geboren am 28. Dezember 1940
tödlich verletzt von einem Querschläger am 23. Mai 1962
am Spandauer Schiffahrtskanal nahe der Sandkrugbrücke
an der Sektorengrenze zwischen Berlin-Mitte und Berlin-Tiergarten
Göring, Peter
Wie ein Lauffeuer verbreitet sich am 23. Mai 1962 die Nachricht in beiden Teilen der Stadt, dass es am Spandauer Schifffahrtskanal zu einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Ost-Berliner Grenzposten und West-Berliner Polizisten gekommen ist. Um den Fluchtversuch des 14-jährigen Wilfried Tews zu verhindern, eröffnen Angehörige der 1. Grenzbrigade das Feuer und fügen dem Schüler aus Erfurt schwere Verletzungen zu, bevor er am westlichen Ufer geborgen werden kann. [33] Weil die Kugeln der Grenzposten auf West-Berliner Gebiet einschlagen, geben Polizeibeamte dem Flüchtling Feuerschutz. Dabei wird der 21-jährige Grenzer Peter Göring von einem Querschläger getroffen und tödlich verletzt.
Vor dem Hintergrund der fortdauernden Ost-West-Konfrontation ist der Tod von Peter Göring von großer politischer Brisanz. Die DDR-Führung reagiert mit aggressiven Schuldzuweisungen an die Adresse des West-Berliner Senats. Sie lässt ein Foto des am Boden liegenden Toten verbreiten und verkündet unter Anspielung auf Terrorattentate nationalistischer Algerienfranzosen, er sei einem Mordanschlag der „Frontstadt-OAS" zum Opfer gefallen. [34] Die „reaktionären Kräfte und ihre Handlanger in Gestalt der Frontstadtpolizei", heißt es auf einem Propagandaplakat, hätten mit diesem „Meuchelmord" erneut bewiesen, dass sie „die Feinde unseres Volkes" seien. [35] Mit der Verdammung des Gegners einher geht die Verherrlichung des Toten aus den eigenen Reihen. „Peter Göring", so wird verbreitet, „war jung und liebte das Leben. Darum stand er an der Staatsgrenze der DDR in Berlin auf Wacht." [36]
Willy Brandt, der Regierende Bürgermeister von Berlin, stellt sich in einer Rundfunkansprache hinter die Polizeibeamten, die dem wehrlosen Flüchtling zu Hilfe kamen, und bringt zugleich sein Bedauern über den Tod des Grenzpolizisten zum Ausdruck. Die Mauer, so Brandt, habe mit Peter Göring ein neues Opfer gefunden. „Wir wissen nicht, was er für ein Mensch war, denn das Klischee und die Schlagworte der anderen Seite lassen das nicht erkennen." Die Schuld an seinem Schicksal aber liege bei denjenigen, die die Mauer errichteten. [37]
Tatsächlich gerät die offizielle Version der Lebensgeschichte Peter Görings, die fortan in der DDR verbreitet wird, gleichermaßen schemenhaft wie bedeutungsschwer. [38] Im Dezember 1940 als Sohn einer Arbeiterfamilie in Dresden geboren, habe Peter Göring schon als Kind die Nöte des Krieges, dem auch sein Vater zum Opfer fiel, kennen gelernt. Er sei in Dresden im Kinderheim am Weißen Hirsch aufgewachsen, habe nach der Schulzeit eine Lehre als Gussputzer absolviert und danach, da die Partei junge Arbeiter aufs Land rief, in der Landwirtschaft gearbeitet. Im April 1960 soll er sich freiwillig zum „Ehrendienst" bei den „bewaffneten Organen" der DDR verpflichtet haben. Im Juni des folgenden Jahres an den „antifaschistischen