Todesopfer > Kluge, Klaus-Jürgen

MfS-Bericht über den Fluchtversuch und die Erschießung von Klaus-Jürgen Kluge

23. September 1969

[...]

Information

Am 13. September 1969, 20.00 Uhr, wurde der ausweislose DDR-Bürger
    Kluge, Klaus-Jürgen
    geb. an 25. 7. 1948 in Schönow
    zuletzt tätig als Modelltischler bei der (...)
    wohnhaft: Schönow, Kreis Bernau, (...)
    Familienstand: ledig
beim Versuch, die Staatsgrenze der DDR im Grenzabschnitt Berlin-Prenzlauer Berg, Helmut-Just-Brücke / Schwedter Straße zu durchbrechen, durch Anwendung der Schußwaffe tödlich verletzt.

Die durchgeführte Tatrekonstruktion ergab, daß Kluge von der in Berlin-Prenzlauer Berg gelegenen Gleimstraße in das Grenzsperrgebiet eindrang und beim Überwinden von Grenzsicherungsanlagen eine Signalanlage auslöste. Die dadurch alarmierte Streife der Grenztruppen der nationalen Volksarmee bemerkte Kluge unmittelbar danach fünf Meter vor der letzten pioniertechnischen Anlage, worauf der Streifenführer zur Verhinderung des Grenzdurchbruches zehn Schuß aus seiner Maschinenpistole abgab.

Der Grenzverletzer wurde, getroffen, unverzüglich geborgen und in das Volkspolizeikrankenhaus Berlin überführt.

Nach der Feststellung des Todes erfolgte der Abtransport der Leiche in das Gerichtsmedizinische Institut der Humboldt-Universität zur Obduktion.

Die Leichenöffnung ergab, daß der Tod auf Grund eines Herzdurchschusses eintrat.

Am Tatort wurden keine Personaldokumente des Kluge vorgefunden. Seine Identifizierung erfolgte durch zwei Mitarbeiter der Kreisdienststelle Bernau.

Nach erfolgter Bergung des Grenzverletzers fuhren 21.00 Uhr auf dem dem Ereignisort gegenüberliegenden Westberliner Gebiet drei Funkstreifenwagen der Westberliner Polizei mit Sondersignal vor. Die fünf Insassen der Streifenwagen, die mit Funksprechgeräten, Handscheinwerfern, einem Fotoapparat und einem Blitzlichtgerät ausgerüstet waren, postierten sich auf verschiedenen Beobachtungsständen. Nachdem sie mehrfach den Ereignisort abgeleuchtet hatten, verließen sie 21.10 Uhr dieselben.

Noch während der Anwesenheit der Insassen der Funkstreifenwagen erschienen an gleicher Stelle zwei französische Militärangehörige, die jedoch keinerlei Handlungen unternahmen und sich dort nur kurz aufhielten.

Die von der Kreisdienststelle Bernau geführten Ermittlungen zur Person des Kluge ergaben, daß sein Vater als Traktorist in der LPG S(...) Kreis Bernau beschäftigt ist, während seine Mutter keiner beruflichen Tätigkeit nachgeht. Beide sind gesellschaftlich nicht organisiert und beziehen eine teils ablehnende Haltung zu den gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR.

Kluge wurde im Elternhaus erzogen und absolvierte 1966 die Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule mit dem Abschluß der 10. Klasse. Anschließend erlernte er bis Frühjahr 1969 den Beruf eines Modelltischlers in der Firma J(...) in Berlin-Niederschönhausen, wo er durchschnittliche Leistungen zeigte.

Die durchgeführten Ermittlungen der Kreisdienststelle Bernau ergaben weiterhin,

[...]

Im März 1967 erfolgte die Musterung Kluges zum Wehrdienst und sein Einberufungstermin war für November 1969 festgelegt worden. Aus drei bei dem Grenzverletzer vorgefundenen und an ihn adressierten Briefen geht hervor, daß Kluge eine ablehnende Haltung zum Wehrdienst bezog.

Kluge hat offensichtlich aus diesem Grund sowie wegen der angeführten Strafanzeige den Entschluß zum illegalen Verlassen der DDR gefaßt.

Des weiteren ergaben die geführten Ermittlungen, daß seitens der Mutter des Kluge postalische und persönliche Verbindungen zu deren (...) in (...) Rheinland bestehen.

