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Cengaver Katrancı: MfS-Information über die Bergung der Leiche

13. November 1972

[...]

INFORMATION



über

die Bergung einer Kindesleiche aus der Spree im Grenzabschnitt Oberbaumbrücke der Hauptstadt am 30. 10. 1972 und das Ergebnis der Untersuchung dieses Vorkommnisses

Am 30. 10. 1972, gegen 13.30 Uhr, wurde den im Grenzabschnitt Oberbaumbrücke - Gröbenufer eingesetzten Grenzsicherungskräften der NVA durch Zuruf von Angehörigen des Westberliner Zolls bekannt, daß vom Westberliner Ufer ein Kind in die in der ganzen Breite zum Territorium der DDR gehörende Spree gefallen sei.

Es wurden daraufhin unverzüglich alle erforderlichen Maßnahmen zur Bergung des Kindes getroffen.

Bis zum Beginn der unmittelbaren Bergungshandlungen hatten sich am Spreeufer auf Westberliner Gebiet ca. 20 uniformierte Kräfte der Westberliner Polizei, der Feuerwehr und des Zolls mit je einem Funkstreifenwagen, Feuerlöschzug und Sankra eingefunden sowie ca. 300 bis 400 Zivilpersonen angesammelt.

Gegen 14.20 Uhr, unmittelbar vor der Aufnahme der Suche durch Taucher der Deutschen Volkspolizei, ersuchte ein Offizier der Westberliner Polizei über Megaphon um Bestätigung des Einsatzes von eigenen Kräften zur Suche und Bergung. Eine Bestätigung dazu erfolgte nicht.

Im Ergebnis des Einsatzes wurde um 15.05 Uhr ca. 100 m unterhalb der Oberbaumbrücke durch Taucher der Feuerwehr des PdVP Berlin ein Kind männlichen Geschlechts, ca. 6 bis 8 Jahre alt, aufgefunden und geborgen. Die Bergungshandlungen wurden von Westberliner Gebiet durch mehrere Zivilpersonen gefilmt und fotografiert.

Das Kind wurde umgehend ins Krankenhaus überführt, wo durch den diensthabenden Arzt der Tod festgestellt wurde.

Am 30. 10. 1972, gegen 21.15 Uhr, meldete, sich die in Westberlin wohnhafte türkische Staatsbürgerin (...) in Begleitung von zwei weiteren mit ihr verwandten türkischen Staatsbürgern bei der Deutschen Volkspolizei. Die Kindesleiche wurde von ihnen als der Sohn der (...)
    KATINANA, Cengaver
    geb. 1964
    wohnhaft: Berlin (West) 61,
    (...)
    Staatsangehörigk: Türkei,
identifiziert.

Angaben der (...) zufolge hatte das Kind in Begleitung eines weiteren 12jährigen Kindes vom Spreeufer aus Schwäne gefüttert und war dabei in die Spree gefallen.

Die Kindesmutter bedankte sich für die erwiesene Unterstützung durch die Organe der DDR und bat um Oberführung der Leiche nach Westberlin.

In Beantwortung eines Fernschreibens des Präsidiums der Deutschen Volkspolizei Berlin, an den Senator für Inneres in Westberlin, worin er über die Bergung einer unbekannten Kindesleiche aus der Spree informiert wurde, teilte dieser am 31. 10. 1972, 13.10 Uhr, die Bestätigung des Sachverhaltes sowie der Personalien der Kindesleiche mit und erbat die Freigabe der Leiche.

Am 3. 11. 1972, um 10.00 Uhr, wurde die Kindesleiche durch das Staatliche Bestattungswesen der Hauptstadt an das Westberliner Bestattungsinstitut G(...) übergeben und von diesem nach Westberlin übergeführt. Im Ergebnis der Untersuchung dieses Vorkommnisses ist festzustellen, daß der tragische Unglücksfall u. a. dadurch begünstigt wurde, daß
    sich an der zum Westberliner Territorium gehörenden Ufermauer keine ausreichenden Schutzeinrichtungen (Schutzzaun, Maueraufbau o. ä.) befinden
sowie
    seitens der Westberliner Polizei keine Maßnahmen gegen fahrlässiges und leichtsinniges Verhalten von Personen an der Ufermauer unternommen werden.
Während der Bergungshandlungen war z. B. zu beobachten, daß durch den Andrang und die Bewegung Hunderter Zivilpersonen am Westberliner Gröbenufer unmittelbare Gefahr für weitere Unglücksfälle entstand. Durch die anwesenden Westberliner Polizei- und Zollkräfte wurden keinerlei Sicherheitsvorkehrungen zur Abwendung weiterer Vorfälle getroffen.

In diesem Zusammenhang ist weiter festzustellen, daß in dem betreffenden Grenzabschnitt seit längerer Zeit provokatorische Handlungen gegen die Staatsgrenze und die Sicherungskräfte der DDR von Westberliner Territorium aus unternommen werden.

So erfolgten im Zeitraum von Januar bis Oktober 1972 vom Westberliner Gröbenufer aus 13 gegen die Staatsgrenze und die Grenzsicherungskräfte der DDR gerichtete Handlungen, davon
    3 Fälle des Beschießens der Grenzsicherungskräfte aus einer Pistole bzw. mittels KK-Waffen (25.3.72, 18.30 Uhr, durch eine männliche Person, ca. 30 Jahre alt, mittels Pistole; 7.8.72, 22.50 Uhr, durch unerkannte Personen aus KK-Waffe; 24.8.72, 18.30 Uhr, durch eine männliche Person mittels KK-Gewehr);

    6 Fälle provokatorischer Grenzverletzungen durch Betreten der Eisdecke der zugefrorenen Spree bzw. durch Schwimmen während der Sommermonate;

    3 Fälle des Beschimpfens der eingesetzten Grenzsicherungskräfte der NVA;

    1 Fall des Bewerfens eines Grenzsicherungsbootes mit Steinen (26.10.72, 18.30 Uhr, durch 8 Jugendliche).
Darüber hinaus hat sich bereits seit Jahren gewohnheitsmäßig der Zustand entwickelt, daß vom Westberliner Gröbenufer aus täglich mehrere Personen in der Spree (und damit auf dem Territorium der DDR) angeln, ohne daß seitens der zuständigen Westberliner Stellen Maßnahmen zur Unterbindung derartiger Praktiken eingeleitet werden.

Es kann eingeschätzt werden, daß nur der Umsicht und Besonnenheit der eingesetzten Grenzsicherungskräfte zu verdanken ist, daß weitere Auswirkungen der provokatorischen Handlungen verhindert werden konnten.

Es wird empfohlen, die angeführten begünstigenden Bedingungen für derartige Vorkommnisse und Grenzzwischenfälle in geeigneter Form an die Westberliner Seite heranzutragen mit dem Ziel, daß ihrerseits die erforderlichen Maßnahmen zur Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit im Abschnitt Gröbenufer getroffen werden.

Quelle: BStU, MfS, ZA1G Nr. 2081, Bl. 1-4
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