Schutzwall" versetzt, sei er aufgrund seiner Einsatzbereitschaft stets ein Vorbild für alle Genossen gewesen. [39] Zum Dank dafür wird er posthum vom Gefreiten zum Unteroffizier befördert. Die Inschrift auf dem Grabstein, der Peter Göring im Anschluss an ein Staatsbegräbnis im sächsischen Luchau gesetzt wird, schreibt diese Sicht der Dinge fort: „Er wurde von Westberliner Polizisten hinterhältig erschossen, als er treu seine Pflicht zum Schutze der Staatsgrenze in Berlin erfüllte". [40] Auch Peter Görings Mutter wird in das offizielle Gedenken eingebunden und hat sich zeitlebens aktiv daran beteiligt. [41]
Amtliche Überlieferungen östlicher wie westlicher Provenienz zeigen jedoch, dass die Mord-Behauptungen eine Legende sind. So belegen zu DDR-Zeiten unter Verschluss gehaltene Militär- und Justizakten eindeutig, dass Peter Göring aktiv an dem Schusswechsel beteiligt war und tödlich getroffen wurde, als er selbst gezielt auf den flüchtenden Wilfried Tews schoss. Damit verstieß Göring nicht nur gegen die Schusswaffengebrauchsbestimmungen, die es verboten, die Waffe gegen Kinder einzusetzen und in westliche Richtung zu zielen. Entgegen des ausdrücklichen Befehls seines Postenführers verließ er zudem den Wachturm, um sich eine günstige Schussposition zu verschaffen. [42] In diesem Moment wurde, wie aus West-Berliner Ermittlungsunterlagen hervorgeht, auf der anderen Seite des Kanals ein Polizeibeamter auf den schießenden Grenzposten aufmerksam. Da er sich bedroht fühlte, habe er das Feuer erwidert, gibt dieser später zu Protokoll, „worauf der Vopo plötzlich verschwand und vermutl(ich) getroffen war." [43]
Zu diesem Zeitpunkt war der Schusswechsel noch in vollem Gange. Erst nachdem die letzten Schüsse verhallt waren, wurde der leblose Körper des Grenzers zwischen zwei Mauern, die den Weg zum Ufer versperren, entdeckt. [44] Die Kugel, die die tödliche Verletzung verursachte, traf Peter Göring, wie kriminaltechnische Untersuchungen in Ost-Berlin ergaben, nicht direkt, sondern als Querschläger, der zuvor von einer dieser Mauern abprallte. [45]
In den 1990er Jahren werden die Ermittlungen neu aufgerollt. Soweit sie sich gegen den West-Berliner Polizisten richten, der Peter Göring tödlich verletzt haben soll, werden sie im Juli 1991 mit der Begründung eingestellt, sein Verhalten sei unter dem Gesichtspunkt der Notwehr und Nothilfe gerechtfertigt gewesen, da er zum eigenen und zum Schutz des Flüchtenden geschossen habe. [46] Das Verfahren gegen ehemalige DDR-Grenzposten wegen versuchten Totschlags an dem Flüchtling Wilfried Tews führt hingegen im Juni 1996 zur Anklageerhebung gegen drei Beschuldigte. [47] Da die Hauptverhandlung keinen Aufschluss darüber bringt, ob die Treffer von diesen oder anderen seinerzeit beteiligten Schützen stammen, werden die Angeklagten schließlich frei gesprochen. [48]
Das Gericht stellt in seinem Urteil fest, dass die Schüsse, die Wilfried Tews so schwer verletzten, dass er Zeit seines Lebens an den Folgen zu leiden hat, auch von Peter Göring abgegeben worden sein könnten. Eindeutig lässt sich dies nicht mehr feststellen.