Die Feuerbestattung der Leiche des Kluge hat am 18.9.1969 stattgefunden.

Da die Eltern des Kluge bis zum 18.9.1969 keine Vermißtenanzeige über ihren Sohn beim VPKA Bernau erstattet hatten, suchte im Auftrage des Ministeriums für Staatssicherheit der für den Wohnort des Kluge zuständige Abschnittsbevollmächtigte der Volkspolizei, wobei es sich um einen zuverlässigen IM der KD Bernau handelt, am Vormittag des 18. 9. 1969 die Mutter des Kluge auf und bestellte ihren Sohn zwecks Prüfung der Anzeige vom 8. 9.1969 in sein Dienstzimmer.

Die Genannte erklärte darauf, daß sich ihr Sohn auf seiner Arbeitsstelle befinde und daß sie ihn nach der Rückkehr von dort zum Abschnittsbevollmächtigten schicken werde.

Infolge dieser Mitteilung der Mutter des Kluge und der Tatsache, daß die Genannte keine Vermißtenanzeige erstattet hatte, boten sich günstige Möglichkelten, den Eltern zu erklären, daß sie verdächtig sind, von der Absicht ihres Sohnes zum illegalen Verlassen der DDR informiert gewesen zu sein und ihr Verhalten wesentlich die Aufklärung der Straftat und die Identifizierung der Leiche ihres Sohnes erschwerte.

In der am 19.9.1969 in dem Dienstzimmer des Leiters des Volkspolizeikreisamtes Bernau durchgeführten Aussprache mit den Eltern des Kluge wurde diesen gegenüber erklärt, daß der Abschnittsbevollmächtigte wegen des Fernbleibens ihres Sohnes vom vereinbarten Termin Ermittlungen auf dessen Arbeitsstelle durchführte und dabei Kenntnis erhielt, daß der Genannte seit dem 15. 9. 1969 dort nicht mehr erschienen war.

Zur Abdeckung dieser Legende hatte ein Mitarbeiter der Abteilung IX der Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin die Arbeitsstelle des Kluge in den frühen Morgenstunden des 19. 9. 1969 aufgesucht.

Des weiteren erfolgte die Mitteilung an die Eltern, daß vom genannten Abschnittsbevollmächtigten im Verlaufe seiner Emittlungen mögliche Zusammenhänge zwischen dem tagelangen Fernbleiben des Kluge von der Arbeitsstelle und dem Auffinden einer unbekannten männlichen Leiche in der Hauptstadt der DDR festgestellt wurden, worauf sie zu dieser Aussprache bestellt worden seien.

Auf den den Eltern des Kluge daraufhin vorgelegten zwei Porträtaufnahmen der Leiche, die von der Abteilung IX der Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin gefertigt worden waren, erkannten sie eindeutig ihren Sohn.

Im Verlaufe der Aussprache wurde den Eltern Kenntnis gegeben, daß ihr Sohn am 13. 9. 1969 beim versuchten illegalen Verlassen der DDR tödlich verunglückte und gebeten, im Interesse der schnellen Aufklärung der Straftat alle damit im Zusammenhang stehenden Wahrnehmungen über das Volkspolizeikreisamt Bernau dem Ermittlungsorgan zuzuleiten.

[...]

Der von ihm zurückgelassene Personalausweis wurde von den Eltern übergeben.

Nach Angaben der Eltern können sie keine weiteren sachdienlichen Hinweise geben und ihnen erscheint das Motiv der Handlung unerklärbar.

Für den 24. 9. 1969 ist eine weitere Auesprache mit den Eltern des Kluge vorgesehen, wo mit ihnen Fragen der Bestattung geklärt werden sollen.

Entsprechend einer ersten Hitteilung des Leiters der Kreisdienststelle Bernau hielten sich die Eltern des Kluge bisher an die getroffenen Vereinbarungen.

Mit der Kreisdienststelle Bernau wurde abgesprochen, daß beim Erscheinen der Eltern des Kluge beim Volkspolizeikreisamt Bernau unverzüglich die Abteilung IX der Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin verständigt wird.

Major [...]

Quelle: BStU, MfS, AS 754/70, Bd. 5, Nr. 1, Bl. 165-169
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