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Wolfgang Glöde: Bericht der DDR-Grenzpolizei

11. Juni 1962

Bericht

Über den fahrlässigen Schußwaffengebrauch mit tödlichem Ausgang

durch den
    Gefr. K(...), Jochen
    geb. (...) 1942
    Mitglied der SED seit (...)
    VP seit 21.10.1960
    Postenführer der 4. Kompanie
mit Maschinenpistole "K", Nr. P4173 am 11.06.1962 gegen 18.05 Uhr in der Kollonie "Sorgenfrei", Stadtbezirk Treptow.

Am 11.06.1962 erhielt das Postenpaar
    Gefr. K(...) und
    Gefr. R(...), Bernd
    geb. (...) 1942 in Dresden
    (...)
gegen 13.30 Uhr den Kampfauftrag durch
    Ltn. B(...)
den Abschnitt rechts Krapfenteichstraße bis Grenzknick entlang der Bahnlinie (siehe Skizze) zu sichern mit der Aufgabe, unbefugten Personen den Zutritt zum Laubengelände nicht zu ermöglichen.

Durch den Einsatz dieses Postens sollte eine Annäherung zur Grenze bereits im Hinterland verhindert werden.

Vor Postenaufzug wurden sie nochmals über den Umgang und Anwendung der Schußwaffe belehrt.

Gegen 17.45 Uhr begab sich das Postenpaar in die Laubenkollonie "Sorgenfrei" und hielt sich ca. 15 Min. bei den dort spielenden 3 Jungens auf. Diese Kinder spielten auf dem dortigen Platz Fußball. Die Kinder interessierten sich für die Grenzposten, gesellten sich zu ihnen und stellten Fragen, wie:

- Schießt das Ding denn überhaupt, dort ist doch ein Stöpsel drauf. (Mündungsschoner)

- wie funktioniert diese Waffe?

Und andere Fragen.

Bei dieser Unterhaltung standen alle (Posten und Kinder) in einem Umkreis von ca. 5 m. Der Postenführer, Gefr. K(...), fühlte sich befugt, die Waffe den Kindern zu erklären.

Als erstes entsicherte er seine Waffe, ohne das Magazin zu entfernen, lud die Waffe durch, wobei er den Abzug betätigte und der Schuß brach. Bei diesen Tätigkeiten gab K. (...) die entsprechenden Erläuterungen.

Der abgegebene Schuß traf den Schüler
    Glöde, Wolfgang
    geb. 1.2.1949
    wohnh. Berlin-Treptow, (...) (Kollonie "Sorgenfrei")
in die obere linke Brust 3 Finger über der linken Brustwarze. Der Ausschuß befindet sich eine Handbreite unter dem rechten Schulterblatt.

Beide Posten versuchten sofort erste Hilfe zu leisten und legten dem Verletzten einen Notverband an.

Dabei äußerte K(...), daß durch diese Handlung sein Leben verpfuscht sei und es am besten wäre, sich selbst zu erschießen. Auf Grund dieser Äußerung entwaffnete Gefr. R(...) seinen Postenführer und eilte sofort zum Grenzmeldenetz, um den Stützpunkt zu verständigen.

Vom Stützpunkt erfolgte sofort die Weitergabe der Meldung an den Operativen Diensthabenden der V. Grenzabteilung, Hptm. H(...), die gegen 18.12 Uhr einging. Dieser setzte sofort den Sankra der Abteilung ein, der gegen 18.35 Uhr im Grenzgebiet eintraf.

Gegen 18.40 Uhr war der Verletzte verladen und wurde dem VP-Krankenhaus Scharnhorststraße zugeführt, wo er gegen 19.10 Uhr eintraf.

Die Eltern des Verletzten sowie Ltn. B(...) begleiteten den Transport. Ltn. B(...) erhielt durch Hptm. J(...) den Befehl, voraus im Krankenhaus zu verbleiben und den Befund des Verletzten nach der Untersuchung sofort zu melden.

Gegen 18.50 Uhr wurde der Operative Diensthabende, Hptm. H(...), verständigt und befohlen, sofort das VP-Krankenhaus telefonisch zu benachrichtigen, mit der Bitte, die Operation vorzubereiten.

Die sofortige Untersuchung durch den Arzt vom Dienst ergab, daß der Tod aller Wahrscheinlichkeit nach unmittelbar nach der Verletzung eingetreten ist. Wie Ltn. B(...) aus dem VP-Krankenhaus meldete, ist die Todesursache Lungendurchschuß und vermutlich Verletzung der Herzspitze.

Zeugen dieses tragischen Vorfalles waren die Schüler
    (...), Peter
    13 Jahre
    (...), Helmut
    11 Jahre
    [...]
Einer dieser beiden verständigte kurz nach dem Vorfall die Eltern des Toten, die 50 m vom Tatort entfernt wohnhaft sind. Auf Grund des derzeitigen Zustandes der Eltern, konnten bisher nur die Personalien des Vaters ermittelt werden:
    G(...), Otto
    (...)
    Mitglied der SED und FDGB
    Arbeitsstelle: Berlin- Schöneweide BMAW, Fließstr. 12
Der Vater zeigte eine sehr sachliche Haltung. Bei der Mutter hat dieser Vorfall einen Schock ausgelöst und sie war stark deprimiert.

