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Todesopfer

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Den Opfern der Mauer: Gedenkstein an der Bernauer Straße

Dietmar Schulz

geboren am 21. Oktober 1939
tödlich verunglückt am 25. November 1963


auf S-Bahngleisen nördlich des Bahnhofs Bornholmer Straße
an der Sektorengrenze zwischen Berlin-Prenzlauer Berg und Berlin-Wedding
Am Abend des 25. November 1963 finden DDR-Grenzsoldaten auf dem S-Bahngelände nördlich des Bahnhofs Bornholmer Straße einen schwer verletzten jungen Mann. Es ist der 24-jährige Dietmar Schulz, der nicht weit entfernt im Ost-Berliner Bezirk Pankow wohnt.Am Abend des 25. November 1963 finden DDR-Grenzsoldaten auf dem S-Bahngelände nördlich des Bahnhofs Bornholmer Straße einen schwer verletzten jungen Mann. Es ist der 24-jährige Dietmar Schulz, der nicht weit entfernt im Ost-Berliner Bezirk Pankow wohnt. Bei seinem Versuch, über die Gleisanlagen in den angrenzenden West-Berliner Stadtteil Wedding zu gelangen, ist er von einem fahrenden Zug erfasst worden. Bewusstlos und blutüberströmt wird er in das Krankenhaus der Volkspolizei gebracht, wo er kurze Zeit später seinen Verletzungen erliegt. [1]

Dietmar Schulz, der am 21. Oktober 1939 geboren ist, soll sich schon länger mit Fluchtgedanken getragen haben. Einem jungen Westdeutschen, mit dem er im April 1963 in einer Ost-Berliner Kneipe ins Gespräch kommt, vertraut er an, dass er das SED-Regime ablehnt und sich irgendwann in den Westen absetzen will. Auch seine Verlobte ahnt, dass er aus der DDR flüchten will. Sie glaubt, die Angst, zur Nationalen Volksarmee eingezogen zu werden, sei sein Motiv gewesen. [2] Als Dietmar Schulz am 25. November 1963 gegen 19.00 Uhr die gemeinsame Wohnung verlässt, scheint jedoch nichts darauf hinzudeuten, dass er sein Vorhaben an diesem Abend in die Tat umsetzen will.

Von seiner Wohnung in der Pankower Gaillardstraße sind es nur wenige Minuten bis zur Sektorengrenze, die zwischen den Bahnhöfen Bornholmer Straße und Wollankstraße unmittelbar an den S-Bahngleisen verläuft. Der Bahnhof Bornholmer Straße ist seit dem Mauerbau stillgelegt. Während West-Berliner S-Bahnzüge den „Geisterbahnhof" weiterhin passieren, verkehrt die Ost-Berliner Nord-Süd-Linie direkt daneben auf einer neu gebauten zweigleisigen Strecke. Die Gleisanlagen befinden sich in diesem Streckenabschnitt im Grenzgebiet, jener 100 Meter breiten Sperrzone, die auf Anordnung des DDR-Verteidigungsministeriums im Juni 1963 eingerichtet worden ist. [3] Offiziell heißt es, diese Maßnahme solle dem „Schutz der Staatsgrenze zwischen der DDR und Westberlin" dienen. Tatsächlich zielt sie jedoch darauf, den Zugang zu den Sperranlagen an der Mauer zusätzlich zu erschweren und Fluchtversuche schon im Vorfeld zu verhindern.

Dietmar Schulz ist nicht mehr ganz nüchtern, als er an diesem Novemberabend das im Grenzgebiet gelegene Bahngelände betritt. Dabei scheint ihn niemand bemerkt zu haben. So gibt es darüber, wie der junge Mann in die Sperrzone gekommen und auf welche Weise er dort verunglückt ist, widersprüchliche Berichte. Eine Meldung der Ost-Berliner Stadtkommandantur besagt, um 21.20 Uhr sei eine männliche Person südlich der Maximilianstraße aus einem fahrenden S-Bahnzug gesprungen. Sie endet mit dem lapidaren Hinweis: „Die Person wurde mit Schädelbruch in das VP-Krankenhaus eingeliefert, wo sie verblieb." [4] Die Transportpolizei, der die weiteren Untersuchungen obliegen, kommt hingegen zu dem Ergebnis, dass sich Dietmar Schulz von seiner Wohnung zu Fuß zum Bahndamm begeben hat, wo er unter ungeklärten Umständen von einem S-Bahnzug überrollt worden ist. Dass es sich um einen Fluchtversuch handelt, wird in dem Trapo-Rapport allerdings nicht erwähnt, das Vorkommnis vielmehr als „persönlicher Unfall mit Todesfolge" klassifiziert. [5]

Misstrauisch gegenüber den offiziellen Angaben der Behörden glaubt die Verlobte des Opfers nicht an einen Unfall. Sie ist fest davon überzeugt, dass Dietmar Schulz erschossen worden ist. Nach der Beerdigung, die am 2. Dezember 1963 in Ost-Berlin stattfindet, setzt sie sich mit dem jungen Westdeutschen in Verbindung, den ihr Verlobter ein halbes Jahr zuvor kennen gelernt hat. Dieser wiederum übermittelt ihre Angaben den westdeutschen Behörden. Daraufhin leitet die Zentrale Erfassungsstelle Salzgitter im April 1964 Ermittlungen wegen des Verdachts ein, der Fluchtversuch des 24-jährigen Ost-Berliners sei mit Waffengewalt vereitelt worden. [6] Nach der Öffnung der DDR-Archive nimmt die Berliner Staatsanwaltschaft die Ermittlungen 1991 wieder auf. Der Verdacht, Dietmar Schulz sei einem Gewaltakt von Grenzsoldaten zum Opfer gefallen, bestätigt sich nicht. [7] Fest steht indes, dass er am 25. November 1963 tödlich verunglückte, weil er nach West-Berlin flüchten wollte.

Text: Christine Brecht

[1] Vgl. Verfügung der Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht Berlin (2 Js 132/91), 29.1.1992, in: StA Berlin, Az. 2 Js 132/91, Bl. 163, sowie Trapo-Rapport Nr. 330/63, 26.11.1963, in: PHS, Bestand Trapo-Rapporte, o.Pag. [2] Vgl. Niederschrift der Zeugen-Vernehmung eines Brieffreundes von Dietmar Schulz durch die Polizei in Karlsruhe, 9.4.1964, in: Ebd., Bl. 28-31, sowie Gespräch von Christine Brecht mit Ingo S., einem Brieffreund von Dietmar Schulz, 28.6.2007.
[3] Vgl. „Verordnung über Maßnahmen zum Schutz der Staatsgrenze zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und Westberlin" des Ministerrates der DDR, 21.6.1963, sowie „Anordnung über die Ordnung im Grenzgebiet an der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik zu Westberlin" von DDR-Verteidigungsminister Hoffmann, 21.6.1963, in: Gesetzblatt der DDR, 1963, Teil. II, S. 381-384.
[4] Operative Tagesmeldung Nr. 329/63 der NVA/Stadtkommandantur Berlin/Operative Abteilung, 26.11.1963, in: BArch, VA-07/6025, Bl. 339.
[5] Trapo-Rapport Nr. 330/63, 26.11.1963, in: PHS, Bestand Trapo-Rapporte, o.Pag. [6] Vgl. Schreiben des Landeskriminalamts Baden-Württemberg an die Zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen Salzgitter, 14.4.1964, in: StA Berlin, Az. 2 Js 132/91, Bl. 27. [7] Vgl. Verfügung der Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht Berlin (2 Js 132/91), 29.1.1992, in: Ebd., Bl. 163-164.
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