Chronik

Chronik 1990

  • Januar

     
    • 1. Januar

      1990

      Reisefreiheit in beide Richtungen: Seit heute können Bundesbürger die DDR und Ost-Berlin ohne Visum und ohne Zwangsumtausch besuchen. Daneben ist ein deutsch-deutscher Reise-Devisenfonds eingerichtet worden; Reisende aus der DDR können daraus einmal im Jahr bis zu 200 DM beanspruchen (100 DM zum Kurs 1:1 und weitere 100 DM zu einem Umtauschsatz von 1:5).
    • 2. Januar

      1990

      Die offene Grenze führt schnell zur Auflösung des staatlichen Außenhandels- und Devisenmonopols. Kurz nach dem Jahreswechsel fährt Peter Voigt, ein Erfurter Gemüseeinzelhändler, in Richtung Kassel. Er entdeckt auf der Rückfahrt in Melsungen einen Großhandelshof (EDEKA) und fragt an, ob er Ware in D-Mark zum Verkauf in Erfurt (in D-Mark) beziehen kann. Mehr
    • 3. Januar

      1990

      Machtlos stehen die Berliner Grenztruppen den Mauerspechten gegenüber, die das Bauwerk mit Hammer und Meißel traktieren. „Motiv zum Grenzdienst fehlt", heißt es auf einer Kommandeurstagung der DDR-Grenzschützer. „Soldat sagt, was soll ich noch an der Grenze." Soldaten verkauften während des Dienstes Teile ihrer Uniform, Offiziere nähmen Geschenke an und wären betrunken.
    • 3. Januar

      1990

      Sowjetisches Ehrenmal im Ost-Berliner Treptower Park; Aufnahme März 1985
      Im Berliner Stadtbezirk Treptow wird das sowjetische Ehrenmal von Unbekannten mit rechtsradikalen und antisowjetischen Parolen beschmiert. Die SED-PDS nimmt dies zum Anlass, mit einer Groß-Demonstration gegen „Neofaschismus und Antisowjetismus" für den Erhalt von MfS- bzw. AfNS-Strukturen als „Verfassungsschutz" oder „Nachrichtendienst" einzutreten.
    • 3. Januar

      1990

      Vertreter des „Neuen Forum" (v.l.n.r.): Reinhard Schult, Ingrid Köppe, Rolf Henrich während einer Sitzung des „Zentralen Runden Tisches" in Ost-Berlin, 3. Januar 1990
      Wirtschaftsministerin Christa Luft, zugleich stellvertretende Ministerratsvorsitzende, unterrichtet die Teilnehmer des Runden Tisches über die wirtschaftliche Lage der DDR, verschweigt jedoch das Ausmaß des sich anbahnenden Desasters. Die Regierung Modrow wolle zwar auch andere Eigentumsformen fördern, erklärt Luft, aber grundsätzlich am „Volkseigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln" festhalten.
    • 5. Januar

      1990

      Bürgerkomitees halten weiterhin ehemalige Bezirksverwaltungen des Ministeriums für Staatssicherheit besetzt. In Gera erzwingt eine Gruppe von Bürgerrechtlern den Zutritt zur dortigen MfS-Bezirksverwaltung und übernimmt die Kontrolle der Akten und Waffenkammern.
    • 5. Januar

      1990

      Wie das Bundesministerium des Innern bekannt gibt, sind im Jahr 1989 insgesamt 343.854 DDR-Bewohner in die Bundesrepublik übergesiedelt. Zusätzlich wurden 377.055 deutschstämmige Aussiedler vor allem aus Polen, der Sowjetunion und Rumänien aufgenommen. Schließlich erreichte die Zahl der Asylbewerber mit 121.318 eine Rekordhöhe.
    • 8. Januar

      1990

      Teilnehmer der Montagsdemonstration in Leipzig,  22. Januar 1990
      In Leipzig findet die erste Montagsdemonstration des Jahres statt. Ein Meer von schwarz-rot-goldenen Fahnen beherrscht das Bild. Die Einheit Deutschlands ist zusammen mit der Parole „Nieder mit der SED" zur alles beherrschenden Forderung geworden. Mehr
    • 9. Januar

