmal mit Tauchern an Bord. Es ist 12.45 Uhr, als der erste Taucher ins Wasser geht, eine halbe Stunde später ein zweiter. Gegen 14.00 erscheint ein weiteres Boot der DDR-Grenztruppen, das einen dritten Taucher absetzt. Die West-Berliner Feuerwehr bietet wieder ihre Unterstützung an, und wieder gibt es keine Antwort. Den Grenzern ist jegliche Kontaktaufnahme mit der Westseite verboten, sie orientieren sich bei der Suche zwar nach den Hinweisen, die vom Westufer kommen, zeigen aber sonst keine Reaktion. „Das DDR-Boot richtete sich bei Bergungsversuchen nach den Angaben der West-Berliner Polizei, ohne daß jedoch von der Besatzung eine Antwort erfolgte." [5] Eine seltsame Hilflosigkeit: Der Einsatzleiter der West-Berliner Feuerwehr spricht die in seiner Nähe agierenden DDR-Taucher über Megaphon an, ihm wenigstens ein Zeichen zu geben, dass sie ihn hören können: keine Reaktion. Vier Stunden nach dem Unglücksfall, gegen 15.50 Uhr, bergen DDR-Taucher den Leichnam des fünfjährigen Jungen, der nun nach Ost-Berlin abtransportiert wird.

Der Tod des kleinen Jungen führt kurz vor Inkrafttreten des deutsch-deutschen Grundlagenvertrags am 21. Juni 1973 zu einer Belastung der innerdeutschen Beziehungen, zumal es der zweite Vorfall dieser Art innerhalb eines halben Jahres ist. In West-Berlin werden Forderungen nach verbindlichen Vereinbarungen mit der DDR-Regierung laut, um bei künftigen Unglücksfällen schneller und unkomplizierter Erste Hilfe leisten zu können. Auch das Berliner Abgeordnetenhaus debattiert drei Tage nach dem Unglück die Ereignisse. „Es kann doch nicht sein, daß in diesem Rest des 20. Jahrhunderts an dieser Stelle derartiges passiert, was nun wirklich zum Himmel schreit, weil man nicht rechtzeitig zueinander kam, um das Mindeste abzusprechen", erregt sich ein Abgeordneter. [6] Der damalige West-Berliner Innensenator Kurt Neubauer hebt hervor, dass der Senat bereits "unmittelbar nach dem ersten Ereignis dieser Art die Vorbereitungen und vorbereitenden Gespräche" mit den Westalliierten aufgenommen und, nachdem diese grünes Licht gegeben hätten, den Kontakt zur DDR-Regierung hergestellt hätte. [7] In langwierigen Gesprächen mit den in diesen Fragen nach wie vor zuständigen Alliierten und Verhandlungen mit der Ost-Berliner Seite versuchen West-Berliner Politiker eine Lösung zu finden. Seitens der DDR hätte man am liebsten eine zweite Mauer am anderen Spreeufer. Dagegen steht die Auffassung der Alliierten: „Die Mauer ist ja keine Grenze für uns und Berlin-West." [8]

Acht Tage nach dem Tod des Fünfjährigen treffen die Beauftragten des West-Berliner Senats und der DDR-Regierung, Gerhard Kunze und Joachim Mitdank, im Rathaus Schöneberg zu einem ersten Vorgespräch über Möglichkeiten zur schnellen Hilfe bei Unglücksfällen an der Berliner Sektorengrenze zusammen. [9] Es dauert noch einmal gut zwei Wochen, bis am 6. Juni 1973 der West-Berliner Senatsrat Heinz Annußek von der Senatsinnenverwaltung und der Abteilungsleiter im Ost-Berliner Außenministerium, Joachim Mitdank, offizielle Gespräche aufnehmen. [10] Doch noch zweieinhalb Jahre vergehen, bis es zu einer Regelung kommt, und erst im Frühjahr 1976 werden auf einer Gesamtlänge von gut sechs Kilometern Wassergrenze in West-Berlin Rettungssäulen installiert, deren Rundumlicht auch von den Grenzwachtürmen aus sichtbar ist. Am frühen Morgen des 16. Mai 1973 wird den Eltern von Siegfried Kroboth der Leichnam ihres Sohnes am Grenzübergang Oberbaumbrücke von DDR-Grenzposten übergeben. [11] Es ist bereits der zweite schwere Schicksalsschlag für die Eltern von Siegfried Kroboth. Auf den Tag genau fünf Jahre zuvor war ihre damals 21-jährige Tochter in Ost-Berlin ermordet und auf der gegenüber liegenden Seite in die Spree geworfen worden. [12]

Text: Udo Baron

[1] Vgl. Rapport der West-Berliner Polizei Nr. 134/74, 15.5.1973, in: PHS, Bestand Grenzvorkommnisse. [2] Vgl. Der Tagesspiegel, 15.51973. [3] Vgl. Bild-Zeitung, 15.5.1973. [4] Vgl. BZ, 15.5.1973. [5] Vgl. Der Tagesspiegel, 15.5.1973. [6] Redebeitrag von Dr. Haus (SPD), in: Plenarprotokolle des Abgeordnetenhauses von Berlin, 6. Wahlperiode, 50. Sitzung vom 17. Mai 1973, S. 1829. [7] Redebeitrag von Innensenator Kurt Neubauer (SPD), in: Plenarprotokolle des Abgeordnetenhauses von Berlin, 6. Wahlperiode, 50. Sitzung vom 17. Mai 1973, S. 1829. [8] So der damalige US-Verbindungsoffizier beim Senat, zit. nach: Der Spiegel Nr. 28, 8.7.1974, S. 49. [9] Vgl. DPA, 25.5.1973. [10] Vgl. Berliner Morgenpost, 13.5.1975. [11] Vgl. Fernschreiben der PdVP Berlin, 15.5.1973, in: BStU, MfS, HA IX Nr. 4875, Bl. 4-5. [12] Vgl. ebd.
Zum Seitenanfang