Text: Christine Brecht
Willy Brandt, der Regierende Bürgermeister von Berlin, stellt sich in einer Rundfunkansprache hinter die Polizeibeamten, die dem wehrlosen Flüchtling zu Hilfe kamen, und bringt zugleich sein Bedauern über den Tod des Grenzpolizisten zum Ausdruck. Die Mauer, so Brandt, habe mit Peter Göring ein neues Opfer gefunden. „Wir wissen nicht, was er für ein Mensch war, denn das Klischee und die Schlagworte der anderen Seite lassen das nicht erkennen." Die Schuld an seinem Schicksal aber liege bei denjenigen, die die Mauer errichteten. [37]
Tatsächlich gerät die offizielle Version der Lebensgeschichte Peter Görings, die fortan in der DDR verbreitet wird, gleichermaßen schemenhaft wie bedeutungsschwer. [38] Im Dezember 1940 als Sohn einer Arbeiterfamilie in Dresden geboren, habe Peter Göring schon als Kind die Nöte des Krieges, dem auch sein Vater zum Opfer fiel, kennen gelernt. Er sei in Dresden im Kinderheim am Weißen Hirsch aufgewachsen, habe nach der Schulzeit eine Lehre als Gussputzer absolviert und danach, da die Partei junge Arbeiter aufs Land rief, in der Landwirtschaft gearbeitet. Im April 1960 soll er sich freiwillig zum „Ehrendienst" bei den „bewaffneten Organen" der DDR verpflichtet haben. Im Juni des folgenden Jahres an den „antifaschistischen Schutzwall" versetzt, sei er aufgrund seiner Einsatzbereitschaft stets ein Vorbild für alle Genossen gewesen. [39] Zum Dank dafür wird er posthum vom Gefreiten zum Unteroffizier befördert. Die Inschrift auf dem Grabstein, der Peter Göring im Anschluss an ein Staatsbegräbnis im sächsischen Luchau gesetzt wird, schreibt diese Sicht der Dinge fort: „Er wurde von Westberliner Polizisten hinterhältig erschossen, als er treu seine Pflicht zum Schutze der Staatsgrenze in Berlin erfüllte". [40] Auch Peter Görings Mutter wird in das offizielle Gedenken eingebunden und hat sich zeitlebens aktiv daran beteiligt. [41]
Amtliche Überlieferungen östlicher wie westlicher Provenienz zeigen jedoch, dass die Mord-Behauptungen eine Legende sind. So belegen zu DDR-Zeiten unter Verschluss gehaltene Militär- und Justizakten eindeutig, dass Peter Göring aktiv an dem Schusswechsel beteiligt war und tödlich getroffen wurde, als er selbst gezielt auf den flüchtenden Wilfried Tews schoss. Damit verstieß Göring nicht nur gegen die Schusswaffengebrauchsbestimmungen, die es verboten, die Waffe gegen Kinder einzusetzen und in westliche Richtung zu zielen. Entgegen des ausdrücklichen Befehls seines Postenführers verließ er zudem den Wachturm, um sich eine günstige Schussposition zu verschaffen. [42] In diesem Moment wurde, wie aus West-Berliner Ermittlungsunterlagen hervorgeht, auf der anderen Seite des Kanals ein Polizeibeamter auf den schießenden Grenzposten aufmerksam. Da er sich bedroht fühlte, habe er das Feuer erwidert, gibt dieser später zu Protokoll, „worauf der Vopo plötzlich verschwand und vermutl(ich) getroffen war." [43]
Zu diesem Zeitpunkt war der Schusswechsel noch in vollem Gange. Erst nachdem die letzten Schüsse verhallt waren, wurde der leblose Körper des Grenzers zwischen zwei Mauern, die den Weg zum Ufer versperren, entdeckt. [44] Die Kugel, die die tödliche Verletzung verursachte, traf Peter Göring, wie kriminaltechnische Untersuchungen in Ost-Berlin ergaben, nicht direkt, sondern als Querschläger, der zuvor von einer dieser Mauern abprallte. [45]
In den 1990er Jahren werden die Ermittlungen neu aufgerollt. Soweit sie sich gegen den West-Berliner Polizisten richten, der Peter Göring tödlich verletzt haben soll, werden sie im Juli 1991 mit der Begründung eingestellt, sein Verhalten sei unter dem Gesichtspunkt der Notwehr und Nothilfe gerechtfertigt gewesen, da er zum eigenen und zum Schutz des Flüchtenden geschossen habe. [46] Das Verfahren gegen ehemalige DDR-Grenzposten wegen versuchten Totschlags an dem Flüchtling Wilfried Tews führt hingegen im Juni 1996 zur Anklageerhebung gegen drei Beschuldigte. [47] Da die Hauptverhandlung keinen Aufschluss darüber bringt, ob die Treffer von diesen oder anderen seinerzeit beteiligten Schützen stammen, werden die Angeklagten schließlich frei gesprochen. [48]
Das Gericht stellt in seinem Urteil fest, dass die Schüsse, die Wilfried Tews so schwer verletzten, dass er Zeit seines Lebens an den Folgen zu leiden hat, auch von Peter Göring abgegeben worden sein könnten. Eindeutig lässt sich dies nicht mehr feststellen.
Text: Christine Brecht