geboren am 27. Oktober 1939
erschossen am 13. Dezember 1963
am Teltowkanal nahe der Wredebrücke in Berlin-Johannisthal
an der Sektorengrenze zwischen Berlin-Treptow und Berlin-Neukölln
Berger, Dieter
Tatsächlich spricht bei genauer Betrachtung wenig dafür, dass es sich um einen Fluchtversuch handelt: nicht die Lebenslage des jungen Familienvaters und auch nicht der Ablauf der Ereignisse, die am Nachmittag des 13. Dezember 1963 zum Tod von Dieter Berger führen.
Von Beruf Maurer, arbeitet Dieter Berger damals in Adlershof auf einer Baustelle der Ost-Berliner Akademie der Wissenschaften, deren technisch-naturwissenschaftliche Institute an diesem Standort im Südosten der Stadt angesiedelt sind. Er ist seit gut einem Jahr verheiratet und Vater einer kleinen Tochter. Geboren ist Dieter Berger am 27. Oktober 1939 im schlesischen Polkau. Seinen leiblichen Vater lernt er nicht kennen; er stirbt als Soldat im Zweiten Weltkrieg. Mit seinem jüngeren Halbbruder wächst er bei Mutter und Stiefvater auf. Seit 1947 ist seine Familie – nach Kriegsende aus Schlesien in die sowjetische Besatzungszone gelangt – in Glienicke, einem nördlichen Vorort von Berlin, ansässig. Dort besucht er von 1947 bis 1955 die Schule und absolviert anschließend eine Maurerlehre in einem staatlichen Betrieb in Ost-Berlin. [27]
1962 heiratet er die fünf Jahre jüngere Gerda, die ebenfalls als Kind mit ihren Eltern aus Schlesien nach Glienicke gekommen ist. Sie beziehen ein kleines Haus mit Garten ganz in der Nähe ihrer Eltern und Schwiegereltern, zu denen sie ein gutes Verhältnis haben. Um Politik, so sagt seine Witwe im Rückblick, habe sich ihr motorradbegeisterter Mann nicht gekümmert. Flucht sei zwischen ihnen nie ein Thema gewesen. Auch habe er ihres Wissens keinen Grund gehabt, seine Familie zu verlassen. [28] Ebenso wenig wie seine Frau glauben die Eltern von Dieter Berger an einen Fluchtversuch. So heißt es in einem Brief, den seine Mutter damals an Verwandte in der Bundesrepublik geschrieben hat: „Dieter hatte weder Absicht noch Grund uns zu verlassen, also er soll angetrunken gewesen sein u. (hat) daher sicher die Orientierung verloren […]." [29]
Nachforschungen, die MfS-Mitarbeiter nach seinem Tod anstellen, bestätigen dieses Bild. Demnach wird Dieter Berger vom örtlichen Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei „als Bürger eingeschätzt, der unserer Ordnung nicht ablehnend gegenüber steht. Negative Hinweise, außer dass er in seinem Haus sehr laut Westschlager hört, sind nicht bekannt." Stets sei er freundlich und zuvorkommend aufgetreten und habe allem Anschein nach eine harmonische Ehe geführt. [30]
Der 13. Dezember 1963 ist ein Freitag. Am Morgen fährt Dieter Berger wie gewohnt zur Arbeit nach Berlin-Adlershof. In der Mittagspause soll er sich den Stasi-Akten zufolge mit einem Kollegen betrunken und im Verlauf des Nachmittags die Baustelle verlassen haben. [31] Anschließend muss er zu Fuß in den angrenzenden Ortsteil Johannisthal gelaufen sein. Dort wird er gegen 15.00 Uhr von einem Postenpaar dabei beobachtet, wie er sich den Grenzanlagen am Ufer des Teltowkanals nähert. [32]