Der Gefr. K(...) ist seit Oktober 1961 als Postenführer eingesetzt. In dieser Funktion hat er seine Aufgaben bisher befriedigend erfüllt.

In der Abteilung zeigte Gen. K. gute Leistungen, insbesondere in der Waffen- und Schießausbildung. Die Maschinenpistole "K" beherrscht der Gen. K(...), dies beweisen seine guten Schießergebnisse und die Erreichung der Schützenschnur im Jahre 1961. Alle durchgeführten Schießübungen wurden durch den Gefr. K(...) mit "gut" und "Ausgezeichnet" erfüllt. So wurde durch ihm die am 19.05.1962 geschossene 1. Und 2. Sonderübung mit der Note "Gut" erfüllt.

Gen. K. ist in seinem Zuge Gruppenorganisator. Diese Aufgabe erfüllt er nicht voll, da ihm die politische Erfahrung hierzu fehlt.

Neben der täglichen Belehrung über den Umgang mit der Schußwaffe im Dienst wurde K. am 15.05.1962 das letzte Mal aktenkundig belehrt.

Ergebnisse der Ausbildung an der Waffe sowie des prakt. Schießens beweisen, daß durch den Komp.-Chef, dem Gefr. K(...) alle Voraussetzungen gegeben wurden, um mit der Waffe den Dienst an der Grenze durchzuführen.

Es muß festgestellt werden, daß es sich bei diesem Vorkommnis um eine grobe Fahrlässigkeit durch den Gefr. K(...) handelt. Durch Duldung des Gefr. R(...) wurde die fahrlässige Handlung begünstigt.

Schlußfolgerungen

1. Der Gefr. K(...) als Postenführer eingesetzt, verstieß gegen den Kampfauftrag, indem er während des Dienstes im grenznahen Hinterland sich durch spielende Kinder ablenken ließ und Handlungen durchführte, die gegen gegeben Weisungen verstoßen.

2. Gefr. K(...) hat eine ausreichende Ausbildung an der Waffe

- Maschinenpistole " K "

erhalten, wurde fortlaufend über den Umgang mit der Waffe belehrt und ihm war durch Befehle und Auswertung besonderer Vorkommnisse bekannt, daß die Schußwaffe nur entsprechend der Schußwaffengebrauchsbestimmung in Anwendung zu bringen ist.

3. Durch die dienstlichen Vorgesetzten des K. wurden alle Voraussetzungen geschaffen für eine vollkommene Beherrschung seiner Waffe.

Im Sondergrenzüberwachungsbefehl des Kommandeurs der 1. Grenzbrigade (B) wurde besonders Belehrungen und Einweisungen im Umgang und Handhabung der Schußwaffe sowie in der Einhaltung der Schußwaffengebrauchsbestimmung während der Pfingstfeiertage gefordert.

Diesem Befehl ist die dienstliche Leitung als Vorgesetzter des Gefr. K(...) nachgekommen und hat die entsprechenden Kontrollen auch an der Grenze durchgeführt.

4. Zur Verhinderung falscher Darlegungen des Vorkommnisses in der Bevölkerung werden gemeinsam mit der Kreisleitung der SED Berlin-Treptow Maßnahmen festgelegt. Die weitere Bearbeitung in strafverfolgender Hinsicht übernimmt der Militärstaatsanwalt der 1. Grenzbrigade (B).

Maßnahmen:

1. Verstärkte Sicherung durch Einsatz zusätzlicher Grenzposten sowie einer Offiziersstreife im Raum der Handlung. (Kollonie "Sorgenfrei")

2. Verbindungsaufnahme mit den Eltern durch den 2. Sekretär der Kreisleitung der Partei Berlin-Treptow, Gen. G(...) der Genn. B(...), Sekretär der WPO und Oberstltn. B(...) 1. Grenzbrigade (B) zur Klärung aller sich aus dem Vorkommnis ergebenen fragen.

3. Verbindungsaufnahme mit dem Betrieb des Vaters des Glöde, Wolfgang (...) und des Direktors der betreffenden Schule.

4. Erarbeitung einer Aufgabenstellung über Maßnahmen, die eingeleitet werden müssen im Wohnbezirk, im Betrieb, in der Schule und zur Bestattung des Kindes.

5. Führen einer Aussprache mit dem Vater des Gefr. K(...) durch den Genossen Militärstaatsanwalt

6. Erstmalige Auswertung des Vorkommnisses im Zug des Gefr. K(...) durch den Stellv. F. pol. Arbeit der Grenzkompanie. Eine gründliche Auswertung des Vorkommnisses vor dem Personalbestand der gesamten Grenzabteilung erfolgt am 12.06.1962 durch den Kommandeur der Grenzabteilung.

7. Gefr. K(...) und Gefr. R(...) wurden arrestiert.

Kommandeur der V. Grenzabteilung - Hautmann - G(...)

Quelle: BArch, DY 30/IV 2/12/76, Bd. 3, Bl. 90-93
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