Todesopfer > Krug, Siegfried

Urteil des Landgerichts Berlin in der Strafsache gegen Helmut Paul H. vom 30. März 1993

Auszüge, Az. 2 Js 92/90; Fall Siegfried Krug

Abschrift [Auszug]

Landgericht Berlin Az.: (5 31) 2 Js 92/90 Ks (31/92)

30. März 1993

URTEIL

Im Namen des Volkes

In der Strafsache gegen
    1. den Kellner Helmut Paul H.,
    geboren 1946
wegen Totschlags

Die 31. große Strafkammer - Schwurgericht - des Landgerichts Berlin hat [...] in der Sitzung vom 30. März 1993 für Recht erkannt:

Der Angeklagte wird wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 2 (zwei) Jahren verurteilt.

Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens, seine notwendigen Auslagen und die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin.

Angewendete Vorschriften:

§§212,213, 56 StGB

Gründe:

[...]

V. [Strafzumessung]

Bei der Strafzumessung ist die Strafkammer vom Strafrahmen des minder schweren Falles des Totschlags gemäß § 213 StGB ausgegangen, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht.

Anders als bei § 113 StGB/DDR ist ein sonst minder schwerer Fall des Totschlags gemäß § 213 StGB bereits dann gegeben, wenn mehrere, für sich betrachtet, einfache Strafmilderungsgründe vorliegen, die jeder für sich zwar die Annahme des minder schweren Falles nicht rechtfertigen, aber ihm Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung des Tatbildes und der Person des Täters die Anwendung des Regelstrafrahmens nicht angebracht erscheinen lassen (vgl. BGHSt 26, 97, BGH StV 84 73).

Bei der vorgenommenen Gesamtwürdigung hat die Kammer folgende Umstände berücksichtigt: Der nicht bestrafte Angeklagte ist in dem sozialistischen Zwangssystem der ehemaligen DDR aufgewachsen, wo er ständiger einseitiger ideologischer Indoktrination ausgesetzt war. Diese Indoktrination begann zunächst untergründig im erst kommunistisch und später sozialistisch orientierten Elternhaus und setzte sich durch seine intensive Einbindung in die verschiedenen politischen Organisationen während der gesamten schulischen und beruflichen Ausbildung fort, bis sie in dem regelmäßigen Politunterricht und der täglichen Vergatterung während des Militärdienstes ihren Höhepunkt fand.

Der Angeklagte war daher in gewisser Weise selbst Opfer der mit der Grenze verbundenen Verhältnisse, indem er durch massive ideologische Beeinflussung durch übergeordnete militärische Funktionsträger, die sowohl einen größeren Überblick, als auch eine differenziertere Ausbildung besaßen, zu einer Grundhaltung gegenüber Grenzverletzern veranlasst wurde, die seinen Tatentschluss wesentlich erleichterte. Er handelte nur mit bedingtem Vorsatz und in dem vermeidbaren Verbotsirrtum, als Grenzsoldat aufgrund des geleisteten Fahneneides und der allgemeinen Befehlslage die Schusswaffe gebrauchen zu müssen. Selbst wenn er diesen Irrtum vermeiden konnte, lässt § 17 Abs. 2 StGB eine Milderung ausdrücklich zu.

Außerdem war zu berücksichtigen, dass ein erhebliches Mitverschulden des Geschädigten Krug vorlag indem dieser trotz aller Warnrufe und Warnschüsse der Aufforderung des Angeklagten zum Stehen bleiben keine Folge leistete, sondern unbeirrt weiterlief. Überhaupt bleibt unverständlich, warum Krug in das Sperrgebiet eingedrungen ist.

Unter den genannten Umständen erschien seine Tat auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass er durch die Entscheidung zum Schusswaffengebrauch und die unvorschriftsmäßige Handhabung der Waffe der bestehenden Befehlslage grob zuwider handelte, als minder schwer und der normale Strafrahmen des § 212 StGB - auch bei Milderung nach §§ 17, 49 StGB - unangemessen hart.

Bei der konkreten Strafzumessung - der Strafrahmen des § 213 StGB wurde nicht noch einmal nach § 17 Satz 2 StGB gemildert - hat die Strafkammer strafmildernd berücksichtigt, dass der Angeklagte sich zum Zeitpunkt der Tat aufgrund des Verhaltens des Opfers einer Situation gegenüber sah, der er als damals Einundzwanzigjähriger in seiner Aufregung nicht gewachsen war.

Zu seinen Gunsten war auch zu werten, dass er sich dem Verfahren uneingeschränkt gestellt und ein Geständnis abgelegt hat. Er hat erkennen lassen, dass er die Tat bereut. Weiterhin hat die Kammer auch berücksichtigt, dass seit der Tat bereits fast fünfundzwanzig Jahre vergangen sind und dass der Angeklagte, der in der militärischen Hierarchie am unteren Ende stand, aufgrund von Umständen, die er nicht zu vertreten hat, zeitlich vor den genannten ihm übergeordneten Funktionsträgern strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden ist, während diese bisher überhaupt noch nicht belangt worden sind. Andererseits ist der Angeklagte weit über die rechtlichen Eingriffsmöglichkeiten hinausgegangen. Er hat einen offensichtlich nicht mehr gefährlichen Eindringling der schütz- und wehrlos war, einfach erschossen. [...]

Quelle: StA Berlin, Az. 2]s 92/90, Bd. 4, Bl. 1-2, 53-55.
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