Die beiden Grenzsoldaten befinden sich in einem Laufgraben innerhalb des Sperrstreifens. Sie gehen davon aus, es mit einem Flüchtling zu tun zu haben. Trotz ihrer Aufforderung, stehen zu bleiben, habe der Mann versucht, den Zaun hochzuklettern und sie dabei beschimpft. Sein Verhalten habe sie verunsichert, wird einer von ihnen später vor Gericht sagen. [33] Auf ihre Warnschüsse hin klettert Dieter Berger vom Zaun herunter und hebt, wie sie es verlangen, die Hände. Unterdessen sind auf der gegenüberliegenden Kanalseite Arbeiter und Angestellte des West-Berliner Eternit-Werkes auf das Geschehen aufmerksam geworden. Auch sie gehen davon aus, dass es sich um einen Fluchtversuch handelt, der soeben mit einer Festnahme endet. Dann beobachten sie, wie sich der vermeintliche Flüchtling ein Stück von den Grenzanlagen weg bewegt und von den beiden Grenzern niedergeschossen wird. [34] Berichte der DDR-Grenztruppen stellen das anders dar. Demnach begehen die West-Berliner Augenzeugen eine „Provokation", indem sie die Grenzer beschimpfen. Dies habe der „Grenzverletzer" ausnutzen wollen, um ins Hinterland zu entkommen. [35] In der West-Berliner Presse wiederum wird anderntags erklärt: „Wie gedungene Meuchelmörder streckten Angehörige der kommunistischen Grenzpolizei gestern kurz nach 15.30 Uhr an der Sektorengrenze in Johannisthal einen Flüchtling nieder, den sie mit erhobenen Händen vor sich hergetrieben hatten." [36]
Dieter Berger erliegt seinen Verletzungen noch auf dem Weg ins Volkspolizei-Krankenhaus. Da er keine Papiere bei sich trägt, dauert es mehrere Tage, bis die DDR-Behörden seine Identität ermittelt haben. [37]
Am 16. Dezember muss seine Ehefrau die Leiche im Gerichtsmedizinischen Institut der Charité identifizieren. Im Anschluss daran wird die Obduktion veranlasst. [38] Dabei gelangen die Ost-Berliner Gerichtsmediziner zu dem Ergebnis, dass Dieter Berger durch einen Treffer in den Oberschenkel stürzte und bereits am Boden lag, als ihn der tödliche Schuss getroffen hat. Auch heben sie hervor, dass Dieter Berger stark alkoholisiert war, und formulieren deshalb im Obduktionsbericht die Einschätzung, „dass der Betroffene zum Zeitpunkt des Todeseintritts nicht mehr in der Lage gewesen ist, das Gesellschaftsgefährliche seiner Handlungen einzusehen bzw. gemäß dieser Einsicht zu handeln. Er ist als zurechnungsunfähig zu bezeichnen." [39]
Text: Christine Brecht
Von Beruf Maurer, arbeitet Dieter Berger damals in Adlershof auf einer Baustelle der Ost-Berliner Akademie der Wissenschaften, deren technisch-naturwissenschaftliche Institute an diesem Standort im Südosten der Stadt angesiedelt sind. Er ist seit gut einem Jahr verheiratet und Vater einer kleinen Tochter. Geboren ist Dieter Berger am 27. Oktober 1939 im schlesischen Polkau. Seinen leiblichen Vater lernt er nicht kennen; er stirbt als Soldat im Zweiten Weltkrieg. Mit seinem jüngeren Halbbruder wächst er bei Mutter und Stiefvater auf. Seit 1947 ist seine Familie – nach Kriegsende aus Schlesien in die sowjetische Besatzungszone gelangt – in Glienicke, einem nördlichen Vorort von Berlin, ansässig. Dort besucht er von 1947 bis 1955 die Schule und absolviert anschließend eine Maurerlehre in einem staatlichen Betrieb in Ost-Berlin. [27]
1962 heiratet er die fünf Jahre jüngere Gerda, die ebenfalls als Kind mit ihren Eltern aus Schlesien nach Glienicke gekommen ist. Sie beziehen ein kleines Haus mit Garten ganz in der Nähe ihrer Eltern und Schwiegereltern, zu denen sie ein gutes Verhältnis haben. Um Politik, so sagt seine Witwe im Rückblick, habe sich ihr motorradbegeisterter Mann nicht gekümmert. Flucht sei zwischen ihnen nie ein Thema gewesen. Auch habe er ihres Wissens keinen Grund gehabt, seine Familie zu verlassen. [28] Ebenso wenig wie seine Frau glauben die Eltern von Dieter Berger an einen Fluchtversuch. So heißt es in einem Brief, den seine Mutter damals an Verwandte in der Bundesrepublik geschrieben hat: „Dieter hatte weder Absicht noch Grund uns zu verlassen, also er soll angetrunken gewesen sein u. (hat) daher sicher die Orientierung verloren […]." [29]
