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Christian Buttkus: geboren am 21. Februar 1944, erschossen am 4. März 1965 bei einem Fluchtversuch an der Berliner Mauer
Christian Buttkus, erschossen an der Berliner Mauer: Während der Flucht im Stacheldraht verlorener Handschuh, MfS-Foto, 4. März 1965

Christian Buttkus

geboren am 21. Februar 1944 erschossen am 4. März 1965

nahe dem Stahnsdorfer Damm/Teerofendamm
am Außenring zwischen Kleinmachnow (Kreis Potsdam Land) und Berlin-Zehlendorf

Buttkus, Christian

E nde Februar 1965 erhält Christian Buttkus seinen Einberufungsbefehl zur Nationalen Volksarmee. Ihm wird mitgeteilt, dass er am 1. Mai 1965 im mecklenburgischen Eggesin beim Bataillon Chemische Abwehr zu erscheinen hat. [39] Für Christian Buttkus steht schon seit einiger Zeit fest, dass er nicht in der NVA dienen will. Er sieht die DDR nicht als sein Vaterland an und möchte somit auch nicht den Fahneneid leisten, den jeder Einberufene bei seiner Vereidigung ablegen muss. Da die Einberufung früher erfolgt als von ihm erwartet, beschließen Christian Buttkus und seine Verlobte Ilse P., die eigentlich erst für den Sommer geplante Flucht nach West-Berlin vorzuziehen. [40]

Christian Buttkus, dessen Verwandte und Freunde in West-Berlin wohnen, trägt sich spätestens seit der Grenzschließung am 13. August 1961 mit Fluchtgedanken. Seine Verlobte gibt später bei einer Vernehmung durch das MfS zu Protokoll, dass er die Grenzschließung abgelehnt habe, da er seine persönliche Freiheit eingeschränkt sah. [41] In West-Berlin möchte sich Christian Buttkus beruflich weiterentwickeln und ein Chemie-Ingenieurstudium aufnehmen, um sich zusammen mit seiner Verlobten eine neue Existenz aufzubauen.

