Todesopfer > Hannemann, Axel

Erinnerungsbericht von Charlotte Hannemann über die Tötung ihres Sohnes Axel Hannemann

1991

Abschrift

Charlotte Hannemann
In schwerer Zeit


Unseren Sohn Axel Hannemann, der in der schweren Zeit vor Beendigung des Zweiten Weltkrieges am 27. April 1945 geboren wurde, verloren wir durch heimtückische Schüsse am 5. Juni 1962 an der Mauer in Berlin.

In der Nacht vom 5. zum 6. Juni 1962 wurden mein Mann und ich gegen 24 Uhr durch zwei Kriminalbeamte aufgefordert, zu einem Verhör ins Kriminalamt Cottbus, Karl-Liebknecht-Straße, mitzukommen. Dort wurde uns gefühllos mitgeteilt, daß unser Sohn Axel, beim Versuch die Grenze in Berlin illegal zu überwinden, auf der Flucht über den Teltow-Kanal durch einen Kopfschuß tödlich getroffen wurde. Mein Mann und ich sind ca. eine Stunde getrennt verhört worden. Am folgenden Tag lasen wir in unserer Kreiszeitung, daß der Verbrecher Axel Hannemann seinen Verletzungen erlegen ist.

Auch wurde in unserer Wohnung von einem Staatsanwalt und einem Kriminalbeamten eine Haussuchung durchgeführt. Die Hausbewohner und die Nachbarschaft sowie der Sportverein und die Lehrwerkstatt, wo unser Sohn beschäftigt war, wurden ausgefragt und unter die Lupe genommen. Dort gab es aber nur gute Auskünfte über unseren Sohn. Nach ca. zehn Tagen bekamen wir eine Aufforderung der Kriminalpolizei, zu einer Aussprache nach Berlin zu kommen. Dort wurden wir wieder über unsere Familie befragt. Wir konnten aber nur Positives berichten, da unsere zwei Söhne und eine Tochter eine gute Lehrausbildung und Studium absolviert hatten.

Nach Beendigung der Aussprache wurden wir zum Leichenschauhaus geschickt. Mein Mann und ich aber waren nicht in der Lage, unseren Sohn mit seinen schweren Verletzungen noch einmal zu sehen. Die zuständige Aufseherin riet uns auch ab. Daraufhin wurden uns die Armbanduhr und die Manschettenknöpfe ausgehändigt. So erfolgte dann die Freigabe zur Einäscherung. Die Urne wurde nach vier Wochen unserer Friedhofsverwaltung in Cottbus überstellt.

Pfarrer Ziethe erklärte sich bereit, für unseren Sohn Axel die Grabrede zu halten. Von der Abteilung Inneres wurden aber Auflagen erteilt. So sollten keine Lehrlinge, keine Sportfreunde und Mitarbeiter des ehemaligen Betriebes an der Trauerfeier und Beisetzung teilnehmen. Von Beamten in Zivil wurden wir während der Beisetzung beobachtet. Uns wurde bekannt, daß am Nachmittag des Tages der Beisetzung die Jugendlichen und Freunde unseres Sohnes Axel einen Rosenkranz zum Gedenken an die Grabstelle legten.

Durch diese schweren Ereignisse wurde mein Mann sehr schwer krank, daß ich um sein Leben bangte. In einer Sendung im West-Fernsehen, das uns ja zu dieser Zeit nicht erlaubt war, sahen wir, daß für unseren Sohn Axel ein Kreuz an der Mauer in Berlin zum Gedenken aufgestellt worden war.

Nach Öffnung der Mauer kam mir die Tragik noch einmal zum Bewußtsein. Leider konnte mein Mann die Öffnung der Grenze nicht mehr erleben. Er starb am 12. Oktober 1982. Mein seelischer Zustand erlaubte es nicht, sogleich nach Berlin zu fahren. Meine Kinder begleiteten mich nach einem Jahr zu der Gedenkstätte, dem Kreuz an der Mauer in Berlin, um dort erstmalig für meinen Sohn und unseren Bruder unsere Blumen niederzulegen.

In der Hoffnung, daß Menschen nicht noch einmal durch solch unsinnige Willkür ihr Leben lassen müssen, schließe ich meinen Bericht.

Quelle: Werner Filmer/Heribert Schwan, Opfer der Mauer. Die geheimen Protokolle des Todes, C. Bertelsmann: München 1991, S. 102/103. - Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Dr. Heribert Schwan.
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