Nachforschungen, die MfS-Mitarbeiter nach seinem Tod anstellen, bestätigen dieses Bild. Demnach wird Dieter Berger vom örtlichen Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei „als Bürger eingeschätzt, der unserer Ordnung nicht ablehnend gegenüber steht. Negative Hinweise, außer dass er in seinem Haus sehr laut Westschlager hört, sind nicht bekannt." Stets sei er freundlich und zuvorkommend aufgetreten und habe allem Anschein nach eine harmonische Ehe geführt. [30]
Der 13. Dezember 1963 ist ein Freitag. Am Morgen fährt Dieter Berger wie gewohnt zur Arbeit nach Berlin-Adlershof. In der Mittagspause soll er sich den Stasi-Akten zufolge mit einem Kollegen betrunken und im Verlauf des Nachmittags die Baustelle verlassen haben. [31] Anschließend muss er zu Fuß in den angrenzenden Ortsteil Johannisthal gelaufen sein. Dort wird er gegen 15.00 Uhr von einem Postenpaar dabei beobachtet, wie er sich den Grenzanlagen am Ufer des Teltowkanals nähert. [32]
Die beiden Grenzsoldaten befinden sich in einem Laufgraben innerhalb des Sperrstreifens. Sie gehen davon aus, es mit einem Flüchtling zu tun zu haben. Trotz ihrer Aufforderung, stehen zu bleiben, habe der Mann versucht, den Zaun hochzuklettern und sie dabei beschimpft. Sein Verhalten habe sie verunsichert, wird einer von ihnen später vor Gericht sagen. [33] Auf ihre Warnschüsse hin klettert Dieter Berger vom Zaun herunter und hebt, wie sie es verlangen, die Hände. Unterdessen sind auf der gegenüberliegenden Kanalseite Arbeiter und Angestellte des West-Berliner Eternit-Werkes auf das Geschehen aufmerksam geworden. Auch sie gehen davon aus, dass es sich um einen Fluchtversuch handelt, der soeben mit einer Festnahme endet. Dann beobachten sie, wie sich der vermeintliche Flüchtling ein Stück von den Grenzanlagen weg bewegt und von den beiden Grenzern niedergeschossen wird. [34] Berichte der DDR-Grenztruppen stellen das anders dar. Demnach begehen die West-Berliner Augenzeugen eine „Provokation", indem sie die Grenzer beschimpfen. Dies habe der „Grenzverletzer" ausnutzen wollen, um ins Hinterland zu entkommen. [35] In der West-Berliner Presse wiederum wird anderntags erklärt: „Wie gedungene Meuchelmörder streckten Angehörige der kommunistischen Grenzpolizei gestern kurz nach 15.30 Uhr an der Sektorengrenze in Johannisthal einen Flüchtling nieder, den sie mit erhobenen Händen vor sich hergetrieben hatten." [36]
Dieter Berger erliegt seinen Verletzungen noch auf dem Weg ins Volkspolizei-Krankenhaus. Da er keine Papiere bei sich trägt, dauert es mehrere Tage, bis die DDR-Behörden seine Identität ermittelt haben. [37]
Am 16. Dezember muss seine Ehefrau die Leiche im Gerichtsmedizinischen Institut der Charité identifizieren. Im Anschluss daran wird die Obduktion veranlasst. [38] Dabei gelangen die Ost-Berliner Gerichtsmediziner zu dem Ergebnis, dass Dieter Berger durch einen Treffer in den Oberschenkel stürzte und bereits am Boden lag, als ihn der tödliche Schuss getroffen hat. Auch heben sie hervor, dass Dieter Berger stark alkoholisiert war, und formulieren deshalb im Obduktionsbericht die Einschätzung, „dass der Betroffene zum Zeitpunkt des Todeseintritts nicht mehr in der Lage gewesen ist, das Gesellschaftsgefährliche seiner Handlungen einzusehen bzw. gemäß dieser Einsicht zu handeln. Er ist als zurechnungsunfähig zu bezeichnen." [39]
Text: Christine Brecht