      1990

      In Sofia beschließt eine RGW-Tagung den Übergang der Mitgliedsländer zum Handel auf der Grundlage von frei konvertierbarer Währung. Damit ist das Ende der osteuropäischen, planwirtschaftlichen Wirtschaftsgemeinschaft eingeleitet.
    • 10. Januar

      1990

      Die DDR-Außenhandelsfirma Limex-Bau Export-Import erhält das Verkaufsmonopol für mehrere Dutzend Mauersegmente, die an den neu eröffneten Grenzübergängen demontiert wurden. Innerhalb kürzester Zeit läuft das Geschäft weltweit auf Hochtouren. Es werden Verkaufserlöse bis zu 500.000 DM pro Segment erzielt, die dem DDR-Gesundheitswesen und der Denkmalpflege zugute kommen sollen.
    • 11. Januar

      1990

      In einer Regierungserklärung tut Ministerratsvorsitzender Hans Modrow kund, dass „eine Vereinigung von DDR und BRD nicht auf der Tagesordnung" stehe. Er warnt die Opposition vor einer Demontage seiner Regierung und begründet mit dem Hinweis auf neonazistische Aktivitäten die Notwendigkeit eines Nachrichtendienstes und Verfassungsschutzes. 20.000 Menschen demonstrieren noch am gleichen Abend gegen diesen Plan.
    • 15. Januar

      1990

      Sturm auf die Stasi-Zentrale in Ost-Berlin: Am Nachmittag bietet Ministerpräsident Hans Modrow den am „Runden Tisch" vertretenen Gruppen der Bürgerbewegung den Eintritt in seine Koalitionsregierung an. Der stellvertretende Leiter des Ministerrat-Sekretariats, Manfred Sauer, informiert den „Runden Tisch" über den Stand der Auflösung des MfS, jetzt Amt für nationale Sicherheit". Mehr
    • 15. Januar

      1990

      Vor dem Hintergrund dieser innenpolitischen Entwicklung in der DDR entschließt sich Bundeskanzler Helmut Kohl, Verhandlungen über eine Vertragsgemeinschaft mit der DDR erst mit einer frei gewählten DDR-Regierung aufzunehmen. Gespräche mit der Modrow-Regierung sollen nur symbolisch geführt werden, um die Übersiedlungswelle nicht durch eine förmliche Absage zusätzlich zu verstärken.
    • 18. Januar

      1990

      Der Runde Tisch befasst sich mit der Besetzung der Stasi-Zentrale.
      Runder Tisch Leipzig: Der amtierende Ratsvorsitzende, Superintendent Friedrich Magirius spricht über die desolate Wirtschaftslage. Es wird auch über die Auflösung der Staatssicherheit beraten, 18. Januar 1990.
      Ergebnisse des Runden Tisches der DDR am 18. Januar 1990
    • 19. Januar

      1990

      Die TAZ (Ausgabe Bremen) teilt unter der Überschrift „Abgerüstete Wachhunde werden versteigert" mit, dass der Deutsche Tierschutzbund der Bundesrepublik beabsichtigt, rund 2.500 früher an der innerdeutschen Grenze eingesetzte Wachhunde in den nächsten Tagen in die Bundesrepublik „überzusiedeln". Mehr
    • 20./21. Januar

      1990

      Der SED-PDS-Parteivorstand lehnt die von Teilen der Parteibasis erhobene Forderung nach einer Selbstauflösung der Partei ab. Daraufhin erklärt der stellvertretende Parteivorsitzende Wolfgang Berghofer seinen Parteiaustritt; die SED-PDS, die bereits die Hälfte ihrer einst 2,3 Mio. Mitglieder verloren hat, schrumpft in der Folge weiter. Mehr
    • 21. Januar

      1990

      Symbolische Massenflucht am Grenzübergang Worbis-Duderstadt (Eichsfeld) als Demonstration gegen die SED-PDS; Aufnahme 21. Januar 1990
      Mit Koffern in der Hand marschieren Zehntausende Bewohner des Eichsfelds in einem Probelauf („Heute kommen wir noch einmal wieder") über den thüringisch-niedersächsischen Grenzübergang Worbis - Duderstadt für einige Stunden in den Westen, um zu zeigen, was passiert, wenn die SED an der Macht bleibt („Wenn die SED-Regierung bleibt, geben wir die Heimat auf").
    • 25. Januar