Erste Fluchterfahrungen muss Christian Buttkus, am 21. Februar 1944 in Tilsit geboren, bereits in frühen Kindheitsjahren machen. Seine Geburtsstadt wird in den Kriegsjahren stark bombardiert und im Herbst 1944 zur Frontstadt erklärt: Es kommt zur Evakuierung von großen Teilen der Tilsiter Bevölkerung. Ende Januar 1945 wird die Stadt von sowjetischen Truppen eingenommen und nach dem Potsdamer Abkommen der Sowjetunion zugesprochen. Bis 1947 muss die noch anwesende deutsche Bevölkerung die Stadt verlassen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt flieht auch die Familie Buttkus aus Tilsit. In Berlin-Niederschönhausen finden sie ein neues Zuhause bei der Unternehmerfamilie Schoening. [42] Im Jahr 1950 stirbt der Vater. Als jüngeres von zwei Kindern wächst Christian Buttkus bei seiner Mutter Ruth auf; die Ehe seiner Eltern war bereits 1945 geschieden worden. [43] Nachdem er 1960 die Mittelschule abgeschlossen hat, beginnt er noch im selben Jahr eine Ausbildung zum Chemiefacharbeiter im VEB Chemie-Berlin in Berlin-Adlershof. In diesem Betrieb findet er auch nach der Lehrzeit eine Beschäftigung. Im April 1964 verloben sich Christian Buttkus und Ilse P.; gemeinsam planen sie ihre Flucht nach West-Berlin. [44]
Christian Buttkus, erschossen an der Berliner Mauer: MfS-Foto von den selbst gebauten Tauchgeräten für die geplante Flucht durch den Teltowkanal, 4. März 1965
Christian Buttkus, erschossen an der Berliner Mauer: MfS-Foto von den selbst angefertigten Taucheranzügen für die geplante Flucht durch den Teltowkanal, 4. März 1965
Im August 1964 beginnt Christian Buttkus mit dem Bau von Tauchgeräten. Der ursprüngliche Plan des Paares sieht vor, im Sommer 1965 die DDR über den Teltowkanal in Kleinmachnow zu verlassen. Um die Fluchtstrecke unter Wasser möglichst schnell zu bewältigen, baut der Chemiefacharbeiter ein Unterwasserfahrzeug. Heimlich erproben die beiden jungen Leute die Geräte in der heimischen Waschküche und in anliegenden Gewässern, wobei sich das Fahrzeug jedoch als unbrauchbar erweist. Auch die notwendigen Taucheranzüge, die in der DDR nicht käuflich zu erwerben sind, stellt das Paar selber her. Noch am 1. März 1965 bringt Christian Buttkus die geklebten Tauchhosen zum Vulkanisieren in ein Geschäft in Prenzlauer Berg, [45] entscheidet sich dann aber doch gegen das Vorhaben, die DDR über den Wasserweg zu verlassen. Als Christian Buttkus am 3. März 1965 den Wetterbericht hört, betrachtet er das vorhergesagte Schneetreiben und den starken Wind als Chance, unbemerkt über den Landweg nach West-Berlin zu gelangen. Am frühen Abend entschließt sich das Paar, noch in derselben Nacht die Grenze bei Kleinmachnow zu überwinden. In Kleinmachnow ist Ilse P. aufgewachsen: Dort kennt sie sich gut aus. Mit einer Aktentasche, in der sich Geld, Dokumente, zwei Drahtzangen und zwei weiße Kittel zur Tarnung befinden, fährt das Paar gegen 22.30 Uhr zunächst mit der S-Bahn, dann mit dem Bus in Richtung Kleinmachnow. An der Haltestelle Schleusenkrug steigen sie aus. Sie überqueren den Teerofendamm und den Stahnsdorfer Damm, wo sie das Geld und die Dokumente an sich nehmen, die weißen Kittel überziehen und die Aktentasche im Schnee vergraben. Wie vom Wetterdienst vorhergesagt, ist es eine kalte Nacht mit starkem Schneefall. Durch das in unmittelbarer Grenznähe gelegene Waldgebiet nähern sich Christian Buttkus und Ilse P. den Grenzanlagen.
Christian Buttkus, erschossen an der Berliner Mauer: MfS-Foto vom Fluchtort bei Kleinmachnow an der Sektorengrenze zwischen dem Landkreis Potsdam und Berlin-Zehlendorf, 4. März 1965
Auch hier läuft zunächst alles nach Plan. Sie überqueren den sogenannten Kraftfahrzeugsperrgraben. Es ist 1.15 Uhr, als sie ein dort installiertes akustisches Signalgerät auslösen. Nun muss alles sehr schnell gehen. Im Laufschritt rennt das Paar über eine zehn Meter breite abgeholzte Fläche, den Postenweg und den Kontrollstreifen. Jetzt müssen die beiden nur noch den dreireihigen Stacheldrahtzaun überwinden. Doch durch das ausgelöste Signal sind mittlerweile ein Postenpaar, das im Grenzunterabschnitt »Dreibirken-Durchschub« am Stahnsdorfer Damm in der Nähe der Transitautobahn seit 22.00 Uhr Dienst verrichtet, sowie eine in der Nähe befindliche Kontrollstreife auf sie aufmerksam geworden. Das Postenpaar gibt Warnschüsse ab, die Grenzsoldaten der Kontrollstreife schießen gezielt auf die Flüchtlinge. [46] Noch bevor es dem Flüchtlingspaar gelingt, mit Hilfe der Drahtscheren den Zaun zu überwinden, wird Christian Buttkus von 25 Schüssen auf der rechten Brustseite getroffen. Er stirbt unmittelbar an den dabei erlittenen inneren Verletzungen. [47]

Christian Buttkus, erschossen an der Berliner Mauer: Von der Stasi aufbewahrtes Projektil, mit dem er erschossen wurde, 4. März 1965
Eine der insgesamt 199 abgegebenen Kugeln trifft Ilse P. als Streifschuss am linken Unterschenkel. Die verletzte junge Frau wird kurz darauf zur Grenzkompanie gefahren. Den Leichnam von Christian Buttkus tragen die Grenzsoldaten zunächst zurück in den Kraftfahrzeugsperrgraben. [48] So versuchen die Posten zu verhindern, dass das Geschehene von West-Berlin aus bemerkt werden kann. Erst Stunden später wird auch der Tote zum Kompaniestandort transportiert, von wo aus er anschließend zur Obduktion ins Gerichts­medizinische Institut der Charité nach Berlin gebracht wird.

Während die beteiligten Grenzsoldaten ausgezeichnet und einige befördert werden, [49] wird Ilse P. nach ihrem Aufenthalt im Haftkrankenhaus und anschließender Untersuchungshaft im Potsdamer Stasi-Gefängnis am 1. Juni 1965 vom Bezirksgericht Potsdam wegen Verstoßes gegen Paragraph 8 des Passgesetzes zu einem Jahr und acht Monaten Gefängnis verurteilt. [50] Erst während der Verhandlung erfährt sie, dass ihr Verlobter ums Leben gekommen ist. Die anschließende Haft ist für Ilse P. unerträglich. Dies ist offensichtlich sogar für das Bezirksgericht nachvollziehbar, so dass es dem Antrag der Bezirksanwaltschaft stattgibt und die verbleibende Haftstrafe am 11. November 1965 zur Bewährung aussetzt. [51]

Der Mutter von Christian Buttkus wird vier Tage nach dem gescheiterten Fluchtversuch durch das MfS mitgeteilt, »daß ihr Sohn an den Folgen von Verletzungen bei einem selbstverschuldeten Grenzdurchbruch am 4. März 1965 an der Staatsgrenze verstorben ist«. [52] Ihr wird nahegelegt, vom Tod ihres Sohnes nur als Unglücksfall zu berichten und über die tatsächlichen Umstände Stillschweigen zu bewahren. Die Einäscherung des Leichnams von Christian Buttkus erfolgt bereits am 10. März 1965 im Krematorium Baumschulenweg. Ob dem von der Mutter ge­äußerten Wunsch, die Urne auf dem Friedhof in Berlin-Pankow beizusetzen, nachgekommen worden ist, geht aus den Akten nicht eindeutig hervor. [53] Auch wenn das MfS versucht, die Todesumstände geheim zu halten, so spricht es sich sowohl im Wohngebiet der Mutter als auch am ehemaligen Arbeitsplatz von Christian Buttkus schnell herum, dass er an der Grenze erschossen worden ist. [54] Ruth Buttkus erkrankt nach dem Tod ihres Sohnes psychisch: »In ihrem letzten Lebensjahr war sie fest davon überzeugt, dass Christian seine Flucht überlebt hatte und von der Staatssicherheit verschleppt worden war. Sie starb 1967 an den Folgen eines operativen Eingriffs.« [55]

In West-Berlin wird der Tod von Christian Buttkus erst durch seine dort lebenden Verwandten bekannt. Sie unterrichten im Juli 1965 den »Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen«, um so vielleicht mehr über die wahren Todesumstände zu erfahren. [56]

Die Grenzsoldaten, die auf Christian Buttkus geschossen haben, können jedoch erst in den 1990er Jahren ermittelt werden. Das Landgericht Potsdam verurteilt den ehemaligen Kontrollposten und Todesschützen am 22. Dezember 1994 wegen Totschlags in Tateinheit mit versuchtem Totschlag zu einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung. [57]

In Kleinmachnow erinnert seit 1999 ein Gedenkstein an die Opfer der Teilung Deutschlands. Alljährlich finden hier Gedenkveranstaltungen statt. Ein am Rande der Berlepschstraße in Berlin-Zehlendorf aufgestelltes Holzkreuz zum Gedenken an Christian Buttkus wurde 1999 entfernt und ist seitdem unauffindbar.

Text: Lydia Dollmann

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