      1990

      Ministerratsvorsitzender Hans Modrow und Bundeskanzleramtsminister Rudolf Seiters bereiten in Ost-Berlin den für den 13./14. Februar geplanten Besuch Modrows in Bonn vor. Mehr
    • 26. Januar

      1990

      In Moskau findet unter Leitung von Michail Gorbatschow eine mehrstündige Experten-Krisensitzung zur Lage in der DDR statt. Es herrscht Einigkeit, dass die DDR nicht zu halten sein wird. Die Idee einer Sechser-Konferenz zu Deutschland („Vier-plus-Zwei") wird ebenso befürwortet wie die Vorbereitung des Abzugs der sowjetischen Streitkräfte aus der DDR.
    • 26. Januar

      1990

      Im „Wall Street Journal" äußert die britische Premierministerin Margaret Thatcher, dass eine zu schnelle Herstellung der deutschen Einheit nicht nur die Position von Gorbatschow gefährden, sondern auch das wirtschaftliche Gleichgewicht in der Europäischen Gemeinschaft bedrohen könne. Bundeskanzler Kohl empfindet das Interview als „ungewöhnlich unfreundlich".
    • 27./28. Januar

      1990

      Kongreß des Neuen Forum in der Akademie der Künste in Berlin, v.l.n.r.: Ingrid Köppe, Reinhard Schult und Sebastian Pflugbeil, 27./28. Januar 1990
      In einer programmatischen Erklärung versteht das Neue Forum auf einem Kongress in Berlin die Zweistaatlichkeit als seine politische Chance: „Die Zweistaatlichkeit Deutschlands ist für uns heute die Chance demokratischer Selbstverwirklichung und eines eigenen Beitrages zur demokratischen Entwicklung in Deutschland und Europa."
    • 28. Januar

      1990

      In Ost-Berlin fällt am Abend die Entscheidung zur Bildung einer „Regierung der nationalen Verantwortung", in der alle am Runden Tisch vertretenen oppositionellen Gruppierungen mit einem Minister ohne Geschäftsbereich vertreten sind. Der Termin der Volkskammer-Wahl wird einvernehmlich von Mai auf den 18. März 1990 vorgezogen.
    • 29. Januar

      1990

      Ministerratsvorsitzender Hans Modrow berichtet in der Volkskammer, dass sich die wirtschaftliche Lage der DDR besorgniserregend verschlechtere. Streiks breiteten sich aus, eine Reihe örtlicher Volksvertretungen habe sich aufgelöst oder sei nicht mehr beschlussfähig, im gesamten Staatsapparat greife Unsicherheit um sich, die Rechtsordnung werde zunehmend in Frage gestellt. Rede von DDR-Ministerpräsident Hans Modrow in der Volkskammer, 29. Januar 1990
    • 29. Januar

      1990

      In der 1912/13 gebauten Brikettfabrik des VEB Braunkohleveredelung Lauchhammer funktionieren die Entstaubungsanlagen nicht.
      Dem Runden Tisch wird am 29. Januar zudem ein Umweltbericht der Modrow-Regierung vorgelegt, in dem die ökologische Situation als äußerst kritisch eingeschätzt wird. Mehr
    • 29. Januar

      1990

      Im Bundesfinanzministerium, unter der Verantwortung von Staatssekretär Horst Köhler, legt Ministerialrat Thilo Sarrazin einen Vermerk mit der Überschrift „Gedanken zu einer unverzüglichen Einbeziehung der DDR in den D-Mark-Währungsraum" vor. Mehr
    • 30./31. Januar

      1990

      Ministerratsvorsitzender Hans Modrow informiert Michail Gorbatschow in Moskau über die Lage in der DDR und trägt sein Konzept „Deutschland - einig Vaterland" vor, das bei militärischer Neutralität eine allmähliche Annäherung beider deutschen Staaten vorsieht. Mehr
    • Januar 1990

      Die Ausreisewelle aus der DDR hält im Januar unvermindert an: Mehr als 70.000 Menschen haben die DDR in diesem Monat in Richtung Bundesrepublik verlassen. Daneben besuchten in den ersten vier Wochen des Jahres rund zehn Millionen DDR-Bürger den Westen und mehr als acht Millionen Bundesbürger den